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Das Amt erhält den Negativpreis dafür, daß die bundesdeutschen Geheimdienste eng mit dem völker- und menschenrechtswidrig agierenden US-Geheimdienst NSA und anderen Diensten des »Echelon«-Geheimverbunds der »Five Eyes« kooperieren; daß der dem Bundeskanzleramt unterstehende Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz an Überwachungsinstrumenten, Spähprogrammen und Infrastrukturen der NSA beteiligt sind, und dafür, daß sowohl die alte als auch die neue Bundesregierung es sträflich unterlassen haben, mit Massenausforschung und Digitalspionage verbundene Straftaten, Verfassungs- und Bürgerrechtsverstöße abzuwehren und die Bundesbürger sowie von Wirtschaftsspionage betroffene Betriebe vor weiteren feindlichen Attacken zu schützen. Im Kern geht es also um bundesdeutsche Verstrickungen in den NSA-Überwachungsskandal sowie um unterlassene Abwehr- und Schutzmaßnahmen. Mitte 2013 ist die flächendeckende verdachtsunabhängige Ausforschung der globalen Telekommunikation durch den US-Geheimdienst NSA und den britischen Geheimdienst GCHQ bekannt geworden. Die historisch einmaligen Enthüllungen basieren auf Geheimdokumenten, die der Ex-NSA-Mitarbeiter und Whistleblower Edward Snowden öffentlich machen ließ. Snowden spricht von der »größten verdachtsunabhängigen Überwachung in der Geschichte der Menschheit«. Diese digitale Durchleuchtung der Privatsphäre stellt alle Menschen, die auf irgendeine Art elektronisch kommunizieren, unter Generalverdacht, unterhöhlt die Unschuldsvermutung, führt zur Verletzung von Persönlichkeitsrechten und stellt verbriefte Grundrechte, ja die Demokratie insgesamt in Frage. Nach und nach stellte sich heraus, daß nicht allein US- und britische Geheimdienste in den globalen Überwachungsskandal involviert sind, sondern daß auch bundesdeutsche Geheimdienste – Bundesnachrichtendienst (BND), Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst – an diesem transatlantischen Geheimverbund partizipieren. Sie profitieren von überlieferten Daten und übermitteln selbst Millionen von Telekommunikationsdaten aus Deutschland – etwa personenbezogene Verbindungs- und Verdachtsdaten, die bei der Überwachung und Kontrolle des Fernmelde- und Mobilfunkverkehrs ins und vom Ausland anfallen. »Na und?« fragen noch immer viele Menschen: »Wer soll denn diese Massen belangloser Daten überhaupt auswerten? Was kann mir schon passieren?« Leider zu kurz gedacht, denn die dokumentierbaren Folgen können heftig sein: Am Ende solcher Datenerfassungen und -auswertungen kann etwa eine verweigerte Einreise in die USA stehen, wie im Fall des deutschen Schriftstellers Ilija Trojanow, der die US-Überwachungsorgie öffentlich scharf kritisiert hatte. Oder aber im Extremfall ein US-Drohnenbeschuß auf »Terrorverdächtige«, wie etwa Ende 2013 im Jemen, bei dem 17 Mitglieder eines Hochzeitskonvois ums Leben kamen. Dazwischen ist so manche Unannehmlichkeit, Schikane oder Tortur möglich – von verschärften Grenzverhören, Nachforschungen bei Nachbarn oder Arbeitgebern, über Staatstrojaner im PC, die Aufnahme in US-»No-Fly«- oder Terrorlisten bis hin zu Verhaftungen oder Folter in Spezialgefängnissen. Selbst wer eigentlich »nichts zu verbergen« hat, kann plötzlich Opfer einer fatalen Verwechslung werden – wie Khaled El Masri, der mit einem »Terroristen« verwechselt, von CIA-Agenten nach Afghanistan verschleppt und monatelang gefoltert wurde. Oder man ist zur falschen Zeit am falschen Ort wie Murat Kurnaz, der, vom »Verfassungsschutz« als angeblicher Terrorverdächtiger denunziert, für viereinhalb Jahre im US-Foltercamp Guantanamo verschwand. Spektakuläre Einzelfälle? Sicher, aber es gibt auch viele »kleinere« Beispiele für üble Folgen des Überwachungswahns. So forschen Geheimagenten deutscher und alliierter Dienste über die BND-Tarnbehörde »Hauptstelle für Befragungswesen« jährlich Hunderte Flüchtlinge über ihre Heimatländer aus – hier werden schutzsuchende Menschen in akuten Notlagen skrupellos abgeschöpft und