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Dies sei eine »Krönung« für Genschers jahrzehntelanges Bemühen um eine Verbesserung der Ost-West-Beziehungen und für die Durchsetzung der Menschenrechte gewesen. »Wenn irgend jemand«, so Rehn, »dann sollte Genscher den Friedensnobelpreis für sein Lebenswerk bekommen.« Treffender kann man es nicht sagen. Alles, was recht ist, Genscher hat keine Mühe gescheut, Chodorkowski aus den Fängen der russischen Strafjustiz zu befreien. Mit einer nahezu beispiellosen geheimdiplomatischen Aktion hat er sich für die Menschenrechte des Eingekerkerten eingesetzt und dabei auch zweimal höchstpersönlich mit dem Kremlchef, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, gesprochen. In seinen Bemühungen um die Haftentlassung des »Erzfeindes Putins« (Tagesschau.de) hatte er eine starke Verbündete: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hatte sich, wie der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, mitteilte, »wiederholt gegenüber dem russischen Präsidenten für die Freilassung von Herrn Chodorkowski eingesetzt«. So war es nicht verwunderlich, daß die Bundesregierung den »großen Einsatz« des Bundesministers a. D. Genscher für dieses hehre Ziel würdigte. Michail Chodorkowski seinerseits dankte auf seiner ersten Pressekonferenz, die sinnigerweise im Mauermuseum am Checkpoint Charlie stattfand, der Kanzlerin und dem Ex-Minister. Ohne deren Einsatz wäre er nicht in Freiheit. Die Hilfe Genschers und Merkels galt einem verdienstvollen, grundehrlichen und fleißigen Mann, der für viele seiner russischen Landsleute ein leuchtendes Vorbild war. Was hat er nicht alles geleistet. Als ehemals kleiner Komsomol-Funktionär hat er es nach dem Untergang der Sowjetunion, in den Wirren der Gorbatschow- und Jelzin-Ära durch untadelige, zielstrebige Arbeit geschafft, innerhalb weniger Jahre ein Vermögen von umgerechnet rund 15 Milliarden US-Dollar zu erwerben und als Chef des Jukos-Ölkonzerns zum reichsten Mann Rußlands zu werden (Ossietzky 14/12). Das rief selbstverständlich Neider, argwöhnische Staatsanwälte und mächtige Politiker auf den Plan, die nur auf einen Vorwand warteten, um ihn zu Fall zu bringen. Die Gelegenheit kam, als er ab 2002 in löblicher Absicht, vielleicht aber auch ein wenig leichtsinnig mit den US-Öl-Giganten Exxon Mobil Corporation und Chevron Corporation über eine Übernahme von Jukos-Anteilen verhandelte und so sich dem völlig unbegründeten Verdacht aussetzte, strategisch wichtige nationale Ressourcen zu verkaufen. Hinzu kam, daß Chodorkowski in fast jugendlicher Unbesonnenheit öffentlich erklärte, er könne Parteien und sogar Wahlergebnisse kaufen. So kam der ehrenwerte Bürger vor Gericht, wurde in zwei Prozessen wegen Betrug und Steuerhinterziehung verurteilt und verbrachte zehn lange Jahre in Straflagern. Außerhalb Rußlands, in den freien Ländern der freien Welt, wurde die ungerechte Bestrafung mit nur allzu verständlicher Empörung aufgenommen und als politisch motiviertes Urteil gebrandmarkt. Dummerweise widersprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dieser Auffassung. Für die vielen Freunde Chodorkowskis war das eine herbe Enttäuschung, immerhin hatte die »Grande Dame der russischen Menschenrechtsbewegung« Ljudmila Alexejewa den Ex-Jukos-Chef, wie der Deutschlandfunk zu berichten wußte, »bereits in eine Reihe mit Mahatma Gandhi, Andrej Sacharow und Václav Havel gestellt«. Aber auch an üblen Verleumdungen fehlte es nicht. Selbst die Frankfurter Rundschau erdreistete sich am Vorabend des ersten Chodorkowski-Prozesses zu behaupten: »Die Mittel, mit denen er zum Oligarchen aufstieg, waren die Mittel eines Raubtierkapitalismus, mit denen eine Schar smarter, mehr oder weniger gewissenloser Geschäftsleute dem russischen Volk den gesellschaftlichen Reichtum raubten.