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Im Ganzen ist in der Inszenierung der gute Wille zu einem Aufbruch aus dem neoliberalen Katastrophenmief zu loben, die Helligkeit des Spieles – ein Hauch der großen Schaubühne von einst! »Marat/Sade« von Peter Weiss ist eine Aufführung von Studenten der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Frisch und engagiert wirkt die Aufführung, trotz des schwierigen Stoffes nicht kopflastig. Inszeniert haben Peter Kleinert und Peter Schubert auf einer sehr beweglichen Szene. Zum Glück gibt es zu dem fast 50 Jahre alten, fast schon klassischen Stück gute Erfahrungen und ausreichendes Material, gute Literatur. Und beinahe klassische Inszenierungen: jene szenisch gewaltige, doch eher revolutions-feindliche Uraufführung des Polen Konrad Swinarski 1964 im alten Berliner Schillertheater mit exzellenten Schauspielern, die im gleichen Jahr erfolgte noch brillantere, doch wegen der Überbetonung der Irren konfuse von Peter Brook durch die Royal Shakespeare Company im Aldwych London, die politisch-revolutionär glasklare durch Anselm Perten im Volkstheater Rostock, denen international zahlreiche folgten. Unsere jetzige hat einigen Abstand zu den damaligen Ereignissen und doch ein polemische Absicht: die schamlosen Gewinnler unserer Zeit ohne Revolution, in der auch Visionen aufscheinen – notwendig zur Bändigung zerstörerischer Kräfte, oder um es anders zu sagen: als Gegenentwurf. Daß die Schaubühne Mut hat, muß nicht besonders betont werden – sonst wäre sie nicht berühmt. Doch sich selbst zu wiederholen, ist entweder Mut der Verzweiflung, Blindheit oder Leichtsinn: Ich meine die Aufführung von Gorkis »Sommergästen«. Da gab es doch mindestens zwei ganz große Ereignisse im Berliner Theaterleben: 1974 durch Peter Stein mit Jutta Lampe, Edith Clever und anderen – ein geradezu sagenhaftes Ensemble jener Jahre; vorausgegangen war eine fast ebenso gute Aufführung im Deutschen Theater durch Wolfgang Heinz (David Hirsch) mit einem ebenfalls großen Ensemble, wirkungsästhetisch allerdings kleiner infolge der Eingeschlossenheit der DDR. Was aber mag Ostermeiers Truppe bewogen haben, das Stück aufzuführen? Es träfe aktuelle Bezüglichkeiten noch und noch: Sicher wollte man die bösartige Banalität unseres Lebens, vieler unserer Zeitgenossen, ihre formale Existenz zeigen und kritisch werten. Hier wird in der Regie von Alvis Hermanis posiert, gelabert, gelogen. Die formale Existenz wird formalisiert oder in den Dreck gezogen: Auf der Bühne sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa, um eine alte Redewendung zu traktieren. Das alles stimmt immer irgendwie ein wenig, aber nie als Ganzes. So etwas lähmt, aktiviert nichts und langweilt am Ende. Nur ein Hunderl erweckt noch Interesse. Das paßt so gar nicht zur Schaubühne, von der doch meist etwas ausgeht, mal aufregend, Interesse anregend, aktivierend. Das Thema Scheitern ist ausgelaugt wie ein Casinowitz, es lohnt nicht den Weg. Ähnliche Thematik in der Bühnenversion »Die gelbe Tapete« nach Charlotte Perkins Gilman in einer szenischen Bearbeitung und der Regie von Katie Mitchell, die weibliche Hauptrolle spielt Judith Engel. Hier geht es um Einsamkeit und Wahnvorstellungen einer Frau in einem Zimmer, von dessen Wänden sie allmählich die gelbe Tapete kratzt. Das ganze Geschehen wird von einem Kamerateam begleitet und gefilmt, doch wozu? Das ist technisch hervorragend gemacht – fast wie ein Laborversuch am lebenden Menschen. Daß dies ein lebender Mensch, eine Frau in einer sich allmählich entmenschenden Gesellschaft ist, die wiederum Hauptursache für den Einsamkeitswahn ist, bleibt die Inszenierung schuldig, so gut auch die Darstellerin ist und das ursprünglich feministische Anliegen auch. Ohne sozialen Bezug kann man so etwas nicht zeigen und schon gar nicht die Ursächlichkeit. Schade um die Tapete! Das Hunderl und das Scheitern – Lieblingssujets der Schaubühne neuerdings? Man kann es nicht mehr hören noch gar sehen. Die größten Stoffe und Texte der deutschen Literatur werden auf ein Niveau heruntergezogen, das sicher nicht dem Haus am Lehniner Platz angemessen ist. Nun also »Hyperion« des unglücklichen deutschen Jakobiners Friedrich Hölderlin von 1797-99 – hier mit dem Untertitel »Briefe eines Terroristen«. Original: »Der Eremit aus Griechenland«. Das Genre ist ein Briefroman (Briefe an die Geliebte Diotima und Freund Bellarmin). Der Inhalt ist zu komplex, ihn hier erzählen zu können – nur so viel: Hyperion wird umfassend gebildet, kämpft mit einer Truppe von Bergbewohnern, also Partisanen, gegen die Osmanen, will nach dem Sieg eine Art Idealstaat mit Verfassung gründen. Das scheitert tatsächlich, die Truppe verludert zu einer Räuberbande – wie so viele einst freiheitliche Armeen. Später kämpft Hyperion im russischen Marinedienst, findet beinahe den Tod, doch Freund Alabanda rettet ihn, und er will mit Diotima ein friedlich Leben – »goldene Mittelmäßigkeit« genießen. Doch Diotima stirbt, Alabanda geht wieder zu den Verschwörern, Hyperion reist ins »Heilige Römische Reich deutscher Nation«, bereits ein marodes Gebilde, und ist enttäuscht von den Deutschen – »Barbaren von alters her«. Einziger Ausweg: Rückkehr nach Griechenland und in ein Leben als Eremit im Bündnis mit der Natur: »Versöhnung ist mitten im Streit, und alles Getrennte findet sich wieder.« Also große und schöne Utopie! Und das also am Berliner Kurfürstendamm und vor einem reichlich versnobten Publikum in einer »Darbietung« von Romeo Castellucci (Regisseur, Ausstatter, Beleuchter) mit Tönen von Scott Gibbons (im Programmheft steht »Musik«!). Anfangs gibt es fürchterliches Getöse, eine Art Mischung von Banditen und Polizei zerschlägt die Szene, jagt das Auditorium hinaus. Nach unnötiger Pause im Foyer (es ist kalt draußen) darf man wieder herein – endlich kommt klassischer Text, gesprochen von Frauen – eine gedankenreiche Hirn- und Ohrenwonne! Wozu noch der schwarze blinde Hund, das Kind in Weiß, der nochmalige Radau der »Ordnungstruppe des Chaos«? Mätzchen. Neben Hölderlins Sprache gab es noch etwas Schönes: eine Szene mit Angela Winkler! Aber nur dies! Hölderlin hatte es noch nie gut in Deutschland.
Erschienen in Ossietzky 24/2013 |
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