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Das begann im Mai 1943 mit der dreimonatigen Zeit beim Reichsarbeitsdienst, wo man uns den befehlsgemäßen Umgang mit dem Spaten beibrachte. Das Graben zum Beispiel ging nach dem Kommando »Schuub! Huub! Wuurf!« Und das Präsentieren des Spatens nach dem ebenfalls zackig ausgesprochenen Kommando »Den Spaten – über!« Selbstverständlich wurde man auch an die mit Stockbetten und winzigen Behältnissen für Kleidung und sonstige Sachen ausgestatteten Acht-Mann-Zimmer gewöhnt, an den Terror des rasend schnellen Aufstehens nach dem frühen Wecken, an den huschhusch zu erledigenden Besuch des Klos oder des »Donnerbalkens« und die Huschhuschwäsche in dem mit zahlreichen Kaltwasserhähnen versehenen Waschraum. Bei alledem waren die im Vorteil, die sich nicht scheuten, ihre Ellbogen zu gebrauchen. Dann Raus- und Antreten in Uniform und mit dem Spaten vor der Kaserne. Das »Morgen, Männer!« des Feldmeisters war im gebrüllten Chor zu beantworten. Und los ging’s mit Gesang zur Arbeit oder zum Exerzieren. Ich habe das alles als kaum erträglichen Wechsel von der privilegierten Existenz eines verwöhnten Einzelkindes wohlhabender Eltern zu einem primitiven fremdbestimmten Kollektivdasein erlebt. Aber das war nur die Vorstufe zu dem gesteigerten Terror des Rekrutendaseins in der Wehrmacht, wo Leute, die es schon zum Gefreiten oder gar zum Unteroffizier gebracht hatten, ihre Macht über zum Gehorsam verpflichtete junge Menschen demonstrieren durften. Oft mit entwürdigenden, sadistisch motivierten Befehlen, wie: »An den Horizont marsch, marsch!«, »Auf! Hinlegen! Auf! Hinlegen! ...«, oder Liegestütz und Kniebeugen bis zur Erschöpfung. »Können Sie nicht oder wollen Sie nicht?«, »Rufen Sie: ich bin eine Flasche! ... Lauter!« und dergleichen. Erich Kästners Gedicht »Sergeant Waurich« ist mir aus der Seele gesprochen. Die schlitzohrige Gelassenheit des braven Soldaten Schwejk gegenüber dem militärischen Terror hatte ich leider nicht. Gestohlene Jugend. Wir hätten lieber die geplanten Reisen mit Freunden auf Motorrädern gemacht und lieber in Jugendherbergen übernachtet als in Kasernen eingesperrt und irrationaler Befehlsgewalt unterworfen zu sein. Lieber hätten wir die wertvolle Lebenszeit genutzt, um uns auf den Beruf vorzubereiten. Lieber hätten wir statt Heeresdienstvorschriften Abenteuerbücher gelesen, lieber musiziert als Gewehre gereinigt, lieber im weichen Bett geschlafen als bei nächtlichem Alarm vor Müdigkeit umzufallen, lieber mit Mädchen getanzt und geflirtet, Ausflüge gemacht und Feste gefeiert, als primitive Besäufnisse mitzumachen. Und lieber hätten wir die Menschen anderer Länder als Freunde kennengelernt, als ihre Tötung zu üben. Aber auch das war erst ein Anfang. Der Terror der militärischen Ausbildung hatte den sicher nicht unbeabsichtigten Erfolg, daß man sich als junger Mensch auf den »Einsatz« freute, der einem als Befreiung vorschwebte. Und der Einsatz kam dann auch. Und sah anders aus, als man sich ihn gedacht hatte. Als wir im Januar 1944 nach tagelanger Fahrt in Güterwagen eng auf Stroh gelagert in Italien ankamen, wurden wir mit der Nachricht empfangen, daß ein Kamerad, der in der Kaserne auf meiner Stube gelegen hatte und wenige Tage vor mir auf Transport gegangen war, auf eine Mine getreten und an den