« Vergessen wir es. Entscheidend ist doch, daß das Martyrium des Ex-Komsomol-Funktionärs und späteren verdienstvollen Öl-Oligarchen ein Ende fand und dieser nun in der Schweiz, in Israel, in der Bundesrepublik und anderswo verständlicherweise vor allem damit beschäftigt ist, das ihm verbliebene Geldvermögen, das er zum Glück rechtzeitig bei ausländischen Banken gebunkert hatte, zu zählen, die Wonnen der Freiheit zu genießen und seinen heldenhaften Freiheitskampf fortzusetzen. Das alles verdankt er der deutschen Kanzlerin und dem rastlosen Einsatz Genschers, der zu Recht nun für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. Spät wird diese höchste Ehrung, wenn sie denn kommt, dem langjährigen bundesdeutschen Außenminister und Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband zuteil werden. Eigentlich hatte er sie in seiner langen Amtszeit (1974–1992) schon längst verdient. Gut erinnerlich ist sein glänzender Beitrag zur Beseitigung des ostdeutschen Unrechtsstaates und der Wiederherstellung der Einheit des deutschen Vaterlandes. Noch größer sind seine historischen Verdienste bei der Zerschlagung eines anderen Unrechtsstaates. Gerade hier scheute er weder Mühe noch Zeit, um die Zwangsföderation Jugoslawien von der Landkarte zu tilgen. Für ihn war es eine Ehrensache, die für Freiheit und Unabhängigkeit kämpfenden separatistischen Kräfte der jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien nach besten Kräften und mit allen Mitteln zu unterstützen. Als sich im Sommer 1991 die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der jugoslawischen Volksarmee und den kroatischen Separatisten zuspitzten, bewährte er sich als ein ehrlicher Makler und erklärte am 24. August 1991 gegenüber dem jugoslawischen Botschafter in Bonn: »Wenn das Blutvergießen weitergeht und wenn die Politik der gewaltsam vollendeten Tatsachen mit Unterstützung der jugoslawischen Armee nicht sofort eingestellt wird, muß die Bundesregierung die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens in den festgelegten Grenzen ernsthaft prüfen. Sie wird sich für eine entsprechende Prüfung auch innerhalb der EG einsetzen.« Der kroatische Präsident Franjo Tudjman betrachtete das bedauerlicherweise als Blankoscheck zum Bruch mehrfacher Waffenstillstandsabkommen und zur Fortführung der Angriffe auf die gesamtjugoslawische Armee. Die Bundesregierung ihrerseits stand zum Wort ihres Außenministers und erkannte Slowenien und Kroatien am 23. Dezember als souveräne Staaten völkerrechtlich an. Genscher hatte hervorragende Arbeit geleistet und entscheidend dazu beigetragen, den Zerfall Jugoslawiens zu beschleunigen. Naive Warnungen des damaligen UNO-Generalsekretärs Pérez de Cuéllar schlug er in den Wind. Dieser hatte sich angemaßt, neun Tage zuvor an Genscher zu schreiben und vor einer verfrühten Anerkennung zu warnen, da sie »eine Erweiterung des gegenwärtigen Konflikts in jenen empfindlichen Regionen nach sich ziehen würde«. »Solch eine Entwicklung«, so de Cuéllar, »könnte schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion haben und würde meine eigenen Bemühungen und diejenigen meines persönlichen Gesandten ... für friedenserhaltende Maßnahmen ... ernsthaft gefährden.« Leider behielt der UNO-Generalsekretär recht, und in der empfindlichen Region, vor allem in dem von Serben, Kroaten und Moslems bewohnten Bosnien-Herzegowina, löste die »verfrühte Anerkennung« einen blutigen Bürgerkrieg aus, der Zehntausende Männer, Frauen und Kinder das Leben kostete. Dem bundesdeutschen Außenminister war das selbstverständlich nicht anzulasten, er hatte es gemeinsam mit Kanzler Helmut Kohl nur gutgemeint. Aber was hat es ihm außer scharfer internationaler Kritik selbst von den NATO-Verbündeten in Kroatien an Ehrungen gebracht? Nun ja, in Zagreb und in der kroatischen Hafenstadt Split wurden zwei Gaststätten in »Café Genscher« umbenannt, in denen einige Zeit lang das schöne Lied »Danke, Deutschland, mein Herz steht in Flammen. Danke, Deutschland, für das liebe Geschenk« erklang. Undank ist eben der Welten Lohn. Zwar wurde Genscher mit dem kroatischen Orden des Fürsten Trpimir mit Halsband und Morgenstern ausgezeichnet, den eigentlich verdienten Friedensnobelpreis erhielt er nicht. Nun, nach der Befreiung Chodorkowskis, ist es endlich an der Zeit, dieses Unrecht wiedergutzumachen. Die Entscheidung liegt in den Händen des Nobelpreiskomitees in Oslo. Wir selbst sind zur Passivität verurteilt und können Genscher nur fest die Daumen drücken und hoffen, daß die Gerechtigkeit siegt.
Erschienen in Ossietzky 4/2014 |
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