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Jubelnd berichten sie, daß sogar Bundespräsident Joachim Gauck daran teilgenommen und für »frühere« und »substantiellere« Militäreinsätze im Ausland geworben hat. Sehr zufrieden sind sie auch mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der »mehr deutsche Verantwortung«, »mehr deutsches Engagement« forderte und in diesem Zusammenhang behauptete: »Es wird mit Recht von uns erwartet, daß wir uns mehr einmischen.« Deutschland sei zu mächtig, um Außenpolitik nur zu kommentieren. Zuvor hatte der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) in der FAZ gerügt, die »sicherheitspolitische Passivität« der Bundesrepublik entspreche nicht ihrer Rolle als »bevölkerungsreichster Staat Europas und als eine global führende Wirtschaftsmacht«. Da »die USA ihr Engagement für Europa reduzieren und viele Staaten der EU finanziell am Ende sind«, müsse »Deutschland führen, damit Europa nicht schwächer wird«. Und auch der Leiter der Konferenz, der altgediente Bonner Diplomat Wolfgang Ischinger, plädierte für deutsche Führung: »Infolge der Krise in Europa ist das Gewicht Deutschlands gewachsen. So sind auch die Erwartungen der Welt an die deutsche Führungskraft gestiegen.« Immer dasselbe. Von fast allen Seiten. Dann muß es wohl stimmen. Aber was die Welt von Deutschland erwartet, muß nicht das sein, was sie sich von Deutschland erhofft. Hundertjährige Erfahrungen mit Deutschland geben der Welt Gründe über Gründe, von diesem Land nichts Besseres zu erwarten, als daß es sie führen möchte, jedoch: Anderen Ländern und sogar der ganzen Welt zu unterstellen, es sei ihr dringender Wunsch, wieder und wieder von den großen, reichen Deutschen geführt zu werden, ist ein starkes Stück Einbildung. Die Erwartung der anderen, auf die sich unsere Meinungsbildner berufen, ist vielmehr deren eigener Wunsch, den sie uns und allen anderen beizubringen versuchen. In diesem Sinne mokierte sich voriges Jahr vor der Bundestagswahl der Spiegel unter dem Titel »Die zaghaften Deutschen« über die schwarz-gelbe Bundesregierung, der es »um jeden Preis« darum gehe, militärisches Engagement zu vermeiden. »Für das internationale Ansehen Deutschlands ist das fatal.« Im Gegensatz zum Spiegel wäre es mir ganz recht gewesen, wenn sich eine deutsche Regierung wirklich entschlossen hätte, die Teilnahme an Kriegen, genauer gesagt: an Angriffskriegen zu vermeiden. Darin sehe ich sogar eine Pflicht jeder Bundesregierung. Aber der Spiegel sehnt sich offenbar nach eben jenem internationalen Ansehen, wie es Deutschland seit 1914 erlangt hat. Zu diesem Zweck soll Deutschland immer mehr Waffen und Ausbilder in Konfliktgebiete schicken, und dann soll die Bundeswehr dort einmarschieren, oder – neuere Variante – wir schicken aus der Ferne Drohnen. Im gleichen Sinne spöttelte Jochen Bittner, Autor der Wochenzeitung Die Zeit, in der tonangebenden US-amerikanischen Tageszeitung New York Times über das »pazifistische Deutschland«. Dabei hatte doch schon George Bush sen. die USA und die BRD als »partners in leadership« bezeichnet. Die Frankfurter Rundschau meinte nach der Münchener Konferenz: »Deutschland muß sich verstärkt verantwortlich fühlen für die Konfliktherde in der Welt, muß präsent sein mit Ideen, Geld und Personal.« Da wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis wir erfahren, Deutschland müsse überall auf dem Globus Militärstützpunkte schaffen (oder vielleicht einige von den USA übernehmen). An Ideen fehlt es jedenfalls nicht. So war kürzlich in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die für »Politikberatung« viel Steuergeld verwendet, im Hinblick auf die im April geplante Präsidentschaftswahl in Afghanistan zu lesen, es sei »zu erwägen, NATO-Kampftruppen bis April 2014 offensiv im Land einzusetzen, damit diese am Wahltag die einheimischen Sicherheitskräfte unterstützen können. Ergänzt werden könnte dies durch einen ›Enthauptungsschlag‹ gegen die Führungen der afghanischen Aufstandsgruppen. Ziel dabei wäre, die militante Opposition im Vorfeld der Wahlen signifikant zu schwächen. Würden Figuren wie Mullah Omar, Dschalaluddin Haqqani und Gulbuddin Hekmatyār getötet oder festgenommen, fielen damit identifikationsstiftende Persönlichkeiten weg (...). Mögliche Option vor den Wahlen ist schließlich auch eine militärische Großoffensive der afghanischen Streitkräfte (mit Unterstützung der NATO)«. Und wie sich die Nordatlantikpakt-Organisa-tion nach den Worten des früheren Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) am Hindukusch verteidigt – denn hinter dem Hindukusch leben lauter Chinesen –, darf Deutschland nun Afrika »nicht den Chinesen überlassen« (Ischinger). Das gebietet die »Verantwortung«, die wir uns bei jeder Gelegenheit zusprechen. Wenn Rühe die Bundesrepublik als bevölkerungsreichsten Staat Europas bezeichnet, greift er den Tatsachen allerdings ein wenig vor. Noch ist Rußland weit größer an Fläche und auch an Einwohnern, selbst wenn wir von seinem asiatischen Teil absehen. Aber die BRD zeigt ja schon seit ihrem spektakulären Zugewinn an Land und Leuten im Jahre 1990, daß sie sich eifrig bemüht, ihre Macht in Osteuropa weiter zu vergrößern, momentan besonders anschaulich in der Ukraine. Ran an Rußland! Hilfe für Pussy Riot und Klitschko! Schande über die Verräter, die auf das Völkerrechtsgebot der Nichteinmischung pochen, statt Steinmeiers Rufen nach mehr Einmischung zu folgen! Und wehe all denen in der UNO, die uns immer noch einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat vorenthalten! Immerhin: »Atomare Teilhabe« wurde uns schon zugestanden. Kürzlich hätte uns der Absturz eines Kampfflugzeugs der Bundesluftwaffe, nur wenige Flugsekunden vom Atomwaffenlager Büchel entfernt, an die Risiken dieser stolzen Rolle gemahnen können. Darum nahmen die Medien kaum Notiz davon. Mir – das will ich nicht verhehlen – fällt bei dem Wort »Verantwortung« ganz anderes ein, was zu tun ist: gegen Massenarbeitslosigkeit, gegen das Massensterben von Flüchtlingen im Mittelmeer, gegen den von Deutschland erzwungenen Sozialabbau in Südeuropa, gegen die Umweltvergiftung ...
Erschienen in Ossietzky 5/2014 |
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