Verletzungen gestorben sei. Er hatte eine schöne Tenorstimme, hat uns oft sentimentale Lieder wie »Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen« vorgesungen und wäre wahrscheinlich ein bekannter Sänger geworden. Wir hatten schon einmal an seinem Schicksal Anteil genommen, als er erfahren hatte, daß bei einem Luftangriff auf seine Heimatstadt Kassel mehrere Familienangehörige getötet worden waren. Jetzt hörten wir, daß er auf dem Sterbelager noch einen Brief an seine Eltern diktiert hatte, in dem er den Sinn seines Lebens und seines Todes so getreu der damals herrschenden Ideologie formuliert hatte, daß der Brief vor der ganzen Kompanie als vorbildlich verlesen wurde. Er hatte keine Gelegenheit mehr, zum Antifaschisten und Kriegsgegner zu werden. Mein erster Einsatz war südlich von Rom, wo die US-Amerikaner bei Nettuno gelandet waren und einen Brückenkopf gebildet hatten. Dort entwickelte sich ein Stellungskrieg, bei dem wir tage- und nächtelang in Schützenlöchern hockten und die Köpfe einzogen, wenn amerikanische Scharfschützen uns aufs Korn nahmen oder Granaten heranheulten. Wenn die Amerikaner uns mit Panzern überrollt und über dem Schützenloch gedreht hätten, hätte uns Kopfeinziehen nicht gerettet. Um wenigstens einen gewissen Schutz vor Gewehrfeuer und Granatsplittern zu haben, mußte man Schützenlöcher graben können. Und dazu brauchte man einen Klappspaten. Ich hatte keinen, mußte ihn mir von einem Kameraden borgen, der sich irgendwo in der Nähe eingegraben hatte. Ich entdeckte einen am Gürtel eines toten amerikanischen Soldaten, der etwa 50 Meter entfernt zwischen den feindlichen Linien lag. In der Nacht robbte ich zu dem toten Kameraden in der anderen Uniform, löste den Spaten von seinem Gürtel und kam, wiederum robbend, heil zurück. Ein Erlebnis, das unbedeutend erscheint, wenn man die Gefahr, die Angst und die Dankbarkeit außer Betracht läßt. Auch die Kunst, durch Abgabe ungezielter Schüsse den Anschein vaterländischer Aktivität zu erwecken, war mir nicht fremd. So wurde unsere Nachtruhe am Bahndamm von Littoria, die darin bestand, sich an der Böschung auf die Erde zu werfen und völlig übermüdet sofort einzuschlafen, alle paar Minuten durch den Befehl unterbrochen, einige hundert Meter weiter zu laufen und dann ein paar Schüsse in der Richtung abzugeben, in der die amerikanische Schützenlinie zu vermuten war. Erst durch ein Buch von Gerhard Zwerenz (»Soldaten sind Mörder«), der in derselben Gegend Italiens wie ich Soldat gewesen sein muß, wurde mir klar, welchem militärischen Zweck diese Abgabe ungezielter Schüsse dienen sollte. Es ging offenbar darum, den Amerikanern eine zusammenhängende deutsche Front vorzutäuschen. Wenn sie unsere wirkliche Schwäche gekannt hätten, wäre es eine Kleinigkeit für sie gewesen, uns zu überrollen. Ich erinnere mich auch an das Vorrücken unserer sMG-Gruppe (= schweres Maschinengewehr mit Lafette), in der ich als Schütze 3 für das Tragen der Munitionskästen zuständig war, durch eine Bachschlucht, an deren Böschung unsere Einheit eine Frontlinie bilden sollte. Auf dem schmalen Fußpfad mußten wir über die Leichen deutscher Soldaten steigen, auch über die Leiche des Schützen 1 einer anderen sMG-Gruppe, der seinen Kopf wohl etwas zu hoch über die Deckung gehoben und einen Schuß in die Stirn erhalten