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Das eine, von dem Franzosen mit deutschen Wurzeln François de Beaulieu: »Mein Vater, Hitler und ich«, erschienen im Donat-Verlag, Bremen. Das andere von Jutta Ditfurth: »Der Baron, die Juden und die Nazis« bei Hoffmann und Campe, Hamburg. François de Beaulieu beschreibt das Leben des 1913 in Bremen geborenen Vaters. Der Großvater fiel an der französischen Westfront als Hauptmann in preußischer Uniform. Auch sein Sohn – und Verfasser – Vater Francois Chales de Beaulieu wurde eingezogen, im Zweiten Weltkrieg. Er besaß Sprachkenntnisse und wurde darum als Funker eingesetzt in der Abteilung »Fremde Heere West« des Oberkommandos der Wehrmacht. Doch gleichzeitig hielt er Kontakt zu Widerstandsgruppen, so den Quäkern, und er verlobt sich mit einer Jüdin. In seiner Funktion bekam er Informationen, die als streng geheim galten. Er gab Berichte über die Lage an der Ostfront an Freunde weiter und landete vor dem Kriegsgericht. Entlastungszeugen und ein guter Anwalt verhalfen dem Unteroffizier de Beaulieu zu einer verhältnismäßig geringen Strafe: sieben Monate Haft, dann Kriegsdienst im Strafbataillon in der Ukraine. Was half ihm? Sein Name. Irgendwo gab es stets Verwandte, die er aufspürte. Er hätte gerne ein Buch geschrieben: »Die Genealogie schützt das Leben.« Er fand 64 direkte Vorfahren heraus, von der mütterlichen Seite 124. In dieses Buch, das zum großen Teil aus seinen Aufzeichnungen besteht, flossen insgesamt 35 de Beaulieus ein, was die Übersichtlichkeit fördert. Welche »Glanzleistung« im August 1943 bei der Schlacht von Kursk ein entfernter Vetter, der Generalmajor Walter Chales de Beaulieu vollbrachte, wird nicht verraten. Der Unteroffizier mußte in der Ukraine Panzergräben ausheben. Und erlebte auch das: mitleidige alte Mütterchen, die den Soldaten Säckchen mit Sonnenblumenkernen schenkten, weil die so »traurig« dreinschauten. Im Brief an eine Freundin berichtet Francois von seiner zwangsweisen Eingliederung in die SS. Sein Paßbild zeigt ihn in Uniform, mit SS-Rune am Kragen. Das müssen ja merkwürdige Elite-Korps sein, meinte er, wenn sie einen »Vorbestraften«, der in »verjudeten Kreisen« verkehrte, aufnähmen. Später dann dieser Satz: »Manche der fliehenden Soldaten trugen, wohl nicht aus freiem Willen, weil zwangsweise zugeteilt, die Uniform eines SS-Regiments und tauschten sie gegen die Ausrüstung toter Wehrmachtsangehöriger.« Er glaube an das Gute im Menschen. Sein Vorbild war Dietrich Bonhoeffer. Daß Widerstand nicht erst während der NS-Zeit entstand, sondern schon in der Weimarer Republik, darauf weist Helmut Donat in seinem Nachwort hin. Ein Offizier aus Bremen wird als Mann des Widerstandes, als Mitverschwörer geschildert. Verleger Donat fragt: »Welche Haltung nehmen wir gegenüber einem Offizier wie Helmuth Großcurth ein, der sich wie andere Militärs seit 1938/39 im Widerstand gegen Hitler befunden, aber in den Jahren zuvor dessen Eroberungspolitik unterstützt sowie vor 1933 dazu beigetragen hat, die Weimarer Republik zu zerstören und den Nazis den Weg zu ebnen?« Helmuth Großcurth gehörte, sowie auch Admiral Wilhelm Canaris, der »Organisation Consul« an, eng verbunden mit dem Korvettenkapitän Hermann Erhardt, der verantwortlich war für die Attentate auf Matthias Erzberger, Walter Rathenau, Philipp Scheidemann, Maximilian Harden, Karl Gareis und Hellmut von Gerlach. Erhardt und seine Brigade gehörten zu den Aktivisten des Kapp-Putsches. Canaris übertrug Großcurth 1938 die Leitung der »Abteilung II der Amtsgruppe Auslandsnachrichten und Abwehr«. Donat fragt: »Sind ihm, weil er später in den Widerstand ging, deshalb mildernde Umstände zuzubilligen?« Und weiter: »Muß man in Deutschland erst Mittäter gewesen sein, um später als Vorbild zu gelten?« Jutta Ditfurth fragt sich das alles auch. Sie geht noch weiter zurück, bis zu Luther und zur deutschen Romantik. Zum Vorleben der Männer des Widerstands des 20. Juli lesen wir über Fritz Dietlof von der Schulenburg, was er in einer Denkschrift forderte: »schonungslose Maßnahmen« gegen »Gesindel« und »Lebensschwache«, auch gegen »Dauerkranke, Irre und Krüppel« und den »größten Teil der heutigen Arbeiterschaft«. Elitäres Denken, selbst bei diesen Männern. Das Buch ist eine »Reise in eine Familiengeschichte«, jene der Jutta Ditfurth, die bewußt ihr »von« abgelegt hat. Geholfen haben ihr Briefe, Tagebuchaufzeichnungen aus dem Umkreis der Familie. Unter Adligen sind ja alle irgendwie miteinander verwandt. Schon bevor die Nazis die Blutreinheit entdeckten, hier wurde sie vom Adel hochgehalten. Juden galten als Fremdkörper. Ditfurth findet, mit zwei Ausnahmen, nur Antisemiten in der Familie. Ihr Urgroßonkel Börries von Münchhausen, bekannt als Balladendichter, hatte am Anfang seiner Laufbahn ein Buch »Juda« geschrieben, mit Illustrationen von Ephraim Moses Lilien. Wegen dieses, damals längst vergriffenen Bandes von 1900 attackierte Mathilde Ludendorff, Frau des berüchtigten Generals, Münchhausen als »großen Freund der Juden«. Auch andere monierten die jüdischen Symbole und Zeichnungen. Der Dichter »säuberte« sein Werk von all jenen Juden, die er gerade noch als fast ebenbürtig angesehen hatte, Zionisten waren zunächst geduldet. Was Theodor Herzl, als Zionist, sich vom Kaiser Wilhelm II. erhoffte – seine Tagebucheintragungen machen heute sprachlos. Der Kaiser konnte sich ein zionistisches Protektorat vorstellen – so wie Kamerun oder Deutsch-Südwestafrika. Herzl in einem Brief an Bernhard von Bülow (1898): »Wenn unser Werk mißlänge, würden Hunderttausende unserer Anhänger mit einem Ruck zu den Umsturzparteien übergehen.« Aber aus des Kaisers Protektorat Palästina wurde nichts. Die ersten Juden, schrieb Münchhausen, seien großgeworden durch »Menschenzüchtung, durch Reinhaltung der Rasse«. Das sei der »Urgrund des historischen Bewußtseins bei den Juden wie beim Adel«. Das war 1904. Dann heiratete er, natürlich eine Adlige, Anna von Breitenbuch, eine reiche Witwe, und bekam so ein Schloß. Mit Agnes Miegel – nicht ebenbürtig – ist er befreundet und mehr. Auch mit Lulu von Strauß und Torney, beide Dichterinnen. Und Münchhausen wird Kammerherr bei der Herzogin Adelheit von Sachsen-Altenburg, mit vielen Lesungen beim Hochadel. Eine Reserveübung – ein kurzer Dienst bei Kaiser Wilhelm II. Er ist »ganz bezaubert von dieser überlegenen Persönlichkeit« (so wie er später über Goebbels ins Tagebuch notiert: »bestrickend liebenswürdig wie immer«). Den Krieg besingt er als »Aller Dinge mächtigstes« und »Aller Güter herrlichstes: Sieg!« Nur ein paar Monate, dann kam er vom Feld zurück wegen seiner »lockergerittenen Niere«. Aber Lesungen fanden statt – seine Auflagen stiegen. Die Militärs sind begeistert von seinen Werken, besonders Hindenburg. Der Dichter wendet sich den »Alldeutschen« zu, spricht 1916 vom Tausendjährigen Reich, das anbricht, und im Herbst bekommt er eine militärische Stelle des Auswärtigen Amtes. Jutta Ditfurth belegt alles mit Anmerkungen, die oft genauso wichtig sind wie der übrige Text. (leider fehlt ein Register). Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Urgroßmutter Gertrud von Raven-Beust und deren Familie. Alles beherrschend: Haß gegen Juden und Sozis. Mitglieder des Ditfurth-Clans waren ebenfalls in der Organisation Consul (OC) tätig. – Der Großonkel Hans-Joachim von Ditfurth, 1908 geboren, war von 1923 bis 1925 Mitglied der Brigade Ehrhardt und der Organisation Consul, später der Waffen-SS. Erstaunlich, oder auch nicht, daß in Adelskreisen viele Informationen schon früh bekannt waren. Im Ersten Weltkrieg über jene »deutsche Wunderwaffe«, die tatsächlich drei Monate später eingesetzt wurde: Giftgas. Jutta Ditfurth schreibt über ihre weiblichen Verwandten, sie seien »nicht unpolitisch«, sondern »aggressive rechtsradikale Republikfeindinnen« gewesen. Sie lasen antisemitische Bücher, schrieben ebensolche Briefe und waren Anhänger der Deutschnationalen Volkspartei. Der große Held – nach Hindenburg – war General Paul von Lettow-Vorbeck. Er und eine Reihe von Verwandten der Ditfurths übten in Deutsch-Ostafrika »Kriegsmethoden ein, die eines Tages an der Ostfront und im Kampf gegen Partisanen und Juden genutzt werden würden«. Lettow-Vorbeck war bei der »Schutztruppe« in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika Erster Adjutant von Generalleutnant Lothar von Trotha – meine Lehrer mußten ihn gekannt haben. Die »Deutsche Adelsgenossenschaft« (DAG) setzte schon 1920 einen Arierparagraphen durch. Ein Satz, der mehr noch für das Buch von de Beaulieu zutrifft: Was liebte der Adel? »Blutsverwandte zu suchen und komplizierte Verwandtschaftsbeziehungen zu erforschen.« Immer wieder: die Reinhaltung des Blutes – nur Adel »ohne jegliche unarische Beimischung«. Münchhausen: »Eine Kreuzung von Mops und Dackel ergibt immer nur ein Mistvieh.« Und so auch beim Menschen: Arier und Jude »ergibt immer einen Bastard«. Grotesk, die Angst vor Vernichtung des »reinen blau-blonden Stammes«. Der deutsche Dichter haßte die Moderne als widernatürlich und somit auch den Expressionismus. Und die Juden – und Alfred Döblin. Else Lasker-Schüler war für Münchhausen »die übelste Jüdin des Tiergartens«. Es gab viel Streit in der Akademie der Künste, Sektion Dichtkunst. In Berlin war beschlossen worden, auch »Essayisten« in die Akademie aufzunehmen. Münchhausen meinte, dahinter steckten »Alfred Kerr und vier andere Berliner Juden«. Er glaubte: Siegfried Jacobsohn von der Weltbühne und »ein gewisser Leopold Schwarzschild, da es andere als jüdische Essayisten von Wert überhaupt nicht gab«. Das stärke nur das »zersetzende Element«. Das letzte Kapitel führt nach Sachsen, in die kleine Stadt Kohren-Sahlis. Dort sollte das 550jährige Stadtjubiläum gefeiert werden – und der Urgroßonkel von Jutta Ditfurth, Börris Freiherr von Münchhausen. Er hatte von 1902 bis 1920 mit Familie auf dem Rittergut gewohnt, danach auf Schloß Windischleuba in der Nähe. Der PDS-Abgeordnete und Stadtrat Günter Bauer wehrte sich gegen eine Ehrung von Münchhausen. Er kam bei der dortigen CDU-Mehrheit nicht durch. Einer der Stadträte ist seit 1999 Georg-Ludwig von Breitenbuch, ein Urgroßneffe des Dichters. Außerdem Reservist, Landwirt und noch so einiges in der Partei. Er wurde auch in den Sächsischen Landtag gewählt 2009, als Direktkandidat für den Landkreis, zu dem Kohren-Sahlis gehört. Die Festwoche fand 2003 statt –wie geplant. François de Beaulieu: »Mein Vater, Hitler und ich«, übersetzt von Karl Holl, Donat Verlag, 240 Seiten, 14.80 €; Jutta Ditfurth: »Der Baron, die Juden und die Nazis. Reise in eine Familiengeschichte«, Hoffmann und Campe, 400 Seiten, 21,99 €
Erschienen in Ossietzky 9/2014 |
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