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Beim wiederkehrenden Streit in den USA zwischen den Republikanern und der Demokratischen Partei um die Erhöhung der Staatsschuldengrenze geht es nur vordergründig um die Staatsschulden. Im Oktober 2013 betraf die Auseinandersetzung die Krankenversicherung für alle US-Bürger. Präsident Obama hatte das Gesetz Affordable Care Act (Gesetz für erschwingliche Krankenversicherung, »Obamacare«) unterzeichnet. Es sieht staatliche Zuschüsse für die knapp 50 Millionen Bürger vor, die ein zu geringes Einkommen haben, um die Prämie für eine Krankenversicherung zu bezahlen. Die Republikaner lehnen das Gesetz ab, und sie wollen beispielsweise zum 1. Januar 2014 auch die Ausgaben für Nahrungsmittelbons (food stamps) senken und dadurch die Staatsschulden verringern. Die Republikaner handeln nach der reinen neoliberalen Lehre: Wer ein zu geringes Einkommen hat, hat versagt. Er muß sich selbst anstrengen, da rauszukommen! Der Staat darf ihn nicht in eine soziale Hängematte legen! Die Streitfrage im kapitalistischen Führungsstaat lautet also: Wie mit den Lohnabhängigen und Arbeitslosen umgehen? Die Republikaner meinen: dem Markt überlassen und notfalls dahinsiechen lassen. Die Demokraten meinen: dem Markt überlassen, aber mit staatlichen Zuschüssen und Suppenküchen vor dem Dahinsiechen schützen. Außerdem werde damit ja auch die Wirtschaft am Leben gehalten. Die grundsätzliche Verachtung, die in den USA den Lohnabhängigen gegenüber herrscht, ist allerdings in beiden Parteien fest verankert. Alle US-Regierungen des letzten Jahrhunderts haben wesentliche Arbeitsrechte, die internationaler Standard sind, abgelehnt. Rechte, die in den Normen der International Labour Organisation (ILO) festgeschrieben sind. Die ILO wurde 1919 gegründet und ist heute eine Unterorganisation der UNO. Sie hat acht »Kern-Normen« beschlossen. Die USA haben nur zwei der Normen ratifiziert: Die Abschaffung der Zwangsarbeit, soweit sie als Disziplinarmaßnahme eingesetzt wird, und die Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, wobei Kinderarbeit nicht generell abgelehnt wird, sondern nur die Beschäftigung von Kindern als Soldaten, Prostituierte, im Drogenhandel und in der Pornografie. Nicht ratifiziert haben die USA die sechs anderen Kernnormen, weil sie US-Recht verletzen: die Koalitionsfreiheit, also auch das Recht der Beschäftigten, sich frei zu organisieren, etwa in Gewerkschaften; das Recht auf kollektive Tarifverträge; die Abschaffung der Zwangs- und Pflichtarbeit allgemein, vor allem wegen des Einsatzes von Häftlingen für private Unternehmen; gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Mann und Frau; das Mindestalter für den Eintritt in ein Arbeitsverhältnis und schließlich das Verbot der Diskriminierung in der Arbeitswelt aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politischer Meinung, nationaler und sozialer Herkunft. Diese Konventionen widersprechen dem autoritären Individualismus, der die US-Gesetze prägt. Die USA lehnen nicht nur diese Arbeitsrechte ab, sondern auch weitere ILO-Konventionen, zum Beispiel die Konvention über die nationale Arbeitsaufsicht, die auf die Einhaltung der Arbeitsrechte achten soll. Ebenso haben die USA die allermeisten der Einzelnormen nicht ratifiziert, so über den Mutterschutz, über Arbeitszeiten, Krankenversicherung, Berufskrankheiten, bezahlten Urlaub, Sicherheitsvorkehrungen beim Bau, Nachtarbeit von Minderjährigen, Strahlenschutz, Schutz von Lohnabhängigen-Vertretern vor Entlassung, Schutz von Arbeitsmigranten gegen mißbräuchliche Arbeitsbedingungen, Schutz am Arbeitsplatz gegen Luftverschmutzung, Lärm und Erschütterungen, Einhaltung von Arbeitsstandards durch private Arbeitsvermittler, internationale Sozialversicherungssysteme und viele weitere. Damit stehen die USA bei der Nichtanerkennung von Arbeitsrechten weit vor allen anderen Staaten: Die USA sind der führende Arbeits-Unrechts-Staat. Hinzu kommt, daß auch die wenigen Normen, zu denen sich die USA verpflichtet haben, nicht