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Sein einziges Verbrechen bestand darin, – gemeinsam mit seinen vier Genossen – von Miami aus operierende terroristische Gruppen ausgespäht zu haben, um Anschläge zu verhindern. Im Februar war ein Treffen mit González während der Buchmesse an Terminproblemen gescheitert. Danach hatte ich gehofft, ihn Anfang März bei der Internationalen Anhörung zum Fall der »Cuban 5« in London befragen zu können, doch die britischen Behörden verweigerten ihm das Einreisevisum (s. Ossietzky, 8/14). Nun ist es endlich soweit. Eine halbe Stunde vor dem Termin betrete ich die beeindruckende Kolonialstilvilla »Casa de Amistad« an der Avenida Paseo, der wohl zentralsten Straße Havannas, die vom Malecón zum Platz der Revolution führt. In der Cafeteria im schattigen Patio der Villa, die als Kulturzentrum Besuchern offensteht, reicht die Zeit noch für eine Tasse Kaffee. René González Sehwerert, der den Ehrentitel »Held der Republik Kuba« trägt, kommt mit seiner Frau Olga Salanueva Arango und einer Begleiterin. Der 57jährige, der wie Fidel Castro am 13. August Geburtstag hat, wirkt jünger als er ist. Groß, schlank, braungebrannt und mit einem gewinnenden Lachen macht er nicht den Eindruck eines Mannes, der verfolgt, schikaniert und 13 Jahre in US-Gefängnissen – teilweise in Einzel- und Isolationshaft – eingekerkert worden war. Die Spuren dieser Zeit sind zumindest für einen Außenstehenden nicht erkennbar. Statt Verbitterung, Härte, Wut oder Haß strahlt er Gelassenheit, Humor, Klugheit und einen ansteckenden Optimismus aus. Das Einreiseverbot der britischen Behörden habe ihn nicht wirklich überrascht, sagt er mir und verweist auf die historischen Parallelen zwischen den Regierungen der USA und Großbritanniens. Offenbar sei auch die britische Regierung der Meinung, daß die aus den USA gegen Kuba operierenden Leute gute Terroristen sind, während Kubaner, die Anschläge verhindern, ein Risiko darstellen. Ebenso souverän geht er mit der Rolle der Konzernmedien um, die ihren Lesern, Zuhörern und Zuschauern den Fall der »Cuban 5« von Anfang an verschwiegen haben. Er echauffiert sich nicht darüber, sondern analysiert nüchtern und erklärt dann lachend: »Das ist doch genau ihre Funktion.« Das Verschweigen von Tatsachen sei eine ebenso bewußte politische Strategie wie das Verbreiten erfundener Nachrichten. Gewalt, Terror, die Beseitigung legitimer, aber dem Westen unliebsamer Regierungen und Kriege würden über die Medien systematisch vorbereitet. Das werde aktuell in der Ukraine und Venezuela und seit mehr als 50 Jahren gegen Kuba praktiziert. Wie gnadenlos westliche Regime mit Menschen umgehen, die Gewalt, Terror und Morde verhindern wollen, haben er und seine Mitstreiter am eigenen Leib in den USA erfahren. Ihre Gerichtsverfahren und die über sie verhängten Strafen bezeichnet Amnesty International in einem aktuellen Report als »offensichtliche Ungerechtigkeit«. Keiner der Fünf habe jemals die Chance auf ein faires Verfahren gehabt, kritisiert die Organisation. Immer wieder weist René González mich auf die Aktionswoche für die Freiheit der noch inhaftierten Mitglieder der »Cuban 5« vom 4. bis 11. Juni in Washington hin, die er für die wichtigste Aktion in diesem Jahr hält. »Die Entscheidung über die Freilassung unserer drei noch inhaftierten Genossen Antonio Guerrero, Ramón Labañino und Gerardo Hernández fällt dort« sagt er und fügt hinzu: »Das ist die Voraussetzung für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Kuba und den USA.« Drei Tage vor dem Gespräch mit René González hatte ich den französisch-spanischen Intellektuellen, Journalisten und Buchautor (u.a. »Fidel Castro: Mein Leben«) Ignacio Ramonet getroffen, der hier die kubanische Ausgabe seiner Biografie »Hugo Chávez: Mein erstes Leben« vorstellt. Sie soll zum 60. Geburtstag des verstorbenen venezolanischen Präsidenten und Comandante am 28. Juli in Havanna erscheinen. Er sei zuletzt vor drei Wochen in Venezuela gewesen, sagt er, und schildert mir seinen Eindruck, daß Teile der Opposition, »die weder ein Programm noch ein Konzept für das Land haben«, nicht Verbesserungen, sondern einzig und allein die von der Mehrheit des Volkes demokratisch gewählte Regierung mit Gewalt und Terror beseitigen wollen. Deswegen, sagt mir Ramonet, halte er nichts von den angeblichen Linken in Europa, die eine »kritische Distanz« zu den revolutionären Kräften und der Regierung in Venezuela fordern. Diese vermeintlichen Linken »sind Opfer von Desinformationskampagnen und nicht in der Lage, die Situation korrekt zu analysieren. Sie begreifen deshalb nicht, was dort wirklich vorgeht«, kritisiert er und erklärt: »Wir dürfen nie vergessen, daß Venezuela ein Land ist, das über die größten Ölreserven der Welt verfügt. Die wird der Imperialismus niemals freiwillig aufgeben.« Daß dies nicht nur seine, sondern die Meinung von Hunderttausenden ist, zeigen die Sprechchöre, Plakate und Spruchbänder auf den Maidemonstrationen überall in Kuba. An der größten, in Havanna, beteiligten sich neben zigtausenden kubanischen Arbeitern und Besuchern aus allen Erdteilen auch 1760 führende Gewerkschaftsvertreter und Repräsentanten sozialer Organisationen aus 68 Ländern. Das Bild der kilometerlangen Marschsäule, die sich auf der Avenida Paseo vom Malecón in Richtung Platz der Revolution bewegt, wird von roten, von kubanischen und von den Fahnen unzähliger anderer Länder geprägt. Unter denen stechen die Banner Venezuelas und Plakate mit den Bildern seiner Präsidenten Hugo Chávez und Nicolás Maduro, der nach Ansicht Ramonets das Werk seines verstorbenen Vorgängers fortsetzt, am häufigsten hervor. Auf der Ehrentribüne am Platz der Revolution applaudieren an diesem 1. Mai neben dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro unter anderem meine Interviewpartner René González und Ignacio Ramonet als der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes CTC, Ulises Guilarte de Nacimiento, die Demonstranten mit den Rufen begrüßt: »¡Vivan los trabajadores de Cuba y de todo el mundo! (Es leben die Arbeiter Kubas und der ganzen Welt!« und »¡Viva la Revolution!«
Erschienen in Ossietzky 11/2014 |
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