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Die gestrenge Kubatur des Baukörpers mit einer geradezu wollüstig beschwingten Malhaut zu überziehen – ein Experiment? Im Moment des Gelingens war es keines mehr. Selbst alle Anwürfe von Staatskünstlerei und Gunsterweisung prallen vehement davon ab. Mitten ins Gesicht der Anwerfer, falls sie es nicht schon vorher verloren hatten. Ja, und nun spricht einer mit Gille. Endlich. Michael Hametner ist es. Als Literaturkenner ausgewiesen und als MDR-Figaro-Macher populär. Dieser muß verwundert in seinem Bücherschrank die vergilbten Gesprächsbücher aus den 1970er Jahre wiederentdeckt haben: Lothar Langs »Begegnungen im Atelier« und Henry Schumanns »Ateliergespräche«. Unerschöpfliche Quellen für das Erkunden individueller Lebenswege und malerischer Kunstziele. Leider so gänzlich ohne Nachfolge geblieben. Wo angesichts der grassierenden Wortlosigkeit der Kunstaktiven Gillescher Prägung das Wegbleiben der Kunstkritiker schon nicht mehr als Skandal wahrgenommen wird – da birgt Wortwechsel Erlösung. Da ist es ein Glück, daß in der Buch-und-Kunststadt Leipzig immer schon Literaten und Maler einander nahe waren. Am Ende – oder am Anfang? – sind beide womöglich befreundet. In einer Kunstlandschaft voller Provokationen neigt die Machergilde zu Animosität. Schon allein deshalb kann es Balsam für die Seele von Befremdung geplagter Kunstbetrachter sein, wie Hametner hier mit Gille spricht. Fünfzehnmal war er bei ihm, jedesmal hatte er ein Zitat eines Malerkollegen mit. Eher Vorwand oder gar vorweggenommener Einwand? Das darf das Gespräch klären. Der Gedankenfluß des zu befragenden Malers ist jedenfalls sofort davon angeregt. Die Antworten sind immer spontan und emotional, so, wie Gille sich auch auf der Leinwand ausdrückt. Höflich respektieren sie die Fragen, selbst wenn sie deutlich vom literarischen Erfahrungshorizont des Fragers bestimmt sind. Hametner war sich offenbar gar nicht bewußt, daß er sich mit mancher Fragestellung auf ein gefährliches ideologisches Minenfeld begab. Denn: Die meisten Maler sind allergisch dagegen, allzuviel Literarisches in ihre Bilder hineinzudeuten. Selbst wenn Gille an einer Stelle sagt, »Form muß immer irgendwo angebunden sein, an Inhalt«, dann meint er geistigen Gehalt oder meinetwegen vergeistigte Materie. Oft genug mußte er Front machen in seinem Malerleben gegen plattmachende und glättende Deutungen. Öffentlichkeit urteilt immer oberflächlich und vordergründig. Innerlichkeit erst kann dem Wesen des Bildes gerecht werden. Gille leidet spürbar darunter. Selbst wenn ein Anflug von Zorn die Antworten farbiger macht – der immer Leidenschaftliche urteilt sachlich. Da gibt es eben die Namen seiner sächsischen Landsleute, die aus dem kostbaren Privileg ihres rechtzeitigen Ankommens in der Gesellschaft, die heute allein zählt und zahlt, bis heute ein enormes Kapital zu schlagen in der Lage sind. Als Baselitz wagte, alle aus seiner Sicht Zurückgebliebenen als Arschlöcher abzuqualifizieren, hat es denen leider auf Dauer die Sprache verschlagen. Auf den Hardliner ist der Haß fixiert. Gerhard Richter, den Softplayer im Vergleich dazu, bringt Hametner klugerweise mehr ins Gespräch. Gilles Argumente zu ihm sind kompetent. Hier äußert sich der Maler ganz überlegt. Er muß sich nicht wütend entäußern. Er meldet schlicht leise Zweifel an. »Wenn Richter die Gesichter grau in grau hält und denkt, er ist dann ohne Plus und Minus, zieht er sich nicht auf die Malerei zurück, sondern vermeidet sie. Eine Ideologie der Vermeidung.« Unerbittlich kommt Hametner immer wieder auf die Frage zurück, wie wichtig die mögliche Verbindung zu vorhergegangenen Malern war. Corinth und Beckmann verehrt Gille so wie seinen Lehrer Bernhard Heisig – von einer bequemen Nachmacherei womöglich über mehrere kunstgeschichtliche Etappen hinweg kann aber gar keine Rede sein. Es war der elementare Furor dieses Berserkers Heisig, der bis tief in die Nächte malend seinem Ingenium gehorchte, was Gille inspirierte – nicht zum selben Ergebnis, vielmehr zum Eigenen. Stets ergebnisoffen. »Es sollte Indien sein und war Amerika. Bitteschön, dann eben Amerika.« So stellt Gille ganz lapidar die eigene Überraschung von mancher Bildfindung dar. Kann man in dieser Richtung schon von einem Neo-Expressionismus in der Leipziger Malerei sprechen? Das, wohlgemerkt, ist meine Worterfindung. Aber eine Kunst à la Gille ist eben gar nicht einzugrenzen auf dies oder das. Mit seiner Nähe zu im englischen Kunstbetrieb fest verankerten jüdischen Malkollegen wie Auerbach, Hockney, Lucien Freud oder Kitaj deutet er selbst eine viel weitergehende globale Vernetzung an. Inzwischen längst überholte ideologische Scheuklappen grenzen ja alles auf DDR-Boden einst Entwickelte mit der Marke »Sozialistischer Realismus« ein, ohne die permanente Sprengung jener Norm zu bemerken. Schade, daß Hametner diesen Widerspruch nicht deutlicher machen konnte. Verhalten von Künstlern zu DDR-Zeiten nur aufs Verdienen von Westgeld oder Ostgeld zu reduzieren, wird ihrer damals bereits emanzipierten Stellung nicht gerecht. Nun bleibt ein Gespräch ja immer ein Gespräch. Überraschende Erkenntnisse werden von eher zufälligen Bemerkungen abgelöst. Nach der gesprächsweisen Erkundung suchen wir Leser nach Verallgemeinerung. Das vom Mitteldeutschen Verlag einigermaßen opulent mit Farbabbildungen ausgestattete Buch ist gleichzeitig ein Bildband. Genau das, wonach wir lange schon gefragt haben – was gibt es Neues von Gille? – wird damit beantwortet. Einer vom Jahrgang 1941 hat schließlich etwas vorzuzeigen. Und das gerade erst kürzlich Entstandene muß sich vor den seinerzeit populären Jugendwerken nicht verstecken. Womöglich ist alles noch explosiver in seiner Unmittelbarkeit geworden. Die latente Erotik in Gilles Formsprengung und seinem Farbgewühl kommt sowohl verfeinert im Grafischen oder übersteigert im Pinselduktus zum Ausdruck. Schön, wie stark das bildlich Wahrnehmbare mit dem wörtlich Nachlesbaren korrespondiert. Ein wichtiges Buch – bitte, auch westwärts als Lesestoff zu empfehlen. Michael Hametner: »Einkreisen. 15 Gespräche – ein Porträt des Malers Sighard Gille«, Mitteldeutscher Verlag, 192 Seiten, 24,95 €
Erschienen in Ossietzky 9/2014 |
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