für staatliche Zwecke mißbraucht. Nach Informationen von Edward Snowden tauschen deutsche und US-Geheimdienste nicht nur massenhaft Informationen aus, sondern teilen auch Instrumente, gemeinsame Datenbanken, Spähsoftware und Infrastrukturen – kurzum: Sie gehen »miteinander ins Bett«, so Snowdens bildhafte Worte in einem ARD-Interview. Die enge Kooperation und die intensive Datenübermittlungspraxis basieren auch auf Geheimverträgen mit den Westalliierten, die den Vertragspartnern Sonderrechte einräumen. Sie eröffnen weite Handlungsfelder und greifen stark in Grundrechte der Bundesbürger ein – ohne jede parlamentarisch-demokratische Beteiligung oder Kontrolle. Und sie beschränken die Souveränität Deutschlands bis heute. Seit Jahrzehnten sind die verantwortlichen Bundesregierungen und ihre Nachrichtendienste also Komplizen, Gehilfen, ja Mittäter im großen aggressiven Spiel westlicher Geheimdienste – oder anders formuliert: willfährige Partner. Dabei kommt dem Bundeskanzleramt eine entscheidende Rolle zu. Denn dieses Amt ist zentrale Schaltstelle der Bundesregierungen, ist zuständig für die oberste Fachaufsicht über den Auslandsgeheimdienst BND sowie für Koordination und Intensivierung der Zusammenarbeit aller drei Bundesgeheimdienste untereinander und mit anderen Behörden im In- und Ausland. Das auffallend zögerliche Verhalten der Bundesregierung nach Snowdens Enthüllungen und die geradezu unterwürfige Zurückhaltung gegenüber den USA dürfte mit der engen Kooperation zu erklären sein; und vor allem damit, daß Deutschland längst integraler Bestandteil der US-Sicherheitsarchitektur und des US-»Kriegs gegen den Terror« geworden ist. Deshalb hält man sich offenbar lieber bedeckt, verharmlost und beschwichtigt. Und dieses regierungsamtliche Verhalten – oder besser: Nichtverhalten – angesichts der beunruhigenden NSA-Affäre hat einen Namen: Ronald Pofalla (CDU) – bis Ende 2013 amtierender Chef des Bundeskanzleramts, zugleich Beauftragter für die Nachrichtendienste und oberster Aufseher des BND. Als die NSA-Affäre im Juni 2013 für Aufsehen sorgte, da duckte sich der zuständige Pofalla erst einmal weg und schwieg. Niemand hat von ihm je einen erhellenden Beitrag zur Rechtmäßigkeit der millionenfachen Ausspähung von Telekommunikationsdaten durch US-Geheimdienste und zur Rolle des BND vernommen. Im Gegenteil: Ungeachtet weiterer Enthüllungen erklärte er die NSA-Affäre für beendet: Alle gegen die Geheimdienste erhobenen Vorwürfe seien »vom Tisch«, und millionenfache Grundrechtsverletzung habe es in Deutschland nie gegeben. Vielmehr hätten ihm die beteiligten Dienste schriftlich versichert, sich an deutsches Recht zu halten. Für diese herausragenden Leistungen verlieh die NDR-Satiresendung »Extra3« Pofalla den Negativpreis »Silberner Hilfssheriff-Stern«, dessen Annahme er allerdings vor laufender Kamera verweigerte – womöglich hatte er insgeheim einen goldenen Hilfsagenten-Orden erwartet. Oder gleich den BigBrotherAward. Solche Männer braucht … die Deutsche Bahn. Und Pofallas Chefin, die Hausherrin des Bundeskanzleramts? Was unternahm Angela Merkel angesichts der eskalierenden Überwachungsaffäre? So gut wie nichts! Und dabei hat sie doch schon dreimal Stein und Bein geschworen, ihre »Kraft dem Wohle des deutschen Volkes« zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm zu wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen und ihre Pflichten gewissenhaft zu erfüllen. Stattdessen zog Frau Merkel den Kopf zwischen die Schultern und verwies auf ihren profunden Pofalla, der die Affäre Mitte August 2013 für beendet erklärte; danach verwies sie auf ihren damaligen CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich, der die Affäre wenige Tage später ebenfalls für beendet erklärte: »Alle Verdächtigungen, die erhoben wurden, sind ausgeräumt.