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Damit schufen die kubanischen Politiker die Voraussetzungen, um die Wirtschaft des Landes für ausländisches Kapital attraktiver zu machen. Kernpunkte des Regelwerks sind Bürokratieabbau, Steuererleichterungen für Investoren, Senkung von Importzöllen und die Zulassung von Joint Ventures, die bisher nur im Verbund mit staatlichen Unternehmen erlaubt waren, auch für den privaten Landwirtschaftssektor und für Kooperativen. Die Führung des Landes erhofft sich davon einen Investitions- und Technologieschub. Um das Gesellschaftsmodell eines »wohlhabenden und nachhaltigen Sozialismus« weiterzuentwickeln und »die dazu notwendigen großen Projekte« auf den Weg zu bringen, brauche Kuba pro Jahr zwei bis 2,5 Milliarden Dollar ausländische Investitionen, sagte der Vizepräsident des Ministerrats, Marino Murillo, im Parlament. Der Abstimmung war ein wochenlanger Diskussionsprozeß vorausgegangen, an dem die Abgeordneten der Provinzparlamente, Gewerkschaften und Vertreter anderer sozialer Verbände beteiligt waren. Die kubanischen Medien hatten seit Wochen über die teils kontroversen Debatten berichtet. Obwohl also weder Inhalt noch Termin der Entscheidung überraschend kamen, sorgte sie international für Schlagzeilen. »Kuba macht auf Kapitalismus«, meldete der Nachrichtensender N24, und die Frankfurter Rundschau kommentierte: »Mit dem neuen Investitionsgesetz wirft das sozialistische Land … fast alle Überzeugungen über Bord, die es in mehr als 50 Jahren Revolution hochgehalten hat.« Auch bundesdeutsche Linke sorgen sich um die Zukunft des Sozialismus auf der Karibikinsel. Manche fürchten, daß der 82jährige Comandante Raúl Castro Ruz sich als kubanischer Gorbatschow erweisen könnte. In Kuba wird genau anders herum diskutiert. Und das nicht zu knapp. In Betrieben, Büros und Werkstätten, in Partei- und Gewerkschaftsversammlungen, in den Verbänden der Bauern, der Frauen, der Jugend und der Studenten war das neue Gesetz in den ersten Apriltagen eines der Hauptthemen. Bürger meldeten sich im Radio, Fernsehen und Internet zu Wort. Als das Onlineportal Cubadebate am 1. April ein Diskussionsforum dazu eingerichtet hatte, gab es innerhalb weniger Stunden mehr als 260 Beiträge. Obwohl darin auch Risiken zum Beispiel für die Arbeitsbeziehungen, den sozialen Zusammenhalt und die Umwelt angesprochen wurden, sehen die Kommentare das neue Gesetz mehrheitlich als eine Voraussetzung für den Erhalt des Sozialismus und nicht als dessen Totengräber. Die Krise nach dem Verschwinden der früheren Staaten des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, Trockenperioden, Zerstörungen durch Hurrikans, die seit über 50 Jahren verhängte US-Blockade und deren europäische Variante, der »Gemeinsame Standpunkt der EU«, wie auch selbst verschuldete Mißwirtschaft haben viele Menschen zermürbt. Trotzdem ist die Strahlkraft der Revolution – auch im Trommelfeuer der gegnerischen Propaganda – im Kern ungebrochen. »Wir haben in den letzten 55 Jahren Schlimmeres ausgehalten als die Investitionen einiger ausländischer Unternehmen«, meint ein Kommentator. Das neue Gesetz gilt als eine der strategisch wichtigsten Aktionen zur Umsetzung der vom Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas 2011 beschlossenen »Leitlinien zur Aktualisierung des sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells«. Statt vor US- und EU-Blockaden zu kapitulieren, will Kuba seine Wirtschaft entwickeln und damit die Basis für die Verteidigung der in der Revolution erkämpften Errungenschaften. Ein Beispiel dafür ist der Anfang des Jahres eingeweihte, rund 45 Kilometer westlich von Havanna gelegene Tiefwasserhafen Mariel mit der gleichnamigen Sonderwirtschaftszone. Kuba bietet damit den größten und modernsten Hafen in der Karibik und ein Industrieareal, auf dem Umschlag, Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Ausbildung stattfinden sollen. Solche Projekte sehen die Politiker als Voraussetzung für die Verbesserung der Einkommens- und Lebensbedingungen an. Auf dem Kongreß des Gewerkschaftsdachverbandes CTC Ende Februar hatte sich das Thema »Einkommen« wie ein roter Faden durch alle Debatten gezogen. Viele der 1.200 Delegierten klagten, daß die Einkommen nicht mit der Entwicklung der Preise, vor allem bei Nahrungsmitteln, mithielten. »Der Lebensstandard hängt von der geleisteten Arbeit ab«, entgegnete Marino Murillo, der der »Kommission für die Umsetzung der Leitlinien« vorsteht. Voraussetzung für eine Senkung der Preise und für steigende Löhne und Gehälter sei die Erhöhung der Produktivität. »Um Reichtum zu verteilen, muß er erst einmal geschaffen werden«, mahnte auch Präsident Castro. Schon drei Wochen später zeigte sich, daß dies keine Sprechblasen waren. Am 19. März kündigte der von Raúl Castro geleitete Ministerrat kräftige Einkommenserhöhungen für die rund 440.000 Beschäftigten des Gesundheitswesens zum 1. Juni an. Danach wird zum Beispiel das Gehalt von einfachen Pflegern und Krankenschwestern von 320 auf 595 kubanische Pesos (CUP) erhöht, das von spezialisierten Krankenschwestern steigt von 562 auf 940 CUP, und Fachärzte erhalten künftig 1.600 statt bisher 627 CUP. Das entspricht zwar nur knapp 70 Dollar, läßt sich aber selbst mit den Bezügen in lateinamerikanischen Nachbarländern nur schwer vergleichen, da in Kuba keine Einkommenssteuern und Sozialabgaben erhoben werden, Gas, Wasser, Strom, Nahverkehr, Theater, Kino und Grundnahrungsmittel nach wie vor stark subventioniert sind und über 95 Prozent der Bevölkerung miet- und abgabenfrei in den eigenen vier Wänden leben. Murillo erklärte, daß die Gehaltserhöhungen durch den Export medizinischer Dienstleistungen ermöglicht wurden. Laut Cubadebate sieht die Planung für das Jahr 2014 in diesem Bereich Einnahmen von umgerechnet etwa 5,9 Milliarden Euro vor. Die Eröffnung des Hafens von Mariel, die Forderungen auf dem Gewerkschaftstag, kräftige Gehaltserhöhungen im Gesundheitswesen und das neue Auslandsinvestitionsgestz waren selbst für die diskussionsfreudigen Habaneros viel Stoff für die ersten drei Monate des Jahres. Daneben galt es ja noch den gesellschaftskritischen Film »Conducta«, der seit Februar für Furore sorgt, zu kommentieren – und den alltäglichen Klatsch und Tratsch. In Havanna sind die Tage für all das einfach zu kurz.
Erschienen in Ossietzky 9/2014 |
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