unbedingt eingehalten werden, wie allerdings in anderen Staaten auch. Aber die grundsätzliche Weigerung, wenigstens die Absicht zur Einhaltung von Normen zu erklären, spricht Bände. Entsprechend sehen die Arbeitsverhältnisse in den USA aus. Im Zuge der »Globalisierung«, die von den USA ausgeht, setzt sich seit Anfang der 1970er Jahre nicht nur in den USA selbst, sondern weltweit die systemische Erscheinung »working poor« durch: Man arbeitet, man ist trotzdem arm, man kann verhungern und früh sterben. Nehmen wir zunächst die bekannten Beispiele WalMart, McDonald’s und United Parcel Service (UPS) und ähnliche Unternehmen des globalen Einzelhandels, der Systemgastronomie und der Verkehrslogistik: Mit Millionen von Beschäftigten setzten sie in ihrem Heimatland und weltweit gewerkschaftsfreie Zonen der Niedrigstlöhnerei durch. Dies betrifft zudem zehntausende von Zulieferfirmen, Franchise- und Subunternehmen, die wegen ihrer Dumping-Werklöhne die Millionen der eigenen Beschäftigten ebenfalls mit Niedrigstlöhnen und menschenrechtswidrigen Arbeitsbedingungen erpressen. Längst aber bedient sich auch die »alte« Industrie (Auto-, Textilindustrie, Versicherungen, Banken) und die Branche der »neuen Technologien« (Chip-, Computer-, Handyproduktion et cetera) solcher Praktiken. Selbst wenn in anderen Staaten eigentlich ILO-Normen gelten, wie beispielsweise in Deutschland, so setzen McDonald’s & Friends ihre Praktiken trotzdem soweit wie möglich durch. Die Verachtung der LohnarbeiterInnen hat im höchstentwickelten kapitalistischen Staat eine lange Tradition. Hier wurden seit dem 19. Jahrhundert Gewerkschafter und Streiks durch staatliche Gewalt (Polizei, Militär) und bezahlte private Trupps brutal zusammengeschlagen. Zugleich wurde an wissenschaftlichen Methoden gearbeitet, um Lohnarbeiter über ihre Leistungsfähigkeit hinaus auszuquetschen: Taylorismus, Unternehmensberatung vom Typ McKinsey, Konzepte wie »Human Capital« und »Human Resources«. In keinem anderen Staat werden so viele Gefängnisinsassen so hart durch Arbeit von und für Privatunternehmen ausgebeutet, zum Beispiel durch Stundenlöhne von vier Cent. In keinem anderen Staat etablierte sich eine so ausgedehnte Dienstleistungsbranche von »Union Busters«, das heißt professionellen Gewerkschaftszerstörern. Wer sich heute in den USA als Gewerkschaftsaktivist zu erkennen gibt oder als solcher ermittelt wird, hat eine hohe Chance, illegal gekündigt zu werden. So ist der Organisationsgrad der US-Gewerkschaften in der Privatwirtschaft auf ein historisches Tief von 6,6 Prozent herabgedrückt worden. Ohne marktwidrige staatliche Dauersubvention würden viele Millionen von Beschäftigten dahinsiechen und noch früher sterben. Eine Arbeitsgruppe der Demokratischen Partei im US-Kongreß hat ermittelt: Die 300 Beschäftigten (unterhalb der Manager-Ebene) eines WalMart-Supercenters im Bundesstaat Wisconsin bekommen gegenwärtig zum Überleben insgesamt 1,75 Millionen US-Dollar an staatlichen Zuschüssen pro Jahr. Pro Beschäftigtem sind das 5.815 US-Dollar. Das Steuergeld kommt aus verschiedenen Töpfen: food stamps, Zuschüsse zur Miete und zum Schulessen der Kinder, Steuerrückzahlungen, medizinische Hilfen, Barauszahlungen für Notfälle. Für die Beschäftigten des Einzelhandels summiert sich das auf sieben Milliarden US-Dollar pro Jahr, für die Beschäftigten aller Branchen auf 386 Milliarden. Dabei sind die Beträge aufwendig zu beantragen und im einzelnen so niedrig, daß sie nur eine Von-Tag-zu-Tag-Lösung darstellen. Das von den USA vorgeschlagene Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union beinhaltet nicht nur den Handel, wie dies bei solchen Abkommen klassischerweise der Fall ist. Es umfaßt ausdrücklich auch Investitionen (Transatlantic Trade and Investment Partnership). Dabei spielen Arbeitsentgelt und Arbeitsbedingungen eine wichtige Rolle. Es ist an der Zeit, das Abkommen auch unter diesem Aspekt öffentlich und nachhaltig abzulehnen.
Erschienen in Ossietzky 24/2013 |
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