« Von einem Kurztrip in die USA zur Aufklärung der NSA-Affäre kehrte er zufrieden mit der Mär zurück, er habe die Vorgänge geklärt. Bei der Snowden-Affäre handele es sich ohnehin um »falsche Behauptungen und Verdächtigungen, die sich in Luft aufgelöst haben (…)«. Und zum Abschluß bescheinigt Friedrich NSA-Kritikern eine »Mischung aus Antiamerikanismus und Naivität«, die ihm »gewaltig auf den Senkel« gehe. Was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht, wurde er doch schon 2012 mit dem BigBrotherAward bedacht. Leider ohne Erfolg: Zur Rechtfertigung der NSA-Massenüberwachung hat dieser Bundesinnenminister, der zugleich Verfassungsminister war, ein sogenanntes Supergrundrecht auf Sicherheit frei erfunden, dem er unsere verbrieften Grund- und Freiheitsrechte kurzerhand unterordnen zu können glaubt. Erst als im Oktober 2013 bekannt wurde, daß die NSA schon jahrelang auch ein Mobiltelefon der Kanzlerin im Rahmen der US-Terrorabwehr gezielt abhört, äußerte sich Ronald Pofalla plötzlich wieder und diesmal empört – jetzt sprach er von einem »schweren Vertrauensbruch«. Ihren Regierungssprecher ließ die endlich erwachte Kanzlerin erbost von einer »völlig neuen Qualität« daherreden, denn: »Abhören von Freunden, das geht gar nicht.« Also: Nicht die massenhafte Ausspähung der Bevölkerung, nicht die Sorge um deren Schutz, sondern erst dieser unfreundliche Angriff auf das Handy der Kanzlerin führte zu schärferen Reaktionen gegenüber den Auftraggebern im Weißen Haus. Und, ganz nebenbei, geriet mal wieder der »Verfassungsschutz« unter Druck, zu dessen Kernaufgaben die Spionageabwehr gehört: Denn von diesen US-Spionageaktionen hatte er offenbar nichts mitbekommen, geschweige denn, die Lauschangriffe verhindert. Die Bundesregierung hätte jederzeit etwas gegen die feindlichen Attacken auf Privat-, Betriebs- und Regierungssphäre unternehmen können. Etwa indem sie mutmaßliche Agenten, die verdeckt in US- und anderen Botschaften tätig sind, von denen aus bundesdeutsche Institutionen ausgeforscht werden, zu unerwünschten Personen erklärt und des Landes verweist. Sie könnte im Fall möglicher Grundrechtsverletzungen zu Lasten von Bundesbürgern militärische US-Liegenschaften durch deutsche Sicherheitsbehörden kontrollieren lassen – zum Beispiel den weiteren Bau eines NSA-Abhörzentrums auf dem US-Stützpunkt in Wiesbaden, den US-Stützpunkt Ramstein oder das Africom-Regionalkommando der US-Streitkräfte in Stuttgart, das Kampfdrohnen-Einsätze, Verschleppungen und extralegale Hinrichtungen von Terrorverdächtigen in Afrika plant(e). Und die Bundesregierung könnte Geheimverträge offenlegen und revidieren. Weshalb sie insoweit untätig blieb, ist nicht nachvollziehbar und dürfte an Verfassungsbruch grenzen. Aus diesem Grunde sahen sich Internationale Liga für Menschenrechte, Digitalcourage und ChaosComputerClub Anfang 2014 gezwungen, beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen involvierte Geheimdienste und Bundesregierung zu erstatten, um die politisch und strafrechtlich Mitverantwortlichen endlich zur Rechenschaft zu ziehen. Es war ein Akt der Notwehr und Nothilfe, der wie ein Ventil wirkte, das plötzlich geöffnet wird: Tausende haben uns geschrieben und die Strafanzeige unterstützt oder mit erstattet. Und das ist auch jetzt noch möglich (www.ilmr.de). Rolf Gössner ist als Vertreter der Internationalen Liga für Menschenrechte Mitglied der Jury zur Verleihung des Negativpreises BigBrotherAward und hielt am 11. April während der Verleihungsgala in Bielefeld die Laudatio auf das Bundeskanzleramt (Langfassung der Laudatio und weitere Preisträger unter: www.bigbrotherawards.de). Er gehört zu den Miterstattern der Strafanzeige gegen Geheimdienste und Bundesregierung. Kürzlich haben Liga und Digitalcourage e.V. die Broschüre »Spionage adé. Massenüberwachung und globale Datenspionage: Wir erstatten Strafanzeige gegen Bundesregierung und Geheimdienste« herausgebracht (150 Seiten, 8 €). Darin sind eine Analyse von Rolf Gössner sowie der Wortlaut der Strafanzeige mitsamt den Reaktionen dokumentiert. Bezug: https://shop.digitalcourage.de/broschuere-spionage-ade.html
Erschienen in Ossietzky 9/2014 |
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