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Vielleicht könnte man es als eine Folge ansehen, wenn er »eine Tasse Espresso, jeden Morgen, im Café, nicht zu Hause« in »intensivster Arbeitszeit« als persönliches Glück betrachtet. Eventuell erlebte er einmal beim Espresso eine Stunde, die ihm durch eine schlagartig ersonnene »nobelpreiswürdige« Idee Glück erbracht hat. Jeden Morgen versucht er nun dieses glückhafte Moment zu reproduzieren, wohl mit narzißtischer Befriedigung, und sich ein selbstorganisiertes und abonniertes Glück zu verschaffen. Albert Camus nahe, sieht er sich wie Sisyphos, der in der täglichen Arbeit Steine wälzt und den wir uns »als einen glücklichen Menschen vorstellen« sollen. Mir erscheint, oft wird Glück mit Wohlgefühl und Zufriedenheit verwechselt. Denn Glücksgefühle entstehen in solchen tief aufwühlenden Momenten wie beglückende Orgasmen, die ebenso noch nicht Glück sind, zwar ähnlich, doch seltener. Worauf manche Ehefrau bedauernd sagt: Noch seltener? Dieses aus alltäglichem Geschehen erwachsende, wiederholbare Gefühl auf der Ebene der Zufriedenheit betonten auch die Fernsehsendungen. Das dialektische Hervorbringen von Glück in den verschiedensten Lebenssituationen wird meist nicht in der psychologischen Ergriffenheit qualitativ gefaßt. Solch quantitative Gemütslage widerspiegelt auch die weitverbreitete Entfremdung von Werten (Idealen), Rollen, Normen, welche die Möglichkeit, glücklich sein zu können, untergräbt. Glück ist ein emotional hoch besetztes, stark erregendes Erlebnis, weil es der betroffenen Person oder einer, dieser Person eng verbundenen Gemeinschaft, bis zur Nation oder Weltbevölkerung, ein ersehntes Bedürfnis erfüllt. Das Siegtor zum Glück des Fußballweltmeister, das mit dem Unglück des Verlierers verbunden ist; oder das Ende des Weltkrieges. Plötzlich aufflammende Glücksgefühle werden kurzzeitig über den sensus numinis, ein von Rudolf Otto benannter Sinn, empfunden (Friedrich Möbius »Die karolingische Reichsklosterkirche Centula – Saint-Riquier – und ihr Reliquienschatz«, 2013). Besonders bei intensiver eigener Aktivität lösen Endorphine seelische Kräfte mit beglückenden und gefährdenden Momenten aus. Glücksgefühle verlangen bestimmte Gegebenheiten, günstige Umstände, und treten manchmal erhofft, dennoch eher zufällig auf. Trotz plötzlicher Erscheinung bleiben sie dauerhaft, graben sich in die Persönlichkeit ein, prägen oft tiefgreifend ihre Strukturen und begründen Interessen. Als ich mit meiner Frau Christine auf den Spuren Paul Gauguins durch die Bretagne fuhr, ließen wir uns in St. Thégonnec nach der langen Betrachtung des Calvaires mit seinen neun Passionsszenen zu Mittag am Tisch eines Restaurants nieder. Es lag am zentralen Platz, wo kein Auto fuhr, keine Touristen lärmten, sondern Schwalben die Stille belebten wie auch leise Flötenmusik, die aus einem kleinen Laden herüberklang. Wir saßen draußen vor dem Lokal und genossen die Sonne, die vom Blau des Himmels durch die meeresnahe Luft wärmend auf uns niederschien. Alle Hektik war abgefallen. Unser Blick lag auf der Kirche Notre-Dame, ihrem mächtigen Glockenturm und den ungewöhnlich hochragenden drei Kreuzen des Calvaires. Gern warteten wir bei einem Glas Wein auf das Taubengericht und blickten uns in die Augen. Diese Minuten brachten mit ihrem inneren Gespinst an erfüllenden Momenten aus menschlicher Übereinstimmung, kunstgeschichtlichem Beruf, Erlebnis der sommerlichen Landschaft Finis terrae und der Gourmandise das Glück einer seltenen vielschichtigen Harmonie, die wir sofort fühlten, aber erst später als eine glückliche und einzigartige Zeit begriffen. Berühmt ist Hermann Hesses Antwort auf die Frage, was das Glück ist. Er meinte, daß viele Menschen es zurecht mit Kindheitserlebnissen verbinden, und beschrieb sein eigenes, wie er als Kind aufwachte und an dem Strahlen des Sonnenmorgens vielerlei Glücksgefühle empfand. So erinnerte ich mich an ein frühes Glück ein halbes Jahrhundert später in Bad Tennstedt am Klunkerbach, ein Bachidyll. An dessen Ufer lief ich den Goethe-Weg aufwärts, an dem klaren und glitzernden Bach mit grünem Unterwassergewächs entlang, auf dem Enten schwammen. Der Lauf des Baches, von einem zarten grünen Rasen umfaßt, erinnerte mich daran, wie ich als Kind aus dem von Ruinen zerstörten Viertel um den Hauptbahnhof der Stadt Halle ins ländliche Leben vom Mansfelder Land kam und das erlebte: Die frühlingshafte Bachlandschaft, wo sich die glatte und saubere Wasserfläche in gleicher Höhe ans Wiesenufer schmiegte und vom leichten Wind in winzigen Wellen gekringelt wurde, wie sich Entchen darauf bewegten und Gänse auf der Wiese schnatterten, wie vom Bachrand ein paar Blütenblätter von einer lichtdurchschienenen Birke hineinfielen und mit der langsamen Strömung davontrieben. War es das nicht, was ich in mir als Glück des Lebens empfand? Aber wer lebt glücklicher? Derjenige, der sich aus dem Lebensfluß sinnend zum frühen Bächlein und zur Quelle zurückbegibt oder jener, der sich im Lebensfluß hinabgleiten läßt und bis zur Mündung ohne Erinnerung ans frühe Glück bleibt?
Erschienen in Ossietzky 25/2013 |
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