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Seine Begeisterung über Spiel und Stück hielt sich in Grenzen, und er tat letzteres ab mit dem Hinweis auf Walter Benjamins abschätziges Urteil über die »linksradikalen Publizisten vom Schlage der Kästner, Mehring, Tucholsky (…) proletarische Mimikry des zerfallenden Bürgertums«, die den politischen Kampf »in einen Konsumartikel« verwandelt hätten. Daß dieses Verdikt dem späten Kurt Tucholsky gerecht wird, bezweifle ich stark und halte es für sinnvoll, den Blick auf die Entstehung des Stücks zu lenken. Die Idee zu einer kritischen Bearbeitung des Kolumbus-Sujets (auf dessen lange literarische Fortuna der Rezensent hingewiesen hat) erhielt in den 1920er Jahren neue Aktualität durch das wachsende Bewußtsein – jedenfalls bei so sensiblen Beobachtern wie Tucholsky oder Brecht – von der Diskrepanz zwischen dem amerikanischen Freiheits- und Fortschrittsmythos (siehe die neu-sachliche Technik-Begeisterung) und einer sich bereits damals nach Deutschland transportierenden Wirklichkeit mit kolonialen Zügen, nachdem die USA ihren Weg zur Weltmacht nach dem Ersten Weltkrieg angetreten hatten. Die Vereinigten Staaten von Amerika garantierten durch umfangreichen Kapitalexport (Dawes- und Young-Pläne) der neuen Weimarer Republik einen Weg aus Inflation und Kriegsschulden (Versailles) und heizten mit ihren Geldspritzen nach 1924 einen Spekulationsboom an, der den Mythos der »Goldenen Zwanziger« begründete – bis die Blase 1929 an der Wall Street platzte. Damit war die Veränderung Berlins von der wilhelminischen Provinzstadt in eine moderne finanzkapitalistische Metropole einhergegangen, deren neue Medien auch die neuen Kultur- und Konsummodelle der US-Massengesellschaft transportierten. Es war übrigens Tucholsky, der als einer der ersten diese Entwicklung kritisch beleuchtete, deren Produkt Theodor W. Adorno später in den USA als »Kulturindustrie« beschrieben hat, die uns inzwischen alle dominiert. Tucholskys Idee, die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit anhand von Kolumbus satirisch darzustellen, geht zurück auf seine Pariser Jahre, wo er 1926 Walter Hasenclever kennenlernte. Tucholsky dachte zunächst sogar an einen Roman – aber für langatmige Projekte fehlten dem vielbeschäftigten Korrespondenten immer die nötige Ruhe und das Geld – während Hasenclever einen neuen Komödienstoff für Max Reinhard suchte. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen der Zusammenarbeit blieb der Plan für ein gemeinsames Theaterstück zunächst liegen, bis die beiden Freunde Jahre später, im Herbst 1931, bei einem gemeinsamen Aufenthalt in England, die Arbeit wieder aufnahmen, und zwar unter erheblich erschwerten persönlichen wie allgemeinen politischen Bedingungen. Tucholsky hatte, wie Hasenclever, bereits Paris und auch Deutschland verlassen – und zwar für immer. Bereits 1930, nach dem Beginn der Präsidialrepublik, hatte er seinen Wohnsitz nach Schweden verlegt. So mußte er sich im dritten Berliner Weltbühnen-Prozeß (»Soldaten sind Mörder«) aus der Ferne verteidigen und war soeben (im Oktober 1931) von seinem (jüdischen) Verleger Ullstein entlassen worden, der sich in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Nazis bereits von seinen jüdischen Mitarbeitern trennte (!). Damit hatte Tucholsky auch die wirtschaftliche Basis seiner Existenz (als Korrespondent der Vossischen Zeitung) verloren und wurde zunehmend geplagt von seinem chronischen Nasenleiden. Bei alledem stellte er mit Hasenclever die Bühnenfassung des »Christoph Kolumbus« im schwedischen Winter 1931/32 fertig, die vom Verlag Felix Bloch Erben in Berlin noch an deutsche Bühnen vermittelt werden sollte (Vertrag vom 22.2.1932), nachdem sich nur wenige Jahre zuvor interessierte Intendanten wie Max Reinhardt, Heinz Hilpert oder Eric Charell, der sogar eine Koproduktion mit einer New Yorker Bühne in Aussicht gestellt hatte, abgewandt hatten. Auch andere große Theater lehnten ab, und das, obwohl Hasenclever damals einer der bekanntesten Theaterautoren der Republik war; aber deren Untergang hatte ja bereits begonnen. Man müsse in die Provinz fahren, um noch »linkes« Theater zu sehen, in Berlin sei man zu nahe an der Macht, hieß es nach der Premiere im Leipziger Schauspielhaus am 25. September 1932, der die Autoren – von der lokalen Tageszeitung als »Literaturhebräer« bezeichnet – nicht beiwohnten. Nach sechs weiteren Aufführungen, von Presse und Publikum gut aufgenommen, wurde das Stück abgesetzt und wenige Monate später wurden Tucholskys Texte von den Nazis verbrannt. In solchem Kontext läßt sich der »Kolumbus« meines Erachtens weniger als