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Die SpitzenpolitikerInnen der Union und der SPD loben ihr gemeinsames Werk: Einen »Riesenschritt« bedeute es, freute sich die CDU-Vorsitzende; »schöne Gefühle« bringe es ihm, teilte der CSU-Vorsitzende mit; das Prädikat »Gut bis Sehr gut« gab dem Vertrag der SPD-Vorsitzende. Das erarbeitete Papier ist sehr umfänglich, da paßt vieles hinein. Und so bietet es eine Fundgrube für Marketingleute aller drei Koalitionspartner, um Verhandlungserfolge für ihre Partei zu reklamieren. In den wichtigsten Grundlinien ist das Vertragswerk nicht überraschend und auch zwischen den Beteiligten gar nicht strittig gewesen. Was das europäische Finanzwesen, die Machtinteressen des »Standorts Deutschland«, die deutsche Militärpolitik und die Treue zur NATO angeht, bestand längst informell eine Große Koalition. CDU/CSU und SPD waren und bleiben sich auch einig darin, daß staatliche Sicherheit intensiver Zugriffe auf Daten der Bürger bedarf sowie geheimer Dienste; dies selbstverständlich in der bewährten Zusammenarbeit mit dem transatlantischen Großen Bruder. Als Konfliktfeld wurde bei den Verhandlungen medial die Sozialpolitik herausgestellt. Da hat man sich so geeinigt, daß die Unionsparteien wie auch die SPD mit etwas unterschiedlichen Verweisen behaupten können, es werde nun etwas »für die kleinen Leute« getan. Für die »Fleißigen« unter ihnen, hat Sigmar Gabriel erläuternd hinzugefügt. Das »Betreuungsgeld« bleibt, im Rentensystem soll es einige Verbesserungen für spezifische Empfänger geben, ein gesetzlicher Mindestlohn wird angekündigt. Das alles ohne Steuererhöhungen, ohne eine Wende in der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Und – wie zu erwarten – bei Fortbestand des Trends, soziale Sicherung zu privatisieren. Als ihre »Handschrift« im Koalitionsvertrag präsentiert die SPD den gesetzlichen Mindestlohn. Damit läßt sich gute Stimmung beim gewerkschaftlichen Publikum erzeugen, das ist nützlich, um der SPD-Führung Ja-Stimmen beim innerparteilichen Plebiszit zu verschaffen. Allerdings beansprucht auch die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (»Sozialausschüsse« der CDU) die »Lohnuntergrenze« als ihr Produkt, ebenso – wie auch die SPD – die Ankündigung im Vertrag, gegen den »Mißbrauch« von Frist- und Leiharbeit werde man angehen. Aus dem gesellschaftspolitischen »Umbruch« oder »Kurswechsel«, den die SPD im Wahlkampf propagierte, ist nichts geworden. Katja Kipping als Vorsitzende der Linkspartei beklagt sich nun, die Sozialdemokraten hätten »nicht geliefert«. Hat sie ein solches Lieferversprechen der Firma Steinbrück und Co. ernst genommen? Erstaunlich ist auf den ersten Blick, wie vehement die öffentlichen Vertreter unternehmerischer Interessen gegen sozialpolitische Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag wettern, von einem »Linksruck der Unionsparteien« und einem »Verrat der Sozialdemokraten an der Schröder-Agenda« reden. Denn Bedrohliches für die »Markt«-Wirtschaft haben die Großkoalitionäre nicht im Sinn. Aber bei näherem Hinsehen wird der Furor erklärlich: Im Regierungshandeln erst geht es ums Konkrete, also wird Druck gegeben; selbst kleine Einbußen für die Kapitalseite sollen verhindert werden, »die Wirtschaft« rechnet auch bei bescheidenen Beträgen. Und sie ist erfinderisch. Sie wird sich neue Geschäftsideen ausdenken, um den Niedriglohnsektor auszudehnen. Prekäre Arbeitsverhältnisse werden unter einer Großen Koalition weiter expandieren. »Arm trotz Arbeit« – Lohndumping als Vorteil in der kapitalistischen Konkurrenz wird ein Kennzeichen der deutschen Wirtschaftsweise bleiben. Diese Standortpolitik bringt neue Prozeduren in der staatlichen Willensbildung hervor. Parlamentarische Funktionen müssen weiter »verschlankt« werden, obwohl der Deutsche Bundestag doch bisher schon handzahm war; und so wird ein »Hauptausschuß« ins Leben gerufen. Die Entscheidung über ein Regierungsbündnis treffen ParteiführerInnen, die Mandatsträger im Parlament dürfen sie absegnen. Dann wenigstens plebiszitäre Auffrischung von Demokratie? Nichts da, die Große Koalition will keinen Volksentscheid in der Bundespolitik. Stattdessen bietet die SPD ein Placebomodell an: Parteimitglieder dürfen Ja oder Nein sagen zu einem 185-Seiten-Papier, praktisch: zum Mitregieren ihrer Parteioberen. Nachdem diese dem Parteivolk über Jahre hin eingebläut haben, Opposition sei mistig. Ob es geschickt war, daß die sozialdemokratische Parteiführung ihrer Gefolgschaft jetzt noch nicht verraten will, wer die ministeriellen Sitze bekommt, wird sich am 14. Dezember herausstellen, danach ist vorzeitige Weihnachtsbescherung angesagt. Ganz gewiß ist nur eines: Angela Merkel bleibt Kanzlerin, geschäftsführend ist sie es auch jetzt, und auf ihr Geschäft versteht sie sich. Anders als ihr vermutlicher künftiger Vize gerät sie selbst dann nicht in peinliche Aufregung, wenn eine Fernsehmoderatorin ihr lästige Fragen stellt.
Erschienen in Ossietzky 25/2013 |
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