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Aber du warst mir vorher nur ein Gedanke, eine Kombination, die in meinem Gehirn lebte und einen Entschluß hervorrief – diese Kombination habe ich erstochen. Jetzt sehe ich erst, daß du ein Mensch bist wie ich.« Nicht mehr die Waffen des Franzosen – nun sieht er vor sich dessen Frau und sein Gesicht und das Gemeinsame. »Warum sagt man uns nicht immer wieder, daß ihr ebenso arme Hunde seid wie wir …Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein. Wenn wir diese Waffen und diese Uniform fortwerfen, könntest du ebenso mein Bruder sein wie Kat und Albert« (seine Kameraden). Das ist die Schlüsselszene des Romans »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque – jetzt im Thalia Theater in Hamburg auf die Bühne gebracht in dem Stück »Front«. Regie bei dieser »Polyphonie« aus dem Remarque-Roman und aus »Le Feu« von Henri Barbusse und Zeitdokumenten in einer Koproduktion mit dem NT Gent führte der Belgier Luk Perceval. Polyphonie auch deshalb, weil Ensembles aus zwei Nationen eine viersprachige Produktion erarbeiteten, die – gut lesbar – übertitelt wird. Diese Inszenierung reist anschließend durch viele Länder Europas. Sie wurde auch zum Edinburgh-Festival eingeladen. »Wie kann man Krieg auf der Bühne darstellen?« wurde Perceval gefragt. »Gar nicht«, seine Antwort – so wenig wie den Tod. Alles findet in der Sprache statt. Auf dunkler, leerer Bühne sitzen die Schauspieler im Anzug (keine Uniformen) und sind als Vertreter ihrer Nationen nur durch ihre Worte zu erkennen. Auch wenn Remarque im Motto zum Roman schrieb, es soll keine »Anklage« sein, er klagt dennoch, zu allererst den Lehrer an, der eine ganze Schulklasse in den Krieg schickte. Niemand wollte sich ausschließen. Und wer überlebte? Ein Satz, gleich am Anfang: »Jeder Soldat bleibt nur durch Zufall am Leben.« Nicht immer wird klar, wer spricht – aber darauf kommt es nicht an, alle teilen das gleiche Los. Uniformen, Verwundete, Giftgasschwaden – das alles ist auf die Rückwand projiziert, nebelhaft unwirklich. Die Geräusche sind Teil der Polyphonie. Eine Wand aus 320 Zinnkacheln, die, angeschlagen, metallische Töne hervorbringen, die sogar die Todesschreie von Pferden nachempfinden können. Das scheint das Unerträglichste für die jungen Soldaten: der Schmerz von verletzten Tieren: »Schießt sie doch ab.« Auf diese Weise läßt sich auch ein »Stahlgewitter« erzeugen und selbst leisestes Rauschen. Ja, ein Stück aus Sprache – aber wie? Der belgische Offizier diktiert einen Brief, ein Brief an die Eltern über den Tod ihres Sohnes. Er beginnt nüchtern, dann steigert er sich in immer größere Wut und Verzweiflung, weil die Worte so falsch sind. Schließlich brüllt er den tröstenden Inhalt heraus. Nur ein Brief? Die Briefe des Soldaten an die Schwester sind ehrlicher, sie beschönigen nichts. Die englische Krankenschwester hat Alpträume: Immer wieder erscheint ihr Verlobter Henry, der am Anfang des Krieges umkam. Sie meldete sich an die Front, um zu helfen. Und verzweifelt: »Wie soll ich hier eine Frau sein?« Immer wieder die blutigen Betten abziehen, immer wieder frische Wäsche. Manchmal ein Lächeln eines Verwundeten. Suchen und suchen. Eine Trompete krächzt wie Schmerzensschreie, die langsam ersterben. Und das Warten auf den Angriff, diese Gespanntheit, die ausgedrückt wird durch Bewegung. Tanz? Fast wie Derwische drehen sich die Soldaten in ihren weißen Hemden, die Arme abgespreizt, immer schneller, immer schneller. Der Wahnsinn: Auf jeden Meter kommt ein Toter. Und die ganz Jungen, die Rekruten, sind die Ersten, die sterben – keine Kriegserfahrung. Requisiten – auch sie fast immer nur Worte. Die Stiefel eines englischen Offiziers, die Kamerad Kemmerich gehörten, der nun ein Amputierter ist und bald sterben wird, Müller ist scharf darauf, wartet. Als auch er stirbt, wandern sie weiter zu Paul. Zu sehen sind die Stiefel nie. Auch wenn die Soldaten nackt sind, sind sie es nicht auf der Bühne. »Mir wird schwindlig, keine Uniform, woran man sich festhalten kann.« Wer sagt es? Die Vorstellung, wenn jetzt Frieden wäre – was würden sie tun? Utopien haben sie kaum, weil sie wissen, sie müssen: weitermachen, weitermachen, immer weitermachen. Aber: »Wir haben keine Munition mehr«, sagten der belgische Kompanieführer De Wit und Paul Bäumer gleichzeitig im Sommer 1918. Und »Warum macht man kein Ende?« Und in Angst: »Nicht jetzt noch, im letzten Augenblick.« Jemand löscht die Lichter aus. »The lamps are going out over Europe; we shall not see them lit again in our lifetime«, wußte der britische Außenminister Edward Grey schon 1914, am Anfang des Krieges. P.S. Die Förderung dieser Thalia-Produktion ist einer Initiative des Hamburger Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse (CDU) zu verdanken. Er verlautbart: »In einer glücklichen Zeit, in der wir seit Jahrzehnten unmittelbar keine Kriege mehr erleben, ist eine direkte Berührung durch Kunst besonders wichtig.« Kruse war noch nicht im Bundestag, als dieser den Krieg gegen Jugoslawien und gegen Afghanistan beschloß. Als gewählter Volksvertreter seit 2009 aber hat er innerhalb der letzten neun Monate Ja gesagt zu den Bundeswehreinsätzen im gesamten Mittelmeerraum, in Mali, in der Türkei, in Darfur, im Südsudan, in Afghanistan und im Kosovo – in jeweils namentlicher Abstimmung.
Erschienen in Ossietzky 8/2014 |
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