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Zugezogen vom Land sind sie in den Städten von sämtlichen Sozialleistungen – wie einer Krankenversicherung – ausgeschlossen. In China soll mit solchen Zuständen Schluß gemacht werden – ein Grund mehr, sie im Seehoferland einzuführen. In Hamburg kann sich der bayerische Monarch noch Anregungen holen. Ein Riesenberg bunter Plastikflaschen. Mitten darin, als könnte sie darunter begraben werden, ein schwarzhaariges Mädchen mit zwei Säcken: in dem einen farblose Flaschen, im anderen die blauen. Das Foto zeigt die Müllrecyclerin Xu Fang aus China und ist Teil der Ausstellung »Wanderarbeiter« im Museum der Arbeit in Hamburg (noch bis 2.3.14). Neun Fotografen präsentieren ihre Serien dieser »neuen Arbeiterklasse« – die ja so neu nicht ist – von Asien bis nach Europa. Ganz aktuell, der Streik beim Online-Versandhändler Amazon in der Vorweihnachtszeit. Die Arbeitsbedingungen der Saisonarbeiter will ein Vortrag mit Film »Ausgeliefert« am 17. Februar im Museum vorstellen. Chinas Wanderarbeiter (bis zu 200 Millionen) haben kein gewerkschaftliches Recht, sich zu solidarisieren. Sie bekommen meist keinen monatlichen Lohn, nur Unterkunft und Verpflegung, erst am Ende des Jahres das Geld. Wenn die Firma bis dahin nicht pleite ist. Das als Foto perfekte Bild der Xu Fang aus der Reihe »Mingong – Die Suche nach dem Glück« von Wolfgang Müller kann das alles nicht erzählen. Dazu braucht es Erklärungen. Der Zyklus »Asian Workers Covered« von Ralf Tooten führt Wanderarbeiter, auch Frauen, auf thailändischen Großbaustellen fast wie Models vor. Ihre phantasievollen bunten Kopfbedeckungen und Körperverhüllungen – nicht islamisch – als Schutz vor Staub und Sonne und Giften. Viele, die sich illegal im Land aufhalten, sind so vermummt, nicht sofort zu erkennen. Der Pressetext spricht von einer »unerwarteten Ästhetik«, die sich bei »genauerem Hinsehen« offenbare. Wer sich einen Schutzhelm nicht leisten kann, muß mit Einfallsreichtum nachhelfen. Die armseligen Unterkünfte sehen wir nicht. Auch wenn – sparen muß sein – die Produktionsstandorte immer weiter nach Osten verlagert werden, gibt es Wanderarbeiter genauso in Europa. Schon früh zogen Arbeitssuchende ins Ruhrgebiet. Zwei Fotoserien bringen uns die, vielleicht, unbekannten Nachbarn in Schwarz-Weiß-Bildern näher. Und eine Zugreise von Gastarbeitern von Istanbul nach Dortmund aus dem Jahr 1964. Eine Fahrt, die oft bis zu 70 Stunden dauerte. Wanderarbeiter, die auch reisen, auf Frachtschiffen, sind bis zu neun Monaten unterwegs, die »Cargonauten«. So nennt sie der Fotograf Oliver Tjaden, der sie portraitierte. Keine Hafenromantik. In Hamburg stehen die aufgestapelten Container meterhoch. Mehr als eine Million Menschen arbeiten auf diesen Schiffen. Wie gefährlich das Verladen ist, können die Fotos nicht vermitteln. Uns viel näher, die »Wanderer zwischen den Welten«, rumänische und bulgarische Arbeiter in Hamburg. Sie schuften für einen hanseatischen Unlohn (drei Euro pro Stunde) auf dem Bau oder in der Fleischindustrie. Filme machten ihre Situation erschreckend konkret. Auch die unzumutbare Lage der Zimmermädchen in Hotels. Mauricio Bustamante, der Fotograf des Straßenmagazins Hinz und Kunzt, begleitete eine Reise dieser wandernden Arbeiter mit dem Kleinbus von Bulgarien nach Hamburg. In der Ausstellung, ein Video, das die Menschen unterwegs zeigt, am Straßenrand »Wunschbäume« mit angehefteten Zetteln. Die osteuropäischen Spargelstecher