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Kaum ein Tag vergeht, an dem im Chor der Verteidiger des internationalen Rechtes nicht auch die Stimme unseres Außenministers Frank-Walter Steinmeier unmißverständlich das »völkerrechtlich inakzeptable« Vorgehen Rußlands anprangert: »Eine Einverleibung der Krim in russisches Staatsgebiet ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Das ist nicht nur völkerrechtlich inakzeptabel, sondern völkerrechtswidrig.« Aber es geht den Friedensfreunden nicht nur um die Halbinsel im Schwarzen Meer, sondern um einen »Rückfall in eine blutige Zeit«. Das meint kein Geringerer als der seinerzeit als NRW-CDU-Landeschef und danach als Bundesumweltminister gescheiterte Norbert Röttgen, der nun von der Kanzlerin als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages an die außenpolitische Front beordert wurde. »Hart aber unfair« analysierte er in der ähnlich genannten Talkshow die von Moskau ausgehenden schrecklichen Gefahren: »Putin hat mit seiner militärischen Aggression oder will mit seiner militärischen Aggression die Spielregeln zwischen den Staaten verändern. Wir haben das 20. Jahrhundert gerade hinter uns. Das 20. Jahrhundert ist das blutigste Jahrhundert. Wir haben Weltkriege erlebt. Wir haben Nationalismus erlebt. Wir haben aggressive Ideologien erlebt. Und es gab eigentlich bis zu diesem Akt von Putin einen Konsens, daß wir davon absehen, Machtansprüche mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Das ist die Grundsätzlichkeit der Herausforderung, die Putin an uns adressiert … Wenn wir uns einmal darauf einlassen, daß Gewalt, Drohungen des Stärkeren wieder gelten in der Politik, dann ist das ein Rückfall in eine blutige Zeit, und diese Herausforderung muß der Westen annehmen. Nicht mit militärischen Mitteln, aber mit der Entschiedenheit des Willens …« Wie wunderbar, wenn auch ein wenig geschichtsvergessen hat er das gesagt. Diejenigen, die wie Röttgen so lautstark Rußland beschuldigen, den in den letzten Jahrzehnten bestehenden »Konsens« des Verzichtes, »Machtansprüche mit militärischen Mitteln durchzusetzen«, haben selbst alles getan, um notgedrungen mit Bomben und Raketen in Jugoslawien eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, die Welt vor den Massenvernichtungswaffen im Irak zu schützen, in Afghanistan den Terrorismus zu bekämpfen, Libyen von einem Diktator zu befreien und dem Land Frieden, Stabilität und Demokratie zu bringen. Wer wollte schon die guten Absichten bestreiten? Energisch wehren sich die Friedensstifter gegen einen Vergleich des russischen Vorgehens auf der Krim mit dem Herausbrechen des Kosovo aus der Republik Serbien. Und auch hier haben sie recht, beides ist nicht vergleichbar. Rußland hat bekanntlich Kiew sowie andere ukrainische Städte bombardiert und anschließend die seit vielen Jahrhunderten zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim militärisch besetzt, um sie schlußendlich aus dem ukrainischen Staat herauszureißen und sich einzuverleiben. Oder war es doch ein klein wenig anders, und ich habe die Krim mit Kosovo und Rußland mit der NATO verwechselt? Kosovo war bereits im Mittelalter als Sitz der serbischen orthodoxen Patriarchen und der Nemanjidendynastie das politische, wirtschaftliche und religiöse Zentrum Serbiens, die »Wiege der serbischen Staatlichkeit«. Unter dem Vorwand, eine »humanitäre Katastrophe« und ein »neues Auschwitz« zu verhindern, hat die NATO unter bundesdeutscher Beteiligung ohne UNO-Mandat 78 Tage lang Jugoslawien bombardiert, Tausende Frauen, Männer und Kinder erschlagen, die Infrastruktur und ganze Bereiche der Wirtschaft zerstört und die Umwelt schwer geschädigt, um anschließend Kosovo zu besetzen, eine äußerst zwielichtige Marionettenregierung einzusetzen und die ehemalige serbische Provinz, vorangetrieben von dem Friedensaktivisten Steinmeier, für unabhängig zu erklären und als souveränen Staat anzuerkennen. Die Halbinsel Krim dagegen gehörte seit den Zeiten der Zarin Katharina, die Große genannt, genauer: seit 1783 zu Rußland. Ukrainisch wurde sie, als der Ukrainer Nikita Sergejewitsch Chruschtschow sie im Februar 1954, viele sagen »im Suff«, an sein Heimatland, die Ukrainische Sowjetrepublik, verschenkte, um seine Machtbasis im Kampf um die Sicherung seiner Führung in der KPdSU und in der UdSSR zu festigen. Nach dem von den USA und seinen Verbündeten mit massiver Einmischung unterstützten Staatsstreich in Kiew, der antirussischen Politik der neuen Machthaber und der beginnenden Diskriminierung der Russisch sprechenden Bewohner hat Rußland ohne einen Schuß und mittels eines Referendums das zweifelhafte »Geschenk« zurückgenommen und die Krim in die Russische Föderation zurückgeführt. Die Abspaltung Kosovos durch die NATO ist völkerrechtlich in keinster Weise zu beanstanden. Die Rückführung der Krim in das russische Mutterland ist »völkerrechtswidrig« und ein verbrecherischer Akt aggressiver Expansion. Aber letztlich geht es nicht nur um die relativ kleine Krim, sondern schlicht und einfach um fundamentale geopolitische Interessen. Putin und die überwiegende Mehrheit der Russen sehen keine Gespenster, sondern bittere Realitäten. Nachdem die NATO vielerorts bis an die russische Staatsgrenze vorgedrungen ist, fürchten sie zu Recht, daß die Ukraine über den Umweg in die EU in die NATO aufgenommen wird und die Raketen des Kriegspaktes noch näher an Moskau heranrücken. Mehr noch: Sie fragten sich, ob sie es zulassen sollten, daß über Sewastopol, das sie einst opferreich vor der Hitlerwehrmacht verteidigt hatten, in absehbarer Zeit die NATO-Flagge gehißt wird? Aber die Furcht war und ist völlig unbegründet, denn die Paktstaaten haben versprochen, daß die Ukraine keinesfalls in die westliche Militärallianz aufgenommen werden soll. So wie sie 1990 zusagten, daß eine Osterweiterung der NATO auf keinen Fall erfolgen würde. Und daran haben sie sich doch gehalten. Oder etwa nicht?
Erschienen in Ossietzky 8/2014 |
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