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Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Konzerthauses am Gendarmenmarkt in Berlin und ihr Chefdirigent Iván Fischer gehen bekanntlich gern eigene Wege. Sie verbündeten sich mit Albert Wendt und Jens Naumilkat. Der eine ein Dichter, der sich nicht nur phantasievolle Hörspiele und Theaterstücke, sondern besonders gern leise und doch aufregende Geschichten für Kinder ausdenkt. Der andere ein Musiker, der sein Können als Komponist und Arrangeur bereits an mehreren Kindermusiktheater-Inszenierungen unter Beweis gestellt hat. Alles fügte sich glücklich. Wendt schrieb nach seinem erfolgreichen Buch »Bummelpeters Weihnachtsfest« eine Bühnenfassung. Naumilkat setzte die Gedankenwelt des bedächtigen kleinen Peter und die Wintergeräusche und Weihnachtsklänge in Töne um. Die zitieren auch bekannte Melodien, sind jedoch weit vom üblichen Weihnachtskitsch entfernt und nur manchmal ein wenig ausufernd. Er selbst spielt das Cello, mit dabei Jacek Mielczarek (Klarinette und Baßklarinette), Andrej Ugoljew (Posaune) und Julius Heise (Perkussion). Eine weite Winterwelt tut sich auf. Weiße Tücher formen Schneewehen, mittendrin der vereiste Teich (Ausstattung: Denise Sheila Puri). Es pfeift der Wind, die Stürme blasen. Warm und sanft ist die Stimme des Erzählers (Martin Seifert), der seitlich in einem gemütlichen Großvatersessel sitzt, ein Buch in der Hand. Alle Besucher sind gewiß, daß alles, was sie nun hören und sehen, sich einmal genau so zugetragen haben muß, daß aus dem langsamen kleinen Peter ein »Aufschreiber« geworden ist. Und mit ihm tauchen sie hinab in des Dichters Erinnerungen. Albert Wendt erzählt von einem Kindheitserlebnis. Es ist eine sehr heutige Story: Der Junge, oft allein mit sich, war am Heiligabend auf dem Dorfteich in ein Eisloch gestolpert. Zwar hatte er sich selbst herausziehen können, hinein in eine warme Stube, in trockene Sachen war er nicht gekommen. Alle Menschen waren beschäftigt. Weihnachten stand vor der Tür. Anstatt ihn aufzunehmen und aufzuwärmen, rieten sie dem frierenden, tropfenden Peterchen: »Geh nach Hause, sonst holst du dir den Tod!« Und es klappten die Fensterläden im ersten, im zweiten und im nächsten Haus zu. Peter schaffte es bis in den Schafstall und verkroch sich zähneklappernd zwischen den wollwarmen Tieren. Die Tante hatte ihm den Wohnungsschlüssel nicht anvertraut und würde erst spät von der Arbeit kommen. Da kam der Tod, den kleinen Jungen mitzunehmen. Aber auch rettende Engel waren zur Stelle: Der alte Schäfer, der noch einmal nach seinen Tieren schauen wollte, findet das fiebernde Kind, rubbelt es wie die neugeborenen Schafe mit einem Strohbüschel trocken, streicht ihm eine kräftige Salbe auf Brust und Rücken und fährt den Kleinen – dick eingemummelt – mit dem Pferdeschlitten ins Krankenhaus. Dort hat Oberschwester Hypolita (Ute Kahmann) das Sagen: »Mir stirbt am Heiligen Abend auf meiner Station kein Kind!« Sie zitiert den Stationsarzt (Thomas Mette) herbei und bringt den anfänglich mürrischen Doktor auf Trab. Gemeinsam bescheren sie ihrem kleinen Patienten mit einem Wiegenlied, mit Späßen und Puppenspielereien den – für immer unvergessenen – schönsten Weihnachtsabend seines Lebens. Ihre liebevolle Zuwendung wärmt den Jungen und stärkt seine Lebensgeister. Der Tod verliert die Geduld und macht sich davon. Peter schläft sich gesund. Und jeder im Saal kapiert: In einer kalten, ungemütlichen Welt braucht es Herzenswärme, damit ein Mensch überleben kann. Hilfsbereitschaft, Fürsorglichkeit und Liebe sind die beste und sogar eine kostenlose Medizin. Das ist die alte und auch heute noch gültige Weihnachtsbotschaft. Albert Wendts Text bringt das gradlinig, selbst für die jüngsten Besucher verständlich und sehr poetisch rüber. Die Inszenierung von Antje Siebers (Konzept, Regie und Spielleitung), Gabriele Nellessen (Konzept, Dramaturgie und Produktionsleitung) und Stefan Fichert (Konzept und Schattentheaterszene) unterstützt die Worte leider nicht adäquat. Zwar arbeitet sie ohne moralischen Zeigefinger und sicherlich mit den besten Absichten. Die Schwachstellen, die schon in der vorjährigen Uraufführung zu erkennen waren, wurden nicht beseitigt. Konsequente Neugestaltung der Schattenspiele – eigentlich eine wundervolle Idee, die Erzählung zu bebildern – war nicht zu erleben. Gezeigt wurde der kühne Versuch eines Designers, mit Arrangements dürrer Zweige, mit wallenden schwarzen Tüchern und überdimensionierten Rabenschwingen einen – Peterchens – Todeskampf zu symbolisieren, der wahrscheinlich nicht einmal die Erwachsenen beeindruckte. Im Saal breitete sich Unruhe aus. Einige fürsorgliche Mütter führten ihre Kinder hinaus. Ebenfalls noch immer wenig überzeugend die lebensgroße Peterchen-Puppe (Puppenbau: Maarit Kreuzinger), die anfänglich durch die Szene geschoben wird, und die vor und nach dem Sturz ins Eisloch immer gleichermaßen unbeteiligt dreinschaut. Erst sehr spät, im Krankenhausbett darf sie als stummer Adressat der Bemühungen von Doktor und Oberschwester ihre Rolle spielen. Auch da sollte mehr drin sein. Uneingeschränktes Vergnügen bereiteten den Kindern – »Zielgruppe« und folglich Wertmaßstab – zweifelsohne das Puppenspiel und die Dialoge zwischen den Holzköpfen. Nach wie vor ist die Inszenierung nicht homogen, sondern unentschlossen. Dennoch gab‘s letztlich herzlichen Beifall. Das mag ermuntern. Auf ein Neues also: Aller guten Dinge sind drei.
Erschienen in Ossietzky 2/2014 |
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