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So veröffentlichte Professor Richard Meister im Jahre 1915 eine Betrachtung mit dem Titel »Der humanistische Unterricht als Kriegserzieher«. Gleich zu Beginn verwahrt sich Meister gegen den Gedanken, daß »das philosophisch-ästhetische Ideal des Neuhumanismus in seinem stillen Glauben an ein verklärtes Menschentum unserer tatenwuchtigen Gegenwart ganz ferne stünde«. Dem Verfasser kommt es darauf an »zu zeigen, was dieser Geist [des Neuhumanismus] den in ihm Erzogenen für die große Forderung des weltgeschichtlichen Augenblicks zu geben vermag und daß ihm nach Maßgabe seiner weitreichenden Wirkung und seiner Ideentiefe ein Anteil an der Aufrichtung der Idee dieses Weltkrieges, daß der Kampf der verbündeten Kaiserreiche letzten Endes der Kampf um die Erhaltung der Kultur ist, auch tatsächlich zukommt«. Damit dürfte er etwa die Verteidigung gegen das als asiatischer Despotismus vorgestellte Zarentum oder gegen die als seichte Zivilisation herabgewürdigte französische Kultur gemeint haben. Später nennt er mit einem Zitat des Philosophen Wilhelm Wundt »als die vorherrschende Richtung der englischen Lebensauffassung« abfällig »jenen Zug des Versunkenseins in Utilität und persönliches Behagen«. Es fragt sich allerdings, wozu er überhaupt den ideologischen Apparat für den Nachweis der Kriegstüchtigkeit des Neuhumanismus benötigt, denn im folgenden schreibt er: »Die Idee zu einem ›wahrhaften‹ Krieg ist in ihrer Wurzel von der Liebe zum Vaterlande nicht verschieden […]. Sie bedarf auch nicht einer komplizierten intellektuellen Vermittlung.« Kurz gesagt: Der angebliche Vertreter des Neuhumanismus gibt dessen rationalen, aufklärerischen Anteil von Anbeginn auf und opfert ihn einem patriotischen Gefühl. Diese »Idee zu einem ›wahrhaften‹ Krieg« spreche »zu jedem in seiner Sprache.« Sie bedürfe »nur wie jede Idee […] des Glaubens an überindividuelle Gemeinschafts- und Menschheitsaufgaben.« Flugs stellt hier Meister den menschheitsumfassenden Humanismus einer nationalen »Gemeinschaftsaufgabe« an die Seite. Damit klar wird, um welche Gemeinschaft es sich handelt, die es wert ist, verteidigt zu werden, behauptet der Verfasser: »Die Deutschen sind eine idealistische und eminent metaphysisch gestimmte Nation.« In dieser Hinsicht stellt er sie der altgriechischen an die Seite; »die hellenische Geistesentwicklung des 5. und 4. Jahrhunderts und die deutsche des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts« hätten »jene unvergänglichen Werke geschaffen, die der Menschheit nächst Bibel und Evangelium das Meiste und Höchste gegeben.« So tritt der kulturelle Imperialismus dem politischen zur Seite und verrät erneut das humanistische Erbe. Meister zitiert aus der Schrift des Philosophen Eugen Kühnemann »An die deutsche Jugend im Weltkriegsjahr 1914«: »An euren Lagerfeuern werdet ihr euch die Verse des ›Faust‹ wiederholen.« So gelangte dann auch der zur Redensart gewordene »Faust in den Tornister« des deutschen Soldaten. Meister durchmustert die griechische und römische Literatur einzig zu dem Zweck, »manch tiefes Wort über Vaterlandsliebe« zu finden. Die Antike wird auf diese Weise zum ideologischen Steinbruch. Gefährlich, ja lebensgefährlich war die Gesinnung von Lehrern wie Richard Meister, die sich als patriotisch verstehen mochten und sich als Kulturkämpfer sahen. Es gab unter den klassischen Philologen aber auch drastischere Beispiele für unverhüllte Kriegsbegeisterung: So schrieb Leo Weber in seinem Artikel »Der Völkerkrieg und die Zukunft des deutschen Humanismus« (1915): »Mars regiert die Stunde: sein Regiment ist auch noch lange nicht zu Ende. Und es ist gut so. […] Schrecklich sind die Opfer, aber der Krieg ist eine Wohltat. Kommen mußte er ja einmal: je eher, umso besser also. Hätte er in dem Atem raubenden Siegeslaufe, mit dem er im Westen begann, ein ebenso rasches wie erfolgreiches Ende gefunden, er hätte der Nation auf die Dauer kein Glück gebracht: Hochmut und geringschätzige Verachtung der Gegner wären die unerträglichen Folgen gewesen. Ein Großes erkämpft sich ein starkes Volk, wie wir es sind, nur dann zu dauerndem und beglückendem Besitz, wenn es nach heißem Kampfe und mit schweren Opfern errungen ist. Wir müssen es der Welt von haß- und neiderfüllten Feinden, die wider uns stehen, danken, daß sie den Sieg uns bitter schwer machen.« Diejenigen Landsleute, die im Weltkrieg am Sinn des Humanismus (wie er ihn verstand) zweifelten, bezeichnete Weber als »völkisch«, jedoch griff er sie nicht wegen ihrer ideologischen Orientierung an, sondern er wetterte gegen ein »mathematisch-physikalisches Zeitalter« und gegen die Verehrung der Technik, gerade in der Zeit des Krieges. Dabei zielte er darauf ab, die schulpolitischen Interessen des humanistischen Gymnasiums gegenüber den seit der Schulkonferenz von 1900 konkurrierenden Schulformen zu verteidigen. Sein Angriff zielte gegen die Oberrealschule, die besonderes Schwergewicht auf die technischen und naturwissenschaftlichen Fächer legte. Nach einem technikkritischen Diskurs definiert Weber als Basis des Sieges: »Wie heute man zu einem guten Teil mit natürlichen, aber wohlausgestatteten Mitteln in dem modernsten (freilich auch blutigsten) aller Kriege kämpft, so kann wahres Menschentum, das sich von einer verwirrenden Fülle wechselnder Erscheinungsformen der äußeren Welt bedrängt sieht, ruhige Sammlung und wirkliche Selbstbesinnung nur im dauernden, immer fester werdenden Zusammenhang mit den einfachsten, aber ewigen Grundlagen der Menschheit finden.« Weber verrät hier den Humanismus in seiner ursprünglichen Bedeutung. Die Verherrlichung des Krieges war zur damaligen Zeit keine Ausnahme. Wie Meister und Weber hier schrieben, so werden sie zwar nicht vor ihren Studenten oder Schülern geredet haben, aber ihr nationalistischer beziehungsweise völkischer »Humanismus« wird sie genauso wie andere Lehrer, verkörpert durch Remarques Romanfigur Kantorek, gedrängt haben, die ihnen zu Bildungszwecken Anvertrauten aufs Schlachtfeld zu hetzen.
Erschienen in Ossietzky 14/2014 |
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