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Danach stehen also die sowjetischen Soldaten, die Auschwitz befreit haben, moralisch auf derselben Stufe, wie die SS-Schergen, die das Lager bis dahin bewachten. In Wirklichkeit geht es selbstverständlich um etwas anderes: Der Kommunismus als Menschheitsidee, die die bestehenden Besitzverhältnisse in Frage stellt, soll tödlich getroffen werden, indem man sie gedanklich an den Holocaust kettet. Die große Auseinandersetzung mit der kommunistischen Weltmacht China wirft ihre Schatten voraus. Der plumpe Antikommunismus aus der Zeit des Kalten Krieges hilft da nicht weiter. An seine Stelle soll, wie Bundespräsident Joachim Gauck vorgeschlagen hat, ein »aufgeklärter Antikommunismus« treten, der aus der »Erfahrung von Willkür und Unrecht« entstanden sei, obwohl das letztlich Jacke wie Hose ist. Jedenfalls hält er ihn für ein »Erfordernis zur Verteidigung unserer politischen Kultur, und – aus Empathie mit den Opfern – als ein Gebot des Humanismus«. In der Tat erwarten die Opfer des Stalinschen Terrors völlig zu Recht, daß auch ihr Leid gewürdigt wird. Warum das allerdings an einem gemeinsamen Gedenktag für die Opfer aller totalitären Regime geschehen soll, den das Europäische Parlament vor fünf Jahren beschlossen hat, leuchtet nicht recht ein. Dazu sind die Lebenserfahrungen der Menschen in Ost und West wohl doch zu verschieden. Nicht von ungefähr haben sich bislang nur fünf der 28 EU-Mitgliedsstaaten der Idee angeschlossen. Zu den Initiatoren des gemeinsamen Gedenktages gehört der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, der von der CSU ins Europa-Parlament entsandt worden ist. Sein Beitrag zur Einebnung der europäischen Geschichte besteht darin, die Vertreibung der Deutschen als »gezielten Völkermord« zu denunzieren und dem millionenfachen Mord an den Juden gleichzustellen. Persönliche Gefühle sollten niemals zu politischen Zwecken mißbraucht werden. Das hat mich immer abgestoßen. Ich habe auch nicht verstanden, daß Helmut Kohl 17 Jahre nach dem Untergang des sogenannten Dritten Reiches erklärte, der zeitliche Abstand sei noch zu kurz für ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus. 17 Jahre nach dem Ende der DDR hat niemand gesagt, der zeitliche Abstand sei noch zu kurz für ein abschließendes Urteil über den dort praktizierten Sozialismus. Und es hat auch niemand danach gefragt, warum es so etwas wie die Montagsdemonstrationen gegen die kommunistische Herrschaft in der DDR nicht auch gegen die Nazidiktatur gegeben hat. Es liegt wohl an der inneren Disponiertheit eines Großteils der Deutschen. Auch in anderen Ländern hat es nach dem ersten Weltkrieg Massenarbeitslosigkeit gegeben, aber nur in Deutschland sind Millionen einem Hetzer wie Hitler nachgelaufen. Der ungarische Schriftsteller und Dramatiker Sándor Márai spricht in seinem Roman »Bekenntnisse eines Bürgers« von einer »inneren Unordentlichkeit« der Deutschen: »Heimlich befiel mich in dieser langen Nacht schon das Heimweh nach dem anderen, dem bekannteren, heimischeren, dem treulos verlassenen Europa, dem anderen Deutschland. Ja, vielleicht waren die Deutschen wirklich gefährlich für Europa mit ihrem ungesühnten mythischen Schuldbewußtsein, ihrem erbarmungslosen Ordnungsdrang und ihrer inneren Unordentlichkeit. Doch hinter diesem pedantischen und wirren, säbelrasselnden und in seiner Furcht kämpferischen und manisch organisierenden Deutschland dämmerte deutlich und unauslöschlich in sanftem Schein das andere, und wer wußte, wer wagte zu sagen, welches das wahre ist.« (Piper Verlag, München 2000, aus dem Ungarischen von Hans Skirecki). Wie ein roter Faden zieht sich die »innere Unordentlichkeit« der Deutschen durch die Geschichte. Sie bewirkt jene Ambivalenz im Urteil unserer europäischen Nachbarn, die manche als Undankbarkeit empfinden. Irritiert stellte die Süddeutsche Zeitung unlängst fest: »Je mehr Deutschland den Takt angibt in der Gemeinschaft, desto mehr Widerstand provoziert es.« Wenn es um Auslandseinsätze geht, sieht die Sache plötzlich ganz anders aus. Da sollen wir den Takt angeben, da sollen wir uns einmischen, auch militärisch. Wahrscheinlich weil es dann für die anderen billiger wird. Nach den Worten von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in der SZ ist Deutschland »zu groß, um die Weltpolitik nur zu kommentieren«. Es werde »zu Recht von uns erwartet, daß wir uns einmischen«. Bei seinem Parteifreund Rudolf Scharping hörte sich das einst anders an. »Das wollen wir nicht mitmachen«, sagte er als SPD-Vorsitzender zu der Forderung, »die Deutschen müßten, wie alle anderen auch, überall auf der Welt militärisch intervenieren können«. Das war 1993. (FR 9.10.1993) Wenige Jahre später schickte ein Sozialdemokrat deutsche Soldaten nach Afghanistan, weil am Hindukusch Deutschlands Sicherheit verteidigt werden mußte. Inzwischen hat eine CDU-Verteidigungsministerin und Mutter von sieben Kindern die Mütter in Deutschland darauf vorbereitet, daß ihre Söhne und Töchter nach Afrika geschickt werden könnten, um dort die Sicherheit Deutschlands zu verteidigen und Terroristen zurückzudrängen. Was würde sich Ursula von der Leyen vergeben, wenn sie hinzufügte, daß es auch um anderes geht, in Mali beispielsweise um Uran, das Frankreich für seine Atomkraftwerke dringend benötigt. Oder darum, der chinesischen Konkurrenz bei der Ausbeutung der afrikanischen Bodenschätze Paroli zu bieten. Das kommunistische China ist inzwischen größter Handelspartner einer Vielzahl afrikanischer Staaten und – was einem schier den Atem verschlägt – größter Kreditgeber der USA. 2012 stand die westliche Führungsmacht in Peking mit 1,17 Billionen Dollar in der Kreide. Ich gehöre nicht zu denen, die Militäreinsätze generell ablehnen, vorausgesetzt sie beruhen auf einem Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit muß die internationale Staatengemeinschaft in der Lage sein, einer Bedrohung des internationalen Friedens wirksam zu begegnen. Leider hat man sich nicht immer an die Regeln gehalten. Daher das Unbehagen vieler Menschen gegenüber Auslandseinsätzen. Mit ihren Überlegungen für ein – wie es verharmlosend heißt – verstärktes weltweites Engagement ignoriert wieder einmal eine Große Koalition wie seinerzeit bei den Notstandsgesetzen den Mehrheitswillen der Bevölkerung. Die wahren Gründe des Geschehens erfahren wir in der Regel erst Jahre später. So wird das auch beim Konflikt um die Ukraine und die Krim sein. Als sich der Kosovo 2008 von Serbien abspaltete, sah der sogenannte Westen keinen Grund zur Kritik. Er hatte das Ganze schließlich inszeniert. Der Internationale Gerichtshof befand in einem Rechtsgutachten, die Abspaltung sei völkerrechtlich nicht zu beanstanden. Das veranlaßte den Völkerrechtler Professor Michael Bothe zu der Feststellung, doppelte Standards, die je nach Sympathie der einen oder anderen Seite Rechtsmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit bescheinigen, dürfe es nicht geben (SZ 6.3.2014). Kürzlich las ich in der Süddeutschen Zeitung, die Abspaltung eines Landesteils sei nur dann legitim, wenn sie einen Notstand beseitige. Eine Teilbevölkerung dürfe sich von ihrem Staat trennen, wenn sie so bösartig unterdrückt und ihrer ethnischen Eigenheit beraubt werde, daß eine friedliche innerstaatliche Lösung ausgeschlossen sei. Davon könne auf der Krim keine Rede sein. Das mag wohl zutreffen. Daß mit dieser Argumentation die Abspaltung des Sudetengebietes von der Tschechoslowakei durch Hitler für legitim erklärt wird, ist dem Verfasser entgangen, mir als Betroffenem aber nicht (SZ 14.3.2014). »Menschen, ich hatte Euch lieb, seid wachsam«, mahnte der tschechische Schriftsteller Julius Fučik, bevor er 1943 in Berlin vom Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freisler zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Wir sollten uns gelegentlich daran erinnern. Auszug aus der Rede, die Conrad Taler (Kurt Nelhiebel) bei der Entgegennahme des Kultur- und Friedenspreises der Villa Ichon am 15. März 2014 in Bremen gehalten hat. Die Redaktion »Ossietzky« gratuliert zum Preis.
Erschienen in Ossietzky 9/2014 |
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