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Er verurteilt darin jene »Sucht nach Arbeit«, die sich in den arbeitenden Klassen der kapitalistischen Gesellschaft verbreitet und sie dem System unterworfen hat, als einen schädlichen Wahn, der die Arbeiter an den Rand ihrer Existenz bringt. Die kleine Schrift ist noch immer empfehlenswert als aufmunternde Lektüre an trüben Wintertagen zum Infragestellen der selbst heute – trotz millionenfacher Arbeitslosigkeit in Europa – noch gesellschaftlich tief verinnerlichten Überzeugung, die kontinuierliche (Lohn-)Arbeit der Menschen sei für die Massen die einzig mögliche Form der Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenleben. Der Staatsbürger wird demnach zu einem solchen nur als stetig arbeitendes Mitglied der Gesellschaft – eine Grundüberzeugung, die man in fast allen relevanten politischen und religiösen Sichtweisen findet. Zwar veränderte die Arbeiterbewegung den Adressaten der Malthusschen Forderung an die Armen »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen«, als sie diese – nun an die Reichen gerichtet – übernahm, doch angesichts der immer noch weit verbreiteten Meinung: »Wer sich wirklich bemüht, findet auch Arbeit«, werden Arbeitslose gesellschaftlich geächtet, Hartz IV läßt keinen Spielraum für Optimismus. Das alles vor dem Hintergrund, daß durch fortschreitende Technisierung und Rationalisierung den westlichen Industrienationen seit rund 40 Jahren »die Arbeit ausgeht« beziehungsweise jenes immer größer werdende Reserveheer von Arbeitslosen geschaffen wird, das ohne einschneidende Veränderung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse keine Aussicht mehr auf Arbeit hat, dessen Existenz aber die Absenkung der Lohnniveaus garantiert. Doch dieser Sachverhalt bleibt weitgehend verschleiert und bisher ohne politische Folgen: Die ökonomischen Verhältnisse werden nämlich noch immer als »natürliche« ausgegeben, zu denen es »keine Alternative« gäbe. Den Antagonismus der kapitalistischen Produktion als ein allgemeines Naturgesetz gesellschaftlichen Reichtums hatte bereits der von Marx zitierte, gelehrte Mönch Giammaria Ortes im 18. Jahrhundert in Venedig definiert: »Das ökonomisch Gute und das ökonomisch Böse halten sich in einer Nation stets das Gleichgewicht, die Fülle der Güter für einige ist immer gleich dem Mangel derselben für andere. Großer Reichtum von einigen ist stets begleitet von absoluter Beraubung des Notwendigen bei viel mehr anderen. Der Reichtum einer Nation entspricht ihrer Bevölkerung, und ihr Elend entspricht ihrem Reichtum. Die Arbeitsamkeit in einigen erzwingt den Müßiggang in anderen. Die Armen und Müßigen sind eine notwendige Frucht der Reichen und Tätigen.« (zit. nach Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. 1, VII. Abschn., S. 596, Frankfurt/Berlin, 1973) So wird es noch heute vom Mainstream kolportiert. Angesichts dessen ruft Lafargue in Erinnerung, daß die Existenz und Preisung der kapitalistischen Lohnarbeit erst eine relativ kurze Phase der menschlichen Geschichte umfaßt, der seit der Antike eine jahrhundertelange Ächtung körperlicher Arbeit vorausgeht, die an Sklaven delegiert oder über andere Zwangssysteme erpreßt wurde und vielerorts immer noch wird. Heute wissen wir, daß auch die starke Zunahme der Weltproduktion die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht etwa nach und nach ausgleicht, sondern die ökonomische und soziale Spaltung im nationalen wie im globalen Maßstab weiter verschärft. Die Flüchtlingsströme gerade aus den aufstrebenden Ländern der Peripherie ins Zentrum kapitalistischer Produktion zeigen das mit brutaler Deutlichkeit, und nicht nur in Lampedusa. Der Weltzustand läßt zu Beginn des Jahres 2014 wenig Hoffnung darauf, daß es gelingen möge, das Primat der Profitmaximierung zu brechen, als Voraussetzung für eine überfällige Neudefinition der gesellschaftlich notwendigen Produktion und die Verteilung der dazu notwendigen Arbeit auf alle. Die ökologische Lage erfordert nichts anderes, denn eine »green economy« bedeutet nur weitere Verdrängung des Grundproblems. Hier besteht komplexer Handlungsbedarf. Dahin geht auch Lafargues Aufforderung, alle Arbeitenden möchten sich weltweit aufraffen und nicht mehr mit hohlen »Menschenrechten« abspeisen lassen und schon gar kein »Recht auf Arbeit« einfordern, das im Kapitalismus nichts anderes als Recht auf Ausbeutung bedeute. Sie sollten hingegen ein »ehernes Gesetz schmieden«, das es jedermann verbiete, mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten, erst dann könne ein neues Zeitalter für die ganze Erde anbrechen: »… aber wie soll man von einem durch die kapitalistische Moral korrumpierten Proletariat einen männlichen Entschluß verlangen«!? Diese Frage Lafargues harrt seit 130 Jahren auf Antworten. Literaturempfehlung: Ossietzky-Sonderdruck »Manifest zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit« mit Texten von Heinz-J. Bontrup und Mohssen Massarrat sowie einem Vorwort von Eckart Spoo, Mai 2011, 20 Seiten, 2 € zzgl. 1,50 € Versandkosten, Bezug: ossietzky@interdruck.net
Erschienen in Ossietzky 2/2014 |
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