ein »Konsumartikel« verstehen, sondern eher als letzter – und schon weitgehend entmutigter – Versuch, auf einem deutschen Theater noch einmal die Leichtigkeit eines George Courteline (den die Autoren in Paris lieben gelernt hatten) mit Zeitkritik zu verbinden. Aber beide Autoren waren sich durchaus bewußt, daß ihr Stück zwar »unterhaltsam und frech, aber wenig politisch«, und ja, auch »in der Tat etwas dünn« war, unter den gegebenen Verhältnissen, wie Tucholsky am 1. Oktober 1932 an seine Frau Mary schrieb. Aber Tucholsky firmierte es nicht etwa deshalb als Peter Panter, wie Jochanan Trilse-Finkelstein annimmt, sondern im Gegenteil: Als das Theater – mit Rücksicht auf die lokalen Nazis – angefragt hatte, ob sich Panter-Tucholskys Autorschaft nicht gänzlich verschweigen ließe, bestand dieser auf der Nennung sowohl seines allseits bekannten Pseudonyms, als auch auf der von »Kurt Tucholsky« als Autor der von ihm auf seinem Klavier in Hindås komponierten Matrosen-Songs, auf die er sehr stolz war. Am Vorabend des Dritten Reiches konnte das Schicksal des Stückes beide Autoren allerdings nicht weiter interessieren, und es geriet bald so tief in Vergessenheit, daß es nur wenige Jahre später, 1937 (als Tucholsky schon tot und Hasenclever im Exil war) in Wien von dem jungen Jura Soyfer bearbeitet werden konnte, der daraus seine »Broadway-Melodie 1492« machte, die Textvorlage und Bearbeitung einem Norbert Noll zuschreibend. Doch das ist eine andere Episode der verhängnisvollen Zerstörung der deutschen Literatur durch Nationalsozialisten, Exil und Krieg. Erst ein Plagiatsprozeß stellte in den 1950er Jahren die Autorschaft fest, doch der Text des Kolumbus wurde erstmals 1985 von Peter Moses-Krause veröffentlicht und fand späten Eingang in die Werkausgaben von Hasenclever (1990) und Tucholsky (2006 ff.). Tucholsky hatte bereits seine Hoffnung auf die kathartische Wirkung von Satire aufgegeben: Sie habe ihre untere Grenze »in Deutschland in den herrschenden faschistischen Mächten«, denn »so tief kann man nicht schießen«, schrieb er 1932 und bekannte, nicht mehr schreiben zu können, »wo man nur noch verachtet«. Und er wußte längst, daß das Publikum im Theater zwar »überrascht werden will, aber nur von dem, was es schon kennt«. Abschließend noch ein Hinweis auf die ungebrochene Aktualität des Stückes, die weniger ein Verdienst von Hasenclever und Tucholsky ist, sondern in der Fortdauer der gesellschaftlichen Verhältnisse liegt. »Kolumbus« handelt nämlich von kriegerischen Eroberern und friedlichen Völkern, von Macht und Geschäften, Frauen und Geld. Die siegreiche Gegenfigur zu Kolumbus ist Vendrino, ein kleiner cleverer Geschäftsmann ohne andere Ideale als seinen Profit, er hat zugleich shakespearesche und Berliner Vorfahren (siehe Herr Wendriner). Eine Schlüsselszene, die auch von Soyfer wörtlich übernommen wurde, zeigt die gelassene Überlegenheit der friedlichen »Wilden« mit der sie den habgierigen Weißen erklären, daß sie die Unkultur der drei W (Wirtschaft, Währung, Waffen) längst überwunden haben: »Unsere Ahnen, die sehr weise waren, haben erkannt, daß diese Dinge die Menschen ins Unglück bringen. Und da haben sie alles das abgeschafft. Seitdem ist Friede.« Am Ende des Stückes, an den Times Square versetzt, prophezeit Kolumbus: »Hier ist das Paradies der Welt! Dieses Land wird einmal still und friedlich sein (…) Hier wird auch der Ärmste geachtet werden, und keiner wird hungern, und keiner wird unterdrückt. Dieses Volk wird die Pforten seiner Schatzkammern öffnen und Gold an alle Länder verteilen. Am Ufer des Meeres wird eine Statue stehn, und die Worte der Schrift tönen aus ihrem Munde: ›Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!‹« Das als Ausdruck einer utopischen Hoffnung Tucholskys zu werten, wie es ein Kritiker tat, scheint mir unangebracht angesichts der luziden Desillusion Tucholskys. Denn das, was sich vor seinen Augen nach dem Zusammenbruch der Wall Street 1929 in Deutschland abspielte, mit der absurden Sparpolitik von Brüning, die die Wirtschaft an den Rand des Abgrunds führte und Millionen von Arbeitslosen schuf, bewirkte jene politische Radikalisierung, die bald darauf einen Hitler als Reichskanzler möglich machte. Und da, im Jahre 1933, war für Tucholsky der »Weltuntergang« schon geschehen, an die tröstliche Existenz eines »anderen Deutschland«, das nun aus der Emigration weiterkämpfen würde, glaubte er nicht: »… es sind Tote, die da sprechen – sie merken es gar nicht.« Und an Hasenclever schrieb er noch: »Gegen einen Ozean pfeift man nicht an.«
Erschienen in Ossietzky 24/2013 |
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