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Um sich von diesem simplen Sachverhalt zu überzeugen, genügen wenige Blicke in die Annoncenteile Auto- und Wohnungsmarkt einer x-beliebigen Tageszeitung. Neue Autos werden nach kurzer Zeit zu Gebrauchtwagen, Gebrauchtwohnungen gibt es nicht. Gleich ob Neu- oder Altbau die Mieten steigen ständig. Nach einer Untersuchung von Immobilienscout24, dem anerkannten Marktführer unter den Internetportalen für Immobilien, sind die Mieten in Berlin innerhalb nur eines Jahres um sechs Prozent gestiegen. Seit dem Jahr 2007 haben sie sich um 35 Prozent erhöht. Die immensen Mietsteigerungen sind nicht, wie häufig behauptet wird, vor allem auf die wachsende Kluft zwischen Angebot und Nachfrage zurückzuführen. Sie sind das Resultat einer skandalösen Politik zugunsten der Vermieter, ganz gleich, ob es sich um private Wohnhausbesitzer handelt oder um kommunale Wohnungsunternehmen oder Finanzinvestoren, die eine enorme Zahl von Wohnungen aufgekauft haben, um daraus Maximalgewinne zu erwirtschaften. Zwei vom Gesetzgeber eingeschlagene, für den in der DDR sozialisierten Bundesbürger noch immer unbegreifliche Eckpfeiler sind es, die es dem Vermieter erlauben, aus seinen Immobilien einen wachsenden Profit zu schlagen. Da ist zum einen die unsägliche Bestimmung, daß die Mieten aller drei Jahre um 15 Prozent angehoben werden können, wenn der Mietspiegel das möglich macht. Da dieser Spiegel es immer erlaubt, vergleichbare teurere Wohnungen zu finden, werden die Mieten, von Ausnahmen abgesehen, tatsächlich um diesen Prozentsatz erhöht. Das Schöne daran ist, daß die so erhöhte Miete Berechnungsgrundlage für die nach weiteren drei Jahren fällige Mietsteigerung ist. So schießen die Mieten wesentlich schneller als die Inflationsrate in die Höhe, ohne daß sich am Zustand der Häuser und Wohnungen etwas zum Besseren verändert hat. Wahrlich ein staatlich geförderter Mietwucher! Zum