hatte. Italien kann im Januar sehr kalt sein. Die Nacht am Bahndamm von Littoria hat sicher dazu beigetragen, daß ich an Lungenentzündung erkrankte. Ich merkte nur, daß mir das Atmen immer schwerer wurde und daß ich mit den Munitionskästen weit hinter meinen Kameraden zurückblieb. Die Bahnlinie lag unter Granatwerferbeschuß, aber ich war so erschöpft, daß ich mich mit meinem schweren Gepäck nicht mehr hinwarf, wenn eine Granate in meiner Nähe explodierte. Ich dachte: Wenn mich eine trifft, ist die ganze Quälerei vorbei. Zu meinem Glück stellte ein junger Arzt die richtige Diagnose und schickte mich nach Orvieto, wo ich in einen Lazarettzug eingeladen wurde. Ich kam nach Cortina d’Ampezzo, wo alle Hotels zu Lazaretten umfunktioniert und mit roten Kreuzen auf den Dächern vor Luftangriffen geschützt worden waren. Mein Aufenthalt im Hotel Bellavista (das inzwischen einem Neubau gewichen ist) sollte mehrere Monate dauern, weil sich ein sehr fürsorglicher Arzt, Professor Lapp aus Wien, nicht nur meiner Lunge, sondern auch einer hartnäckigen Furunkulose annahm und mein allmähliches Gesundwerden mit großzügigen Ausgangsgenehmigungen förderte. Er hatte wohl auch den Ehrgeiz, mich ein bißchen aufzupäppeln. Als einmal ein höherrangiger Militärarzt zur Besichtigung erschien, stellte er mich dem wohlgenährten Kollegen vor mit den Worten: »Dieser Patient wurde bei uns mit einem Gewicht von 57 Kilo eingeliefert, jetzt wiegt er 64 Kilo.« Es schloß sich noch ein zweiwöchiger Genesungsurlaub im Hotel Villa Argentina an, den ich auch in angenehmer Erinnerung habe. In der Zauberbergatmosphäre des Erholungsheims hatte sich eine Insel der Zivilisation gebildet, die sich merklich von der sonst herrschenden militärischen Verrohung der Menschen unterschied. Als Patienten verwandelten sich die uniformierten Hampelmänner des militärischen Apparats wieder in Menschen mit individueller Persönlichkeit, die auch zum Lachen und zur Selbstironie fähig waren. Ich lernte hier den österreichischen Komponisten Werner Hübschmann kennen, der meine Begeisterung für Mozarts Musik teilte. Von ihm lernte ich einiges über die Musik von Wagner, Verdi und Hindemith. Wagner lehnte er ab, Verdi und Hindemith schätzte er sehr. Es entstand eine spontane Freundschaft. Leider riß die Verbindung ab, als wir wieder vom militärischen Apparat aufgesogen wurden. Als ich ihn endlich im Internet wiederfand, erfuhr ich, daß er Musikprofessor in der DDR geworden, aber schon 1969 gestorben war. Die Monate in Cortina d’Ampezzo bildeten den einzigen Lichtblick in meiner Militärzeit. Am schlimmsten waren die letzten Kriegswochen, die ich als Soldat an der nun schon in Schlesien und Sachsen verlaufenden Ostfront erlebt habe. Mir stehen noch einige Szenen vor Augen. Etwa der russische Soldat, der bei der Rückeroberung eines deutschen Dorfes gefangen genommen worden war und nun im Vorgarten eines Hauses mit Händen über dem Kopf kniete, von deutschen Soldaten umstellt. Wir hörten einem Gespräch zu, das ein der russischen Sprache mächtiger Kamerad mit dem Mann führte. Wir erfuhren, daß er Familie und Kinder hatte. Als er sagte: »Ich weiß, daß ihr mich erschießen werdet«, ging ich entsetzt weg, um das nicht mitzuerleben. Fortsetzung folgt
Erschienen in Ossietzky 9/2014 |
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