Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. TheatervielfaltHeinz Kersten »Man muß die Toten ausgraben, wieder und wieder, denn nur aus ihnen kann man Zukunft beziehen.« Mit zwei Toten begann das 51. Berliner Theatertreffen: Heiner Müller, gestorben 1996, von dem dieses Zitat aus dem Eröffnungsprogramm stammt, und Dimiter Gotscheff, gestorben am 20. Oktober 2013, der sich in seinen Inszenierungen, fünfmal zum Theatertreffen eingeladen, immer wieder an Müller abarbeitete und seine letzte Regie, die am Münchner Residenztheater noch einmal einem Stück seines Freundes galt, so kommentierte: »Ein kurzer Augenblick der Menschheit, wo ein uralter Traum gelebt und selbst zunichte gemacht worden ist.« Ein Requiem auf eine Revolution. Vorlage war ein Klassiker der sowjetischen Revolutionsliteratur, »Zement« von Fjodor Gladkow (1883–1958), 1925 in der Sowjetunion und 1927 in der Übersetzung von Olga Halpern mit großem Erfolg in deutsch erschienen. Müllers im Auftrag des Berliner Ensembles geschriebene Dramatisierung knüpfte an sein Stück »Der Bau« aus dem Jahr 1965 an, das ebenfalls nach einer Romanvorlage entstand: Erik Neutschs DDR-Bestseller »Spur der Steine«. Damals verhinderten allerdings übergeordnete Instanzen eine bereits von Benno Besson im Deutschen Theater geprobte Aufführung. Sowohl in »Bau« wie in »Zement« steht für Müller die Errichtung einer großen Fabrik symbolisch für den Aufbau des Kommunismus, dessen Schwierigkeiten und dabei auftretenden Widersprüche er ebenso wie die damit verbundenen menschlichen Konflikte in aller Härte aufzeigt. So konnte auch die mir unvergessene Uraufführung von »Zement« am 22. Oktober 1973 im Rahmen der Ostberliner Festtage nicht ohne Schwierigkeiten durchgesetzt werden, wozu gewiß die damalige BE-Intendantin und Regisseurin Ruth Berghaus beitrug. (Eine unter Manfred Wekwerths Regie entstandene Fernsehfassung war kurz darauf zu sehen.) Gotscheffs Inszenierung steht jenen Vorläufern nicht nach. Der Held des Stückes ist der 1921 von den Fronten des Bürgerkrieges heimkehrende Arbeiter und Regimentskommissar Gleb Tschumalow (Sebastian Blomberg). Zu den Schwierigkeiten, die ihn erwarten, gehört nicht allein der Wiederaufbau der zerstörten Zementfabrik, sondern auch die Notwendigkeit, ein neues Verhältnis zu seiner Frau Dascha (Bibiana Beglau) zu finden. Sie hat in den Jahren seiner Abwesenheit im Kampf für die Ideale der Revolution ein ganz neues Selbstbewußtsein gewonnen, das mit den alten patriarchalisch geprägten Vorstellungen der Beziehungen zwischen den Geschlechtern auch in der Sexualität nicht mehr vereinbar ist. In der Liquidierung von Abweichlern und dem Parteiausschluß zweier junger Idealisten kündigt sich schon der Stalinismus an. Aber in Glebs Feststellung »Wir stecken bis zum Hals im Kapitalismus« ist auch heutige Gegenwartsbezogenheit nicht fern. Dank Müllers bilderreicher Sprachkraft gehören drei Intermedien zu den stärksten Momenten der Inszenierung, in denen parabolisch durch Bezüge zur Antike dem Geschehen eine welthistorische und philosophische Dimension verliehen wird. Um an meinen Anfang anzuknüpfen: Der Beitrag zweier Toter war der lebendigste dieses Theatertreffens. Kaum ein Theatertreffen ohne Tschechow. Die sieben Juroren, deren Aufgabe es ist, jeweils die zehn »bemerkenswertesten« Inszenierungen auszuwählen, entschieden sich für »Onkel Wanja« in der Interpretation des noch kaum bekannten jungen Regisseurs Robert Borgmann aus Stuttgart. Der erste Blick fällt auf einen Volvo Kombi, der als Wrack ohne Räder dann die Bühne umkreist und den gerade nicht benötigten Figuren Zuflucht bietet. Erster Auftritt: eine attraktive Schönheit, wie man später erfährt, Gattin (Sandra Gerling) eines viel älteren Professors (Elmar Roloff), der vom Ertrag des Landgutes lebt, auf dem beide zu Gast sind. Wenn die junge Frau nicht gerade Wanja, dem Gutsverwalter (Peter Kurth), und dessen befreundeten Arzt (Thomas Lawinky) die Köpfe verdreht, langweilt sie sich zu Tode, was erklärt, weshalb sie anfangs mit dem Publikum Ping-Pong spielt. Weniger erklärlich ist, wieso sie dazu ein Kleid im Design von Stars and Stripes trägt, das sie später allerdings gegen ein auf dem Lande unübliches Model-Outfit tauscht. Zunächst kann man noch rätseln, was die amerikanische Kostümierung