in Brandenburg (Serie von Ingar Krauss) sind unentbehrlich geworden für viele Erntearbeiten. Sie leben in Massenunterkünften wie in Lagern, bezahlt nach Akkord. Das Geld muß über den Winter hinaus reichen bis zum nächsten Jahr. Die Bilder von Andrea Diefenbach »Land ohne Eltern« – sie bleiben im Kopf hängen. Wenn die Eltern die Heimat (Moldawien) verlassen, werden sie zurückgelassen: die Kinder. Um irgendwo im Westen oder in Rußland Arbeit zu finden, gehen ein Viertel der Einwohner weg. Jahrelang können sie als illegal Eingereiste nicht zurückkehren. Die Kinder leben bei den Großeltern oder auch allein. Auf den Fotos: karge Zimmer mit einem Kühlschrank vielleicht und einem Kind im Schlafanzug, den Telefonhörer in der Hand. Eine große Einsamkeit spricht aus diesen Bildern. Leider gibt es keinen Katalog zur Ausstellung, der vieles deutlicher oder überhaupt erst verstehbar machen würde. Im Museum für Völkerkunde in Hamburg: »Blick ins Paradies – Südsee erleben in historischen Fotografien« (bis zum 31.8.14). Eingefügt zwischen den exotischen Masken und Objekten der Hamburgischen Südsee-Expedition von 1908, die Bilder aus der Kolonialzeit. Auch hier Arbeiter (Einheimische) oder Einwanderer aus Japan. Infotext: »Zur Beschaffung von Arbeitskräften für die Kokos- und Zuckerrohrplantagen entstand ein reger Menschenhandel. Professionelle Anwerber verschleppten große Bevölkerungsgruppen einzelner Inseln und zwangen sie zur Arbeit auf den Plantagen.« Ein Paradies – für die Oberschicht, die in weißen Anzügen unter Palmen das Bild von den Tropen unterstreicht. Die Arbeiter – wie zum Appell angetreten. Die Schau, gegliedert in einzelne Kapitel und Motti im Original: »Wie Gras am Straßenrand« über die Heimatlosen. Oder eine Redewendung der Maori: »Was ist das Wichtigste auf der Welt? Menschen! Menschen! Menschen!« Viele nackte oder halbnackte Mädchen, lächelnd, blumenbekränzt – im Studio aufgenommen, inszeniert. Denn längst hatten Missionare gewütet und Verhüllung verordnet. In Europa gab es die Völkerschauen. Da wurden die exotischen Menschen vorgeführt. So auch die Samoanerin, die das Plakat zur Ausstellung ziert, Fai Atanoa, die wegen ihrer Schönheit bevorzugt wurde. Das krause Haar, modern nach oben gesteckt. Sammelwut, das ist ein Thema. Das Hamburger Handelshaus Godeffroy ließ alles zusammentragen für ein eigenes Museum, Objekte und Fotos. Länder wurden vermessen, um sie sich anzueignen, und Menschen. Gipsabdrücke von Gesichtern genommen und Schädel vermessen. Aufnahmen von Nackten, von vorn, von hinten, von der Seite. Eine riesige Tabelle füllt eine Wand: »Zur Übersicht der Körpermaße und Körperverhältnisse von 31 lebend vermessenen, in dem anthropologischen Album des Museum Godeffroy abgebildeten Südsee-Insulanern. Alle Maße in Millimetern.« Von 1) Höhe des Körpers bis 80) Beckenbreite. Unterteilt in Polynesien, Melanesien, Mikronesien. Und: »Um die Wölbung der Schädel besser wahrnehmen zu können, bewog ich einen Teil der betreffenden Individuen (Anchorites Insulaner), das Kopfhaar abzurasieren.« Gemessen von Dr. J. W. Spengel mit genauen Angaben über die Meßmethode. Foto: eine nackte Frau, daneben eine Meßlatte. Sie muß stramm stehen wie für das Militär. Diese Vermessungen – ein Instrument der Aneignung, genauso wie die Fotografie. Etwas später vermaßen die Nazis auch ihre Deutschen, wer nicht in ihr Maß paßte, wurde selektiert.
Erschienen in Ossietzky 2/2014 |
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