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Das Stück, entstanden aus Recherchematerial und Interviews, wird – in völlig anderer Form – neben der Hamburger Aufführung noch in Theatern in Belgien, Brasilien, Burkina Faso, England, Indien, Rumänien, Südafrika und der Schweiz gezeigt. Am 30. Mai sollen diese Inszenierungen dann im Malersaal zu sehen sein und gleichzeitig in den genannten Ländern. Ein globales Thema, global präsentiert. Konzeption und Regie in Hamburg: Clemens Bechtel. Die Zuschauer sitzen an allen vier Wänden, bilden eine Arena. Dort wird gekämpft: »Freiheit für alle Tiere« rufen Aktivisten. Sie haben Ställe angezündet. Rauchschwaden ziehen durch den Raum und Rufe (Vorschriften?) hallen, das Freßverhalten, Spielverhalten, Schlafverhalten der Tiere betreffend. 37.000 Hühnchen wären nächste Woche gekommen, und »wir sind ein Familienunternehmen«, klagen die Fleischproduzenten. Das hier fand statt nahe bei Hamburg. Auf der Wand im Video das Bekenntnis einer jungen Tierschützerin: »Wir holen das Essen aus dem Müll, das, was andere Leute wegschmeißen.« Sie glaubt, so den Regenwald zu retten. Dorthin führt eine andere Szene. Kettensägengekreisch, Abholzung. Jemand spricht von »Landraub«. Flugblätter werden abgeworfen, dann Säcke mit Soja auf die Bühne gehievt: das Hühnerfutter für Europa. Futterpflanzen erkranken, Insektizide müssen versprüht werden. Im Video: Reihen von Landmaschinen in Aktion, Riesentiere. Ein Siedler erzählt: »Damals, als wir hier ankamen, war das Land so fruchtbar, daß man selbst Wurzeln schlug.« Das ist lange vorbei. Auch ein Indianerjunge will teilhaben an modernen Errungenschaften, will in die Stadt, Geld verdienen. Jetzt schleppt er Säcke mit Soja auf LKWs. Oder er versucht – ganz für sich selbst – zu angeln, in der Hand eine Büchse »Sonnenmais«. Durfte er das? Er bleibt im Stacheldraht hängen. Ein Aufseher kommt, schreit ihn an, was er hier wolle, das sei sein Land. Er erschießt den Jungen, lautlos. Der stirbt in Zeitlupe. Wird dann wie ein Stück Vieh auf den Pickup geworfen: »Sein Blut auf meiner Ladefläche!« Kalk hilft nicht gegen Blut. Ein Vertreter der Internationalen Nahrungsmittelkonzerne tritt auf, verbreitet schöne Worte: »Wir werden das Land schützen – eine Allianz von der Regierung und Konzernen – Naturschutz …« Von irgendwoher die Gegenrede: »Das ist Greenwashing.« Dann wieder Visionen vom Sojaanbau. Der indische Punjab als Kornkammer. Für wen? »Wir sorgen für die notwendige Technologie und Wissenstransfer.« Szenenwechsel. Die Schauspieler haben weiße Gummischürzen umgebunden. Fleisch in Plastikwannen und Zinkeimern wird hereingerollt, bearbeitet. Ins Fett geschnitten, zerhackt in Stücke das Fleisch und die Haut, bis es wegspritzt. Würgen im Magen, Ekel. Dazu Trommelmusik. Vielleicht ist es nicht echt, Kunstfleisch? Fetzen fliegen herum. Ein Afrikaner steht in der Mitte des Raumes, in der Hand: Fleisch. »Angenommen, ich würde dieses Hühnerbein essen.« Der Reis ist aus Thailand, das Huhn aus Deutschland – gefroren. Auf den Kartons abgebildet, ein lachendes Huhn. »So esse ich ein Stück Europas.« Er fühle, wie sich die ganze Welt in ihm ausbreitet. »Ich esse den Müll aus Europa – die Flügel, die Füße, die Innereien und das Gehirn. Ich werde immer klüger von den Innereien vom lachenden Huhn aus Deutschland.« Er spricht es begeistert – oder sarkastisch? Ein halbwüchsiger Junge kommt. Er habe Hunger, gesteht er. Na ja, er ist knubbelig, und ein künstlicher Bauch ist ihm umgeschnallt. Er befindet sich in einem Camp zum Abnehmen, ständig konfrontiert mit den negativen Folgen seiner Freßsucht. Ein Glas mit weißer Flüssigkeit, hochgehalten als Monstranz: »Das ist dein Fett.« Was er am liebsten esse? »Chicken Wings.« Der Vertreter der multinationalen Konzerne sitzt nun neben mir auf der kleinen Treppe. Wir kennen ihn schon – es ist der Mann, der so gekonnt in sein Hühnerbein gebissen hatte. Er mußte es essen als Beweis für die Güte des Produktes. Ein Riesenhuhn mit schwarzen Federn zwängt sich durch die Tür. Es steht da und zittert, fällt um. Der dicke Junge versucht verschämt, es zu streicheln. Schnell zurück zu seiner Munition, denn es herrscht Krieg im Diätcamp. Plastikbecher, Pappkartons als Tellerersatz, alles gestapelt. Auch seine Krone: rote Pappe – so ist er King. Daneben die Wagen mit dem Fleisch. Auf dem Video Kinder in Indien oder Afrika, die ermahnt werden: »Vor dem Essen sollst du dir die Hände waschen.« Prelle hat sie sich an der Hose abgewischt, danach. Stimmengewirr – Aufruhr? Im Video noch lebende Hühner, tausende – auf einer Wiese, nicht in Käfigen. Wer ißt noch Fleisch?
Erschienen in Ossietzky 11/2014 |
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