bedeuten soll: Gegenwartsbezug oder Hinweis auf westliche Sympathien russischer Oberschicht? Mir kam – zugegeben weit hergeholt – mal der Gedanke an Tennessee Williams. Aber das lag am Vergleich mit einer lange zurückliegenden Thomas-Langhoff-Inszenierung von »Onkel Wanja« im Deutschen Theater. Noch heute ist mir das mich damals fast zu Tränen rührende Schlußbild vor Augen. Nach dem Abschied der unwillkommenen Gäste tröstet Wanjas Nichte Sonja (Ulrike Krumbiegel) ihren depressiven Onkel (Christian Grashoff) über beider unverändert resignative Zukunftsaussichten. Der Unterschied zu Borgmann: Im Hintergrund des sonst leeren Bühnenraums sitzen Sonja (Katharina Knap) und Wanja (Peter Kurth) während sie ihm die Zehennägel schneidet. Sein Schlußwort: »Aua.« Hauptsache originell. Das galt auch für den Beitrag des zweiten Neulings beim diesjährigen Theatertreffen. Die 37jährige in Amsterdam lebende und arbeitende Regisseurin Susanne Kennedy war mit ihrer Inszenierung von Marieluise Fleißers »Fegefeuer in Ingolstadt« vertreten. 1926 hatte die junge Autorin mit ihrem Erstling in Berlin Aufsehen erregt. Alfred Kerr vermutete sogar, Brecht habe ihr bei dem Stück die Hand geführt. Aber ihr Ruhm, den erst drei Jahre später ihre skandalisierte Komödie »Pioniere in Ingolstadt« begründete, währte nicht lange, und die Fleißer erlebte erst im Gefolge von Fassbinder, Kroetz und Sperr in den siebziger Jahren eine Wiederentdeckung. »Fegefeuer in Ingolstadt« (»über das Rudelgesetz und über die Ausgestoßenen« – Fleißer) führt in die Provinzhölle eines bayrisch-katholischen Milieus, erstarrt aber bei Kennedy in totaler Künstlichkeit, wozu noch beiträgt, daß der ganze Text vom Band kommt. Die in hellem Neonlicht eines engen grauen Raumes ausgestellten Gymnasiasten wenden sich mehr frontal dem Publikum zu als miteinander zu kommunizieren. Die ihren Preis von 10.000 Euro verleihende 3sat-Jury bescheinigte aber der Regisseurin »eine richtungsweisende, künstlerisch-innovative Leistung«. Noch mehr aus dem Rahmen fiel eine weitere Einladung der Münchner Kammerspiele, allerdings mit Koproduzenten aus Gent, Paris, Lille, Brüssel, Turin und Genf: »Tauberbach« von Alain Platel. Hinter dem Titel ließ sich ein bayrisches Dorf vermuten, doch belehrte uns das Programmheft, daß der flämische Regisseur und Choreograph einmal eine CD in die Hand gedrückt bekam, auf der die Worte »Tauber Bach« geschrieben standen. Die Musik gehörte zu einem Videoprojekt des polnischen Künstlers Artur Żmijewski, der in der Leipziger Thomaskirche einen Chor Gehörloser Bach singen ließ, so wie sie meinten, daß Bach klingen müsse. Nun hörte man sie in Platels Inszenierung, zu deren anderer Inspirationsquelle ein Dokumentarfilm »Estamira« von Marcos Prado gehörte, das Porträt einer brasilianischen Frau, die seit zwanzig Jahren auf einer Müllhalde bei Rio de Janeiro lebt. Ihr gehört der größte Teil des sparsamen Textes. Das Bühnenbild zeigt eine Fläche, die mit unzähligen farbigen Lumpen übersät ist. Aus ihnen schälen sich, erst mal mit einem Arm oder Bein, fünf Tänzer heraus, die eine Beziehung zu der Frau suchen, aber meist einzeln oder paarweise akrobatisch, humorvoll, leidenschaftlich oder erotisch einen Tanz der Leiber zelebrieren. Nicht nur mit dieser Auswahl zeigt sich die Erweiterung des Theatertreffens über Tradiertes hinaus zu Performance, Installation und Dokumentarischem. Als erschütterndes Dokument erwies sich ein Projekt des Wiener Burgtheaters, eingerichtet vom erst kürzlich entlassenen Intendanten Matthias Hartmann: »Die letzten Zeugen«. Es sind sechs Überlebende des Holocaust, zwischen 80 und 100 Jahre alt. Hinter einem schwarzen Gazevorhang sitzen sie, während vier junge Schauspieler/Innen ihre collagierten Erinnerungen lesen, knapp von Videoeinblendungen begleitet. Mehr noch als die Erlebnisse in den Todeslagern beschämt dabei, wie schnell als Reaktion auf den »Anschluß« aus braven österreichischen Bürgern stramme Nazis und antisemitische Verfolger wurden. Am Ende des Abends treten die Zeugen vor den Vorhang mit kurzen mahnenden Worten: »Nie wieder.« Und dann geschieht noch etwas wirklich »Bemerkenswertes« dieses Theatertreffens: minutenlange Standing Ovations.
Erschienen in Ossietzky 13/2014 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |