Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. GlaskugelspielMonika Köhler Glas, Glaskäfige auf der Bühne. Die Tänzer und Tänzerinnen tragen weiße Kittel, Handschuhe und Mundschutz. Sind es Ärzte, Wissenschaftler? Wir sitzen in Hamburg auf Kampnagel im Stück »Genesis«, einer Zusammenarbeit des flämisch-marokkanischen Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui mit der Tänzerin Yabin Wang aus China. Sie brachte zur Eastman-Gruppe Cherkaouis drei chinesische Tänzer mit. Unterstützt werden sie von Live-Musikern, die das Zusammenspiel verschiedener Kulturtraditionen so vollendet beherrschen, daß der ergänzende Titel mit den chinesischen Schriftzeichen für »Zusammenwachsen« Realität wird. Die Hände der Weißkittel-Tänzer scheinen etwas zu formen, neu zu schaffen. Die südindische Mridangam-Trommel erzeugt Spannung, dazu Gesang und Gitarre: andalusisch? Das Klavier fügt sich ein, paßt seltsamerweise dazu. Der Tanz in Schraubenbewegungen. Fünf Tänzer sitzen auf Stühlen, beobachten durch die Scheiben, was geschieht. Ein OP-Tisch, weiß bezogen, rollt herein. Der Tänzer-Arzt öffnet einen Reißverschluß, zieht ein menschliches Bein heraus, das schlaff herunterfällt. Auch der Arm ist kraftlos. Die Hautfarbe, gelblich. Liegt hier ein Toter? Soll er zum Leben wiedererweckt oder soll einem künstlich geschaffenen Menschen Leben eingehaucht werden? Ein Infusionsgerät muß her. Der »Tote«, Kranke oder das Objekt beginnt zu zucken. Elektrische Stromstöße oder Magie? Man sieht, wie er/es leidet, sich windet. Die Beobachter in den Glaskäfigen haben Hefte vor sich, wissenschaftliche Abhandlungen. Oder ist es ein Menschenversuch? Sie scharen sich um den Betreffenden, bewegen ihre, nun nackten, Finger über seinem Gesicht. Wie reagiert er, wie soll er reagieren? Ein zwölfhändiges Wesen über ihm. Er versucht, es ihnen nachzutun. Dann verlieren sie das Interesse an ihm, ballen sich zusammen, verknoten ihre Körper ineinander. Das Forschungsobjekt steht da wie ein Kind, im weißen Hemdchen. Der »Tote« redet plötzlich, unverständlich für uns: chinesisch oder koreanisch? Steht vor dem Publikum, will etwas erklären. Er wird weggetragen. Eine schwarz gekleidete Frau liegt auf dem Boden, tanzt, als wolle sie die Welt umfassen oder verschlingen. Der Kleine im Hemdchen sieht zu. Ihre Hände berühren sich nur durchs Glas. Die Musik – aus dem Mittelalter? Die schwarze Tänzerin hat einen weißen Partner, dann zwei. Sie tanzt – akrobatisch – und wird getanzt, vervielfältigt von den Schatten an der Wand. Der Kleine, »Auferweckte«, allein. Zu ihm kommt ein Zauberer mit Glaskugeln. Er läßt sie auf seinen Armen tanzen, jongliert mit dem schweren Glas. Der Gesang: afrikanisch. Immer mehr Kugeln erscheinen. Die Tänzer haben nun auch Glasbälle in den Händen. Sie formieren sich zum Tier, ein Tausendarmer. Die Musik, jetzt zerbrechlich wie Glas. Das Aneinanderschlagen der Kugeln macht sie zum Instrument. Licht läßt sie aufleuchten wie Facettenaugen von Rieseninsekten, die den kindlichen Tänzer ängstigen. Wasserrauschen. Eine Tänzerin in fließenden Gewändern wäscht ihr langes Haar am imaginären Bach. Sie bewegt sich im Glaskäfig. Es wirkt sehr japanisch – auch die Musik. Fast zu schön das alles. Es kommt noch eine Frau dazu, sie ähnelt der ersten. Die Ärmel ihres Kleides wachsen, werden immer länger. Neben ihr Tänzer mit schwarzen Masken. Unendliche Krakenarme mit Händen. Sie bedrohen die Tänzerin. Ungestalt gleich böse? Für den kleinen Jungen, der das alles in der Glaskugel sieht, ein Zauber. Ein Handspiegel rettet. Die erste Tänzerin hält ihn der Riesenarmigen vor, daß sie sich erkenne. Die Geschichte von Adam und Eva: Und sie erkannten sich. Hier eine schwarze und eine weiße Eva. Und zwei Männer im wilden Kampf-Tanz. Kein Apfel? Der ist künstlich, eine Glaskugel. Die Erkenntnis – schwer zu ertragen. Die Tänzer zeigen es durch ein merkwürdiges Festhalten des Kopfes. Die wunderbare Yabin Wang tanzt, als wolle sie etwas verscheuchen. Dann bleiben alle so, wie sie gerade standen, in den Glaskäfigen, erstarrt. Der Kleine im weißen Hemdchen kommt. Die Kugel liegt vor ihm auf dem Boden. Der Apfel der Schuld? Oder die Glaskugel, in der die Zukunft zu sehen ist? Überraschender Schluß. Und Beifall ohne Ende.
Erschienen in Ossietzky 4/2014 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |