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So verballhornten wir – mit schelmischer Freude – den Namen der Stadt manchmal Fremden gegenüber und hofften, damit diesen kohlestaub-geschwängerten Ort auch für sie interessant zu machen. (Damals wußte ich allerdings nicht, daß im ältesten Siegel der Stadt zwei Senfpflanzen einen »Hügel« umrahmten.) Wir lebten in einem der Energiezentren der DDR, inmitten einer »Mondlandschaft«, an der Schwarzen Elster, einem trägen, stinkenden, eben einem schwarzen Fluß. Dafür ernteten wir andernorts meist mitleidige Blicke und manchmal auch Spott. Das Senftenberger Braunkohlezeitalter endete 1999, nach 135 Jahren, mit der Schließung des »Tagebaus Meuro«. Damit war nicht nur das Industriezeitalter in der Region vorbei, sondern auch eine Epoche »gewaltiger Eingriffe« in die Landschaft, die in ihren »Ausmaßen … mit Landschaftsveränderungen verbunden« waren, schrieben die Wissenschaftler Carsten Drebenstedt und Reinhard Möckel 1998, »die mit denen der gestaltenden Kräfte einer Eiszeit durchaus vergleichbar sind«. Wer Karten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit denen einhundert Jahre später vergleicht, der erkennt nichts wieder: Es wurden für den Bergbau nicht nur Straßen und Flüsse verlegt, es verschwanden Dörfer, Wälder, Felder, Seen, Teiche und Fließe, eine Landschaft, die dem Spreewald glich. Der Bergbau hinterließ Restlöcher, oft mit saurem Wasser, riesige Kippenflächen mit spärlichen Bäumen darauf, begradigte stinkende Flüsse und Bäche. Das Umland von Senftenberg wird nun wieder von Wasser geprägt, diesmal von zahlreichen Seen um Senftenberg, Hoyerswerda und Weißwasser, die aus den ausgekohlten Tagebauen entstehen. Der erste war 1973 der Senftenberger See. In kurzer Zeit wurde er ein, vor allem bei Sachsen beliebtes Ausflugs- und Urlaubsziel. Sie rühmten die gute Qualität des Wassers und die breiten Sandstrände. Dieser große Zuspruch und die Schließung der Tagebaue nährten nach 1990 die Hoffnung, mit Tourismus einen neuen Wirtschaftszweig entwickeln zu können, Arbeitsplätze zu schaffen, die jungen Leute in der Region zu halten. Die Idee vom Lausitzer Seenland als der größten künstlichen Wasserlandschaft Europas mit mehr als 20 Seen und zwölf Kanälen war geboren. In wenigen Jahren, so der Plan, sollen 7.000 Hektar Wasserfläche verbunden sein, auf denen Mehrtages-Bootstouren möglich werden. Der erste Schritt dorthin wurde im April 2013 in Senftenberg mit der Eröffnung des Stadthafens gefeiert. Die Senftenberger sind stolz auf dieses »Eingangstor« zum neuen Lausitzer Seenland, aber manchmal spotten sie auch, es seien oft mehr Schaulustige am Ufer als Boote auf dem See. Im Juni folgte mit der Freigabe des Koschener Kanals der zweite Schritt in das künstliche Seengebiet. Viele bejubelten ihn als endgültigen »Startschuß für den Tourismus als Wirtschaftsfaktor« in der Region. Der mehr als einen Kilometer lange Kanal, der beim Dorf Großkoschen die Schwarze Elster und die Bundesstraße 96 unterquert, verbindet den Senftenberger und den Geierswalder See. In kürze wird noch der Barbara-Kanal für den Bootsverkehr freigegeben. Die nach der Schutzpatronin der Bergleute benannte Wasserstraße führt vom Geierswalder in den Partwitzer See. In diese Zeit der Euphorie fielen erste Wermutstropfen. Im Sommer 2013 stiegen Badegäste braun gefärbt aus dem Senftenberger See, undefinierbare Klumpen schwammen im Wasser, Fische starben. Das Brandenburgische Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (LUGV) diagnostizierte in Tiefen ab sechs Meter Sauerstoffdefizite und eine Versauerung des Wassers. In Senftenberg fragen sich seitdem besorgte Bürgerinnen und Bürger, ob der große Plan vom gigantischen Seenland den eigenen See gefährde und ob er vielleicht zu früh begonnen wurde. Das Landesumweltamt hat darauf nur diese Antwort: Die Ursachen für die beobachteten Phänomene seien bisher unbekannt, es werde aber danach geforscht. Vom »Zweckverband Lausitzer Seenland Brandenburg« erfuhr ich auf eine schriftliche Anfrage, wie man damit gegenüber den Gästen umgehe: Das »Sauerstoffproblem im Senftenberger See« sei »nur für die Fische in der Reuse des Fischers akut« gewesen. Es habe »zu keiner Beeinflussung der Badegewässerqualität« geführt. »Von Mai bis August wurden regelmäßig Beprobungen der Wasserqualität durchgeführt … Es war also nicht gefährlich für Badegäste.« Und so werden diese offenen Fragen zur Zeit weder auf der Website für den Senftenberger See (www.senftenberger-see.de) noch für den Zweckverband Lausitzer Seenland Brandenburg (www.zweckverband-lsb.de) kommuniziert. Nach dem Ende einer erfolgreichen Seesaison mit »750.000 Tagesgästen und 40.000 Übernachtungsgästen« lehnten die Senftenberger Stadtverordneten im Dezember 2013 einen Antrag der SPD-Fraktion ab, ihre Stadt »Senftenberg am See« zu nennen. Dahinter verbirgt sich wohl der Anspruch, Senftenberg müßte mehr sein als nur eine Stadt am See. Jetzt ist es Kreisstadt des Oberspreewald-Lausitz-Kreises, Universitätsstadt (Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg), Theaterstadt (Neue Bühne Senftenberg). Die Bürgerinnen und Bürger leben noch immer in dem Bewußtsein, daß sie mit dem Ende der Braunkohlenindustrie viel verloren und mit dem Senftenberger See nur wenig gewonnen haben. Denn irgendwie scheinen die Stadt und der See, der ihren Namen trägt, noch immer nicht zusammenzugehören. Ich lief jüngst durch die Straßen im Zentrum und über den Markt und spürte wie auch bei vorherigen Besuchen nicht, daß ich in einer Seestadt war. Es gibt keine Geschäfte mit speziellen Angeboten für Angler oder Segler. Die Tourist-Information, versteckt am Rande des Marktes im Schatten des prächtigen modernen Rathauses, zeigt nach außen nicht, was die Region zu bieten hat. Die Gaststätten werben nicht mit besonderen Angeboten um die Urlauber. In den meisten Schaufenstern finde ich keinerlei Bezug zum besonderen Charakter der Stadt. Nirgends ist Möwengeschrei zu hören. Es scheint, die Senftenberger beherrschen das Tourismus-Handwerk noch immer nicht. Das größte künstliche Seenland, das Lausitzer Seenland, zu gestalten, das ist ein Versuch, der bergbaugeschädigten Landschaft ein neues, ein attraktives Gesicht zu geben, die Landschaft schöner zu machen, als sie jemals war, wie ich irgendwo las. Wie dieser Versuch ausgeht, das weiß niemand. In einer Diskussion um die Zukunft der Braunkohle in der Lausitz hörte ich einmal, daß Gegner neuer Tagebaue hofften, er würde scheitern, damit dieser Irrsinn, für die Stromgewinnung Landschaften zu zerstören und Menschen zu vertreiben, endlich aufhöre. Viele Senftenberger, die vier Jahrzehnte stolz auf diesen, ihren See waren, erleben, daß die Sanierung der Bergbaulandschaft eine immerwährende Aufgabe mit immer neuen Überraschungen ist. Denn das Grundwasser erobert in der einst sumpfigen Gegend alte »Standorte« zurück. Sie sind aber vor Jahrzehnten bebaut worden. So kämpfen viele Menschen Tag für Tag gegen Wasser im Keller und schauen kritisch auf den See nebenan, indessen die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), die für die Altlasten des Braunkohlebergbaus verantwortlich ist, die Schäden durch Entwässerungssysteme zu beheben sucht. »Die Gegend ist wohl zu lange aufgeregt worden, um sich schon zu beruhigen, und der aufgewühlte Boden muß weiter rotieren«, schrieb der Schriftsteller Volker Braun 2008 in seinem Roman »Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer«. »Die Erde hat ein Gedächtnis, und wo der Mensch seine Sache längst versandet glaubt, ist sie noch immer zum Umsturz bereit.« Von Irene Teichmann erschien in der Nora Verlagsgemeinschaft das Buch »Unbehütete Landschaft. Acht Kapitel Lausitzer Heimatkunde«, 14,90 €
Erschienen in Ossietzky 12/2014 |
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