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Gegenstand ist der Briefwechsel zwischen Olga Benario (1908–1942), die die Courage hatte, Kommunistin zu sein, und das Pech, aus einer vom Nazirassismus als »jüdisch« etikettierten Münchner Familie zu stammen, und ihrem Ehemann Luís Carlos Prestes (1898–1990), Zentralgestalt des brasilianischen Sozialismus; Benario befand sich damals in deutscher, Prestes in brasilianischer Haft. Veröffentlicht sind die Briefe nun im Wallstein Verlag unter dem Titel »Die Unbeugsamen: Briefwechsel aus Gefängnis und KZ« von dem New Yorker Germanisten Robert Cohen mit Übersetzung der portugiesischsprachigen Texte durch Niki Graça. Schade, daß dies erst jetzt geschieht, in der Epoche zunehmend oberflächlicher Vermarktung der unter »Holocaust« subsumierten Verbrechen des Naziregimes. Trotzdem muß man Cohen danken. Der Rezensent hingegen, Günther Drommer (der erstaunlich wohlwollende Biograph des kontroversen Erwin Strittmatter) fokussiert in der breiten Besprechung vor allem das »herzzerreißende Schicksal« (Drommer) von Olga Benario, die im Gefängnis niederkommt und dort nur 14 Monate mit ihrem Kind zusammenleben darf. Ihre Mitteilungen über die Zeit in der gemeinsamen Zelle werden detailliert gespiegelt, informierende Querverweise auf Benarios historische Bedeutung und die politische Dimension ihres »tapferen Lebens« (Ruth Werner) fehlen. Bedauerlich, gerade für jüngere Leser. Nichts von den Anfängen im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands, von ihrer Zeit mit Otto Braun (später Berater von Mao Zedong und Freund Zhou Enlais), von ihrer Ausbildung in Moskau und ihrer Arbeit für die Komintern in ganz Europa und schließlich Brasilien. Noch weniger, weder von seinen Briefen noch seiner Vita, erfahren wir über Prestes, den Vater des von Drommer als »jüdisch-deutsch-brasilianisch« etikettierten Kindes. Da ist nur die Rede vom »Kommandanten eines gescheiterten Aufstands«, von einer langen Haft unter dem Diktator Getúlio Vargas. Ahnungslosen Lesern drängen sich romantische Konnotationen auf: junge deutsche Idealistin und schnurrbärtiger, südamerikanischer Revoluzzer. Die enthaltsame, selektive Betrachtung des in der DDR aufgewachsenen und ausgebildeten Autors erstaunt um so mehr, als gerade dort die Geschichte des gemeinsamen politischen Kampfes von Benario und Prestes durchaus präsent war, nicht zuletzt dank Ruth Werners bekanntem biographischen Roman »Olga Benario. Die Geschichte eines tapferen Lebens« und der DDR-Berichterstattung, darunter Klaus Steinigers ausführliches Fernsehinterview mit Prestes. Was bestimmt Drommer dazu, Prestes’ gesellschaftlichen Beitrag als Pionier und Bahnbrecher sozialen Denkens in Brasilien nicht einmal beiläufig zu erwähnen? Den katholischen Halbwaisen aus armer Familie und charismatischen Truppenführer, der mit dem langen Marsch seiner legendären »Kolonne Prestes« (1925–1927) von 1500 Mann und 25.000 Kilometern die verkrusteten Oligarchien Brasiliens zu erschüttern und soziale Reformen zu erzwingen versuchte. Prestes hatte erst 1927 Genaueres über die Oktoberrevolution erfahren. Er erkannte die Sinnlosigkeit rein militärischer Aktion, studierte Marx und Lenin in Moskau und wurde ins Exekutivkomitee der Komintern berufen, wo er Olga Benario traf. Das alles verschweigt Drommer. Und es ist nachzutragen: 1935 beginnt das Ehepaar die politische Arbeit in Brasilien. Im Namen der brasilianischen KP und der neugegründeten »Nationalen Befreiungsallianz« fordert Prestes den faschistischen und in heftigem Flirt mit Hitler begriffenen Diktator Getúlio Vargas zum Rücktritt auf und startet die »Rote Revolution«, die am Widerstand bürgerlicher Militärs scheitert und heute eher verächtlich als »Intentona Comunista« (etwa: »verrücktes kommunistisches Ansinnen«) figuriert. Prestes wird inhaftiert, Olga Benario, hochschwanger, an die Nazis ausgeliefert. Es beginnt die besprochene Korrespondenz. Mit dem Ende des »Neuen Staats« von Getúlio Vargas (1945) kommt Prestes frei, wird Generalsekretär der KP und als kommunistischer Senator ins Oberhaus des brasilianischen Parlaments gewählt. Nach dem neuerlichen Verbot seiner Partei (1948) rettet er sich in den Untergrund. Und beim Militärputsch von 1964 bringt ihn mein späterer Kameramann und Kollege Aloysio Raulino bei Nacht und Nebel nach Uruguay. 1979 begnadigt, wieder in Brasilien und als historische Ikone verehrt, wird der alte Mann von seiner Partei geschnitten. Parteilos, setzt er sich sporadisch für Dritte ein und stirbt 1990 in Rio de Janeiro. Wohl zuviel Rot und Antifa für den Geist der Zeit, für eine Publikation, deren Chancen in EU und Imperium man nicht verderben will? Wir erfahren auch mit keiner Silbe von der vielfältigen vorherigen Aufarbeitung des Themas Prestes-Benario von seiten standhafter Autoren, von den Büchern, Beiträgen und Filmen der anderen. Darunter: Anna Seghers, »Olga Benario-Prestes« (1951); Jorge Amado, »Der Ritter der Hoffnung« (1959); Ruth Werner, »Olga Benario – die Geschichte eines tapferen Lebens« (1961); Fernando Morais, »Olga« (1993) – einer der größten brasilianischen Bucherfolge, erfolgreich verfilmt von Jayme Monjardim (2004). Ungenannt bleiben die Filme von Galip Iyitanir »Olga Benario, ein Leben für die Revolution« (ZDF/Arte, 2004) und von Toni Venturi »Der Alte, die Geschichte von Luís Carlos Prestes« (1997), auch die brasilianische Oper »Olga« von Jorge Antunes (2006). Drommer betont dagegen, »wieviel Mühe in Robert Cohens Projekt steckt, diesen Briefwechsel zweier aufrechter Menschen endlich auch den Leserinnen und Lesern in Deutschland zugänglich zu machen: Als Herausgeber ist er mehrmals in Brasilien gewesen.« Ja, »die Knochen des Berufslebens«, wie die Brasilianer spötteln. Was sind dagegen die Mühen eines Fernando Morais beispielsweise, der ein halbes Jahr in weniger sonnigen DDR-Archiven forschte, wo unter anderem auch Briefe von Benario existieren? Olga Benario und Luís Carlos Prestes sind den Brasilianern teuer, nicht nur als »aufrechte Menschen« sondern als Menschen, die die Geschichte bewegt haben. Mainstreamig-rührselige Unverbindlichkeit verfälscht ihr Vermächtnis – nicht nur für Brasilien, sondern für das derzeitige Deutschland im besonderen.
Erschienen in Ossietzky 4/2014 |
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