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So locker geht es in Europa, geschweige denn in den USA, nicht zu. Auch das Gepäck kommt, obwohl der Air-France-Jumbo voll besetzt war, zügiger als gewohnt. Wenn der Ansturm auf Havanna weiter anhält, wird jedoch auch der modernisierte Flughafen vermutlich bald zu klein sein. Der Taxifahrer, der mich in den Stadtteil Vedado bringt, erkundigt sich nach der wirtschaftlichen Lage in Deutschland. Er habe vorher einen Spanier chauffiert, dort müsse es ja wirklich schlimm sein. Dann erzählt er von seiner Schwester, die vor einigen Jahren nach Miami ausgewandert sei: »Wir haben uns für sie gefreut, und außerdem hat sie uns hin und wieder Geld geschickt. Aber jetzt müssen wir sie unterstützen.« Als ich ihn fragend ansehe, lacht er: »Doch, wirklich. Ich hatte 400 Dollar gespart, die habe ich ihr geschickt.« Nach einigen Sekunden erlöse ich ihn mit der von ihm offenbar erwarteten Frage, was seiner Schwester denn zugestoßen sei. »Sie hat ihren Job verloren und findet keinen neuen«, erzählt er. »Im Januar drohte ihr Vermieter mit Rauswurf, da mußte ich helfen. Aber in zwei Monaten werde sie wieder in der gleichen Lage sein. Außerdem habe sie panische Angst, krank zu werden, weil sie keine Versicherung hat.« Ich frage, was er daran komisch findet, weil er beim Erzählen lacht. »Aber das ist doch wirklich ein Witz«, sagt er. »Sie geht ins Ausland, um besser zu leben und um uns zu helfen, und jetzt kommt es genau anders herum.« – »Und nun?« frage ich. »Nun leihen wir uns Geld für den Flug, damit sie wieder nach Kuba zurückkommen kann.« – Heute gibt es Tausende solcher Schicksale. Nicht nur aus den USA, sondern auch aus Europa, vor allem aus Spanien und Italien, kehren ausgewanderte Kubaner seit einigen Monaten in ihre Heimat zurück, in der sie jetzt ein besseres Leben als in der Fremde erwartet. Eine Entwicklung, die in den großen europäischen Medien kaum Beachtung findet. Einen Tag vor Eröffnung der »23. Internationalen Buchmesse Kuba 2014«, dem Grund meiner Reise, erhalte ich eine Einladung vom Kubanischen Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) zu einem deutsch-kubanischen Ereignis: Auf Wunsch ihrer Familie übergibt Hans Modrow, Vorsitzender des Ältestenrats der Links-Partei, den Nachlaß der 1967 in Bolivien getöteten argentinisch-deutsch-kubanischen Revolutionärin Haydée Tamara Bunke an den kubanischen Staat. An der Feier zu Ehren der Kampfgefährtin Che Guevaras nehmen Che’s Tochter Aleida und einige ihrer früheren Genossen teil. »Der Nachlaß besteht zwar nur aus wenigen Fotos, Notizbüchern und einer Uniform«, sagt Modrow bei der Übergabe, »aber diese Stücke zeugen von der tiefen Liebe Tamaras und ihrer 2003 in Berlin verstorbenen Mutter Nadja zu Kuba und seiner Revolution.« Mit dem Journalisten und Medienexperten Iroel Sánchez spreche ich in Havanna über die Annäherungsversuche der EU, deren Außenminister am 10. Februar in Brüssel beschlossen haben, den »Gemeinsamen Standpunkt« (die europäische Blockade) durch ein bilaterales Abkommen mit Kuba zu ersetzen. Gleichzeitig forderten prominente US-Politiker die Beendigung der US-Blockade. Sánchez wertet das als weiteren Erfolg der Revolution. »Wenn die Revolution schwach wäre, würden sie nicht mit uns verhandeln wollen«, sagt er, warnt aber zugleich vor Illusionen: »Die USA und einige europäische Regierungen werden weiterhin versuchen, den Sozialismus auf Kuba zu zerstören. Das heutige und künftige Schlachtfeld ist der Informationsbereich.« Genauso sieht es die argentinische Schriftstellerin Stella Calloni, eine Ikone des investigativen Journalismus in Lateinamerika, die ich auf einer Solidaritätsveranstaltung für Venezuela im Garten des ICAP treffe. »Die Angriffe des Imperiums erfolgen immer zunächst über die Medien. Das war so im Irak, in Libyen und Syrien und geschieht jetzt in der Ukraine und Venezuela«, sagt sie mir. Ich fühle mich geehrt als sie mir die Hand reicht und hinzufügt: »Wir kritischen Journalisten haben eine große Verantwortung.« Unter dem Eindruck der gewalttätigen Demonstrationen in Venezuela, die nahezu alle Besucher aus Lateinamerika als erneuten faschistischen Putschversuch der bei allen Wahlen unterlegenen Vertreter der alten Elite verurteilen, wird am 13. Februar die kubanische Buchmesse eröffnet. Auch in diesem Jahr zieht sie wieder mehr Besucher an als der Karneval. Dem Publikum werden mehr als 700 Neuerscheinungen sowie Neuauflagen von Werken verschiedener Literaturrichtungen mit einer Gesamtmenge von 2,9 Millionen Exemplaren präsentiert, berichtet die Präsidentin des Kubanischen Buchinstituts (Instituto Cubano del Libro, ICL), Zuleica Romay, in ihrer Begrüßungsansprache. Sie lobt das Ehrengastland Ecuador als Beispiel dafür, daß ein Land sich zum Vorteil der Bevölkerung verändern kann, wenn es unabhängig und frei ist. Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño gibt das Kompliment zurück und würdigt die kubanische Alphabetisierungskampagne nach dem Sieg der Guerrilleros als Beginn einer Kulturrevolution auf dem Kontinent. Neben der Sorge um Venezuela ist in diesen Tagen überall in Havanna die Solidarität mit den »Cuban 5« gegenwärtig, jenen kubanischen Aufklärern, die sich in Miami bei Terrorbanden eingeschlichen hatten, um Anschläge gegen kubanische Bürger und Einrichtungen zu verhindern. Sie wurden dafür 1998 verhaftet und von der US-Justiz zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Ende Februar soll mit Fernando González der zweite dieser Gruppe aus der Haft entlassen werden. Ob er dann wirklich frei sein wird, weiß bis dahin niemand. Sein Genosse René González war nach der Entlassung aus dem Gefängnis im Oktober 2011 noch mehr als eineinhalb Jahre in den USA festgehalten worden, bis er zu seiner Familie nach Kuba zurückkehren durfte. Für die Freilassung der drei noch inhaftierten aus der Gruppe der »Cuban 5« – Ramón Labañino, Antonio Guerrero und Gerardo Hernández – will sich ein prominent besetztes internationales Hearing am 7. und 8. März in London einsetzen. Für mich ein Grund, den Aufenthalt in Havanna zu unterbrechen, um für Ossietzky (8/14) und die junge Welt vom Tribunal aus der britischen Hauptstadt zu berichten.
Erschienen in Ossietzky 6/2014 |
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