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In diesen bewegten Tagen recherchiert eine 27 Jahre junge, in St. Louis geborene Amerikanerin in der Stuttgarter Weltkriegsbibliothek für einen Roman. Sieben Jahre zuvor war sie aus den USA nach Frankreich gegangen. Dort hatte sie sich einer Gruppe junger französischer Pazifisten angeschlossen. Ihr Name: Martha Gellhorn. Von dem großen Buhei um die Spiele läßt sie sich nicht blenden. Eben in jenen Tagen fingen die Zeitungen an, »von Kämpfen in Spanien zu schreiben. Von Krieg war nicht die Rede.« Im Gegenteil: »Ich erhielt den Eindruck, dass ein blutrünstiger Mob die Kräfte von Sitte und Ordnung angriff. Dieser spanische Mob, bei dem es sich um die ordentlich gewählte Republik Spanien handelte, wurde stets ›die roten Schweinehunde‹ bezeichnet.« Hellsichtig meint die Leserin dazu, die Nazi-Zeitungen hätten einen Vorteil, »man konnte dafür sein«, wogegen sie auch immer waren. Wie sehr sie »dafür« sein würde, das ahnte Martha Gellhorn zu jenem Zeitpunkt selbst noch nicht. Sie geht zurück in die USA, lernt zu Weihnachten den Reporter und Schriftsteller Ernest Hemingway kennen, macht sich wie dieser (den sie im November 1940 heiratet) reisefertig für Spanien: »Aus einer Pazifistin war eine Antifaschistin geworden«, notiert sie. Und dank eines Auftrags der damaligen Zeitschrift Collier’s eine Sonderkorrespondentin in Spanien. Sie wurde zur Kriegsreporterin, wohl zur bekanntesten des 20. Jahrhunderts. Vom Spanischen Bürgerkrieg, den sie gemeinsam mit Hemingway erlebte (und dem dieser in »Wem die Stunde schlägt« ein zeitloses Denkmal setzte), über den Zweiten Weltkrieg, den Krieg der USA in Vietnam (über den sie in eben dem linksliberalen britischen Guardian schrieb, in dem im Mai 2013 Edward Snowdens Informationen zum Überwachungs- und Spionageprogramm der USA und Großbritanniens zuerst publik gemacht wurden), bis zum israelisch-ägyptischen Sechstagekrieg und den Kriegen in Zentralamerika (Nicaragua) berichtete Gellhorn fast 50 Jahre lang von nahezu jedem Schlachtfeld dieser Erde. Und von der Befreiung Dachaus, im Mai 1945: »Wir verließen Deutschland in einer C 47 mit amerikanischen Kriegsgefangenen an Bord … Niemand schaute aus dem Fenster, als wir Deutschland überflogen. Niemand wollte Deutschland jemals wiedersehen. Alle wandten sich mit Haß und Ekel davon ab … ›Niemand wird uns glauben‹, bemerkte ein Soldat. Alle stimmten dem zu … Einer der Männer sagte plötzlich: ›Wir müssen davon sprechen, ob uns nun jemand glaubt oder nicht.‹« Das Buch, aus dem ich hier zitiere, ist im Dörlemann-Verlag, Zürich, erschienen und enthält unter dem Titel »Das Gesicht des Krieges« von Gellhorn selbst ausgewählte Reportagen von 1937 bis 1987 (Deutsch von Hans-Ulrich Möhring). Der Verlag hat sich seit ein paar Jahren zur Aufgabe gemacht, ausgewählte Werke Martha Gellhorns neu oder erstmals auf Deutsch vorzulegen. In wunderschöner Ausstattung, darf ich hinzufügen. Als zweiten Band möchte ich aus dieser Reihe »Reisen mit mir und einem Anderen« (Deutsch von Herwart Rosemann) vorstellen, der allerdings aus heutiger Perspektive ein eher ambivalentes Lesegefühl auslöst. Es sind Berichte über Gellhorns »beste Schreckensreisen«, über »fünf Höllenfahrten«. Sie beginnen im Jahr 1941 mit dem Auftrag, für die Zeitschrift Collier’s »über die kämpfende chinesische Armee und die Verteidigungsvorbereitungen rund um das Südchinesische Meer« zu berichten. An ihrer Seite, als »UB«, wie sie schreibt (Unwilliger Begleiter), ihr Ehemann Ernest Hemingway. Bei einer weiteren Reise macht sie sich auf die Suche nach deutschen U-Booten, die entlang der Ostküste der USA Schiffe versenkten. In der dritten Reportage ist sie unterwegs in Afrika, in der vierten bricht sie nach Rußland auf, zu Nadeschda Mandelstam, der Frau des 1938 in einem Lager in der Nähe von Wladiwostok umgekommenen und 1956 rehabilitierten Dichters Ossip Mandelstam. Während die Auslandskorrespondentin aber in ihren Kriegsreportagen kompromißlos auf der Seite der Unschuldigen, der Unbewaffneten, der Hungernden, der Obdachlosen, der Furchtgequälten, der Schmerzerfüllten, der Flüchtlinge, der Verwundeten, der Toten, all der Opfer von Krieg und Gewalt steht – »auf dem ganzen Erdball ein einziges Volk« –, findet sie in den Reiseberichten ihre Glücksmomente vor allem in Landschaften und Regionen, die leer von Menschen sind. Oder, wie es die Literaturjournalistin Sigrid Löffler im Nachwort mit Blick auf die Afrika-Reportage formuliert: »Was sich diese … Dame eigentlich erträumt, ist ein Afrika ohne Afrikaner.« Es ist aber nicht nur der Horror einer Reisenden vor den anderen Reisenden, den bloßen Touristen, es sind auch Ekel und Abneigung vor jeglichem Menschengewimmel wo immer auf der Welt, ob in China, in Moskau oder auf den Flughäfen. Und auch so etwas wie spätkolonialer Dünkel, hie und da. Vielleicht aber auch, nach all dem erfahrenen Leid, eine dann doch verständliche eskapistische Reaktion, ein romantisierender Rückzug vom Elend dieser Welt? Martha Gellhorn starb auf eigenen Wunsch, schwerkrank und fast gänzlich erblindet, am 15. Februar 1998 im Alter von fast 90 Jahren in London. Aus ihrem Nachlaß wird die Martha-Gellhorn-Stiftung gespeist, die nach dem Willen der Stifterin jährlich einen auf Englisch publizierenden Journalisten auszeichnet, der »die etablierte Version der Ereignisse durchlöchert und eine unappetitliche Wahrheit erzählt hat, die die Propaganda des Establishments oder das ›offizielle Geschwätz‹ entlarvt hat« (zitiert nach Wikipedia). Im Juni 2011 erhielt Julian Assange den Preis für das Projekt WikiLeaks. Martha Gellhorn: »Das Gesicht des Krieges«, 576 Seiten, und »Reisen mit mir und einem Anderen«, 544 Seiten; beide 24,90 €, Dörlemann-Verlag
Erschienen in Ossietzky 4/2014 |
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