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Die wenigsten Menschen, die sich demnächst an der Wahl des EU-Parlaments beteiligen werden, haben etwa von TiSA gehört – obwohl sie die Auswirkungen bald zu spüren bekommen sollen. Die EU-Kommission hat schon vor einem Jahr ein Mandat für die Verhandlungen erteilt. Seitdem arbeiten die Really Good Friends of Services (RGF – sie werden wirklich so genannt) in einer Coalition of the Willing einen Vertrag aus, das Trade in Services Agreement (TiSA). Mit ihm soll die Liberalisierung und Deregulierung von Dienstleistungen vorangetrieben werden: Geldgeschäfte ebenso wie Telekommunikation und Post, digitaler Handel und Leistungen staatlicher Unternehmen, wahrscheinlich auch in den Bereichen Energie und Umwelt. Wahrscheinlich? Ja, Genaueres ist nicht zu erfahren, denn Mandat und Verhandlungen sind streng geheim, die Verhandlungsführer sind jeder Rechenschaftspflicht enthoben. Die Tagesordnung wird von den beteiligten Konzernlobbyisten festgelegt, die im Gegensatz zu den BürgerInnen und Regulierungsbehörden freien Zugang haben und gern die Möglichkeit nutzen, die Ziele der Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu bestimmen. Lebenswichtige Dienste werden privaten, profitorientierten Konzernen überlassen – aber die betroffene Bevölkerung in den insgesamt 48 Staaten soll nichts darüber erfahren. Sie sollen nur die Folgen klaglos hinnehmen. Geheimhaltung herrscht auch in den Verhandlungen zwischen Europäischer Union und Kanada um CETA (Comprehensive Economical and Trade Agreement). Obwohl bereits im Oktober 2013 weitgehende Einigung erzielt wurde, bleiben Verhandlungsmandat wie auch die Liste strittiger Punkte der Öffentlichkeit verschlossen. Das Abkommen soll laut Wikipedia stellenweise fast aufs Wort dem Handelsabkommen ACTA gleichen, das vom EU-Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt worden war. Obwohl bei CETA völkerrechtlich bindende Vereinbarungen mit gar nicht absehbaren Auswirkungen auf die nationale Gesetzgebung – und die Steuerzahler – ausgehandelt werden, werden eine öffentlichen Diskussion und eine parlamentarische Kontrolle gezielt verhindert. Offensichtlich will die EU-Kommission, die »Regierung« der EU, die Bevölkerung und eine kritische Öffentlichkeit nicht einweihen: »Damit Verhandlungen über den Handel erfolgreich verlaufen, bedarf es einer gewissen Vertraulichkeit – sonst würde man sich von den Mitspielern in die Karten schauen lassen«, ist auf der Website der EU-Kommission zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP) zu lesen. Die Masse der Bevölkerung gehört nicht zu den Mitspielern – ganz im Gegensatz zu den Vertretern internationaler Konzerne. Diese haben nämlich nicht nur exklusiven Zugang zu allen Dokumenten, sie produzieren sie selbst, quasi als Auftrag für die Verhandlungsführer – während für das Volk das Verhandlungsmandat Verschlußsache bleibt. Mit etwa 600 Interessenvertretern der Großindustrie wurden laut WikiLeaks bislang 119 Gespräche geführt. Anderen Verbänden wurden gerade mal elf zugestanden. Immerhin ist TTIP, das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, zwar immer noch nicht öffentlich, aber in einer breiten kritischen Diskussion. Die Kritik betrifft die bisher bekannt gewordenen Inhalte genauso wie das allen demokratischen Prinzipien Hohn sprechende Geheimverfahren. Abgelehnt wird etwa der Freibrief für Konzerne, hart erkämpfte und oft keineswegs ausreichende nationale Regelungen zu Arbeitnehmerrechten, zu Gentechnik, Nutzung und Schutz privater Daten, Klimapolitik, Lebensmittelsicherheit und nicht zuletzt alle Restriktionen für hochriskante Finanzgeschäfte auszuhebeln. Kommt eine Vereinbarung zustande, werden die Vergünstigungen für Konzerne und Banken bindend, dauerhaft und faktisch irreversibel sein. Die staatliche Ebene ist genauso betroffen wie die kommunale: Keine Stadt wird zum Beispiel in Zukunft noch Aufträge vergeben können, wenn sie an soziale und ökologische Kriterien gebunden sind. Mit dem Investitionsschutz wird Investoren darüber hinaus das Recht eingeräumt, vor Schiedsgerichten Staaten zu verklagen, wenn sie durch Gesetze oder andere demokratisch legitimierte Regelungen ihre Profite gefährdet sehen. Durch diese neue Paralleljustiz ohne jede demokratische Legitimation wird nationalen Regierungen und den Menschen, deren Interessen sie vertreten sollen, jede Möglichkeit geraubt, arbeitsrechtliche, ökologische oder soziale Schutzklauseln zu beschließen. Und zunehmend werden bilaterale Investorenschutzabkommen von Hedgefonds und Banken als »neues Geschäftsmodell« (Ulrike Herrmann in der taz) entdeckt: In der Eurokrise verklagen sie Staaten auf Schadenersatz, weil ihnen gerade in Krisenländern angeblich Gewinne entgehen. Die Menschen in den verarmenden Ländern sollen für behauptete, nicht realisierte Profite von Spekulanten zahlen. Solche Verträge, die die Bevölkerung ausplündern, können eben nur unter Ausschaltung jeder Kontrolle beschlossen werden. Diese strikte Abschottung gegen die Bevölkerung hat nichts mit der Geheim-diplomatie imperialer Mächte etwa im Vorfeld des Ersten Weltkrieges gemeinsam. Denn jetzt verhandeln EU-Diplomaten zusammen mit global agierenden mächtigen Konzernen. Also mit eben den Akteuren, deren Machtfülle die politischen Instanzen kontrollieren und eingrenzen sollten. Daß Konzerne staatliche Entscheidungen zu ihren Gunsten beeinflussen wollen, das ist klar und bekannt. Auch die offenkundige Tatsache, daß die Folgen dieser erpresserischen Einflußnahme zum großen Teil Hunderte Millionen Menschen in Armut treiben, krank machen, ihnen Lebensperspektiven rauben, konnte in den letzten Jahren beobachtet werden. Alarmierend ist die Bereitschaft der Bundesregierung und der EU-Gremien, diese gezielte Einflußnahme ganz selbstverständlich zu fördern und durch strikte Vertuschung gegenüber jeder demokratischen Kontrolle abzuschotten. Übrigens sollen nationale Parlamente nicht über TTIP abstimmen dürfen. Wenn aber Kritiker sagen, die Politik sei zu schwach, um sich gegen die geballte Macht global operierender Banken und Konzerne zu wehren, so trifft das nicht den Kern des Problems. Eine genaue Betrachtung der Handelsabkommen, aber auch des EU-Wettbewerbspaktes, das alle Staaten der Eurozone zu »Strukturreformen« verpflichtet – also zu Einschnitten im Arbeitsrecht und bei Löhnen, bei öffentlichen Dienstleistungen und Pensionssystemen –, zeigt deutlich: Wirtschaftliche und politische Macht stützen sich gegenseitig, sind voneinander nicht zu trennen und wirken als Bollwerk gegen elementare Interessen einer Bevölkerungsmehrheit an einer guten Daseinsvorsorge und an demokratischer Beteiligung. Dies gilt nicht nur für die anonyme Bürokratie der Europäischen Union, es gilt auch für die Politik in Deutschland, einem Land, das dabei ist, zur europäischen Hegemonialmacht aufzusteigen. Der Kritiker der geheimen »Public Private Partnership«-Verträge Werner Rügemer mahnt (junge Welt, Nr. 95/10): »Die Wahrung privater Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist zur Staatsräson geworden.« Beispiele gibt es zuhauf: Informationen über staatliche Hermes-Bürgschaften werden vom zuständigen Bundeswirtschaftsministerium mit abenteuerlichen Begründungen abgelehnt. Eine neue EU-Sicherheitsstrategie, in deren Rahmen Deutschland unter anderem mit U-Booten für weltweite Einsätze rüstet, wird hinter verschlossen Türen entwickelt. Das Bundeswirtschaftsministerium treibt die Privatisierung der Uranfabrik Urenco voran – ohne das Parlament und die Öffentlichkeit zu informieren. Einzelheiten der Bankenrettung bleiben Staatsgeheimnis. Die BürgerInnen dürfen zahlen. Ob Toll Collect, Stuttgart 21, Atomlager Asse: Alles soll geheim bleiben. Denn die Gefahr für diese Politik geht von den BürgerInnen aus. Wenn VolksvertreterInnen ihrer Kontrollfunktion nicht mehr gerecht werden können, ist das wichtigste Prinzip der Demokratie nicht erfüllt. »Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus«, heißt es im Artikel 20 (2) des Grundgesetzes. Tatsächlich ist das in essentiellen Fragen, die die materielle und soziale Sicherheit betreffen, nicht der Fall. Nach der Bundeszentrale für politische Bildung bezeichnet der Begriff Oligarchie »a. eine (kleine) Gruppe von Personen oder Familien, die über den Staat herrschen, beziehungsweise b. das demokratisch bedenkliche Faktum, daß in manchen Staaten trotz demokratischer Verfassung politische Entscheidungen nur von einem kleinen Personenkreis getroffen werden«. Dieser Begriff charakterisiert die realen Verhältnisse in Deutschland und der EU zutreffender als die Bezeichnung sozialer, demokratischer Rechtsstaat. Werner Rügemer weist in dem zitierten programmatischen Artikel »Geheimnisverrat ist Bürgerpflicht« (jW 95/10) auch darauf hin, daß das Bundesverfassungsgericht die Verweigerung von Informationen wegen Geheimhaltungsbedürftigkeit für verfassungswidrig erklärt hat. Genaue Auskünfte seien für wirksame Kontrolle unerläßlich (Az. 2 BvE 5/06). Gilt das für Freihandelsverträge der EU nicht? Es kann der Eindruck entstehen, daß in einer demokratiefeindlichen Verkehrung das Volk im Interesse der Marktfreiheit der Konzerne kontrolliert werden soll. Auch der Referatsleiter im Sächsischen Staatsministerium Axel Schwarz hat nach entsprechenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes resigniert die Schlußfolgerung gezogen: »Das Gemeinwohl darf die Marktfreiheit nicht wesentlich beeinträchtigen« (Axel Schwarz: »Die Parteien, das Gemeinwohl und der oberste Wert«. In: MIP 2013). Wenn aber von einer Oligarchie demokratische Prinzipien außer Kraft gesetzt werden, die verfassungsmäßige Ordnung nach und nach beseitigt wird, tritt dann nach Artikel 20 (4) das Widerstandsrecht in Kraft? Oder ist dieses auch an der Marktfreiheit zu messen? Wer ein demokratisches Europa will, kann nicht für TTIP, CETA, TiSA und das EU-Wettbewerbspakt sein. Und demokratische und soziale Grund- und Menschenrechte werden uns nicht geschenkt.
Erschienen in Ossietzky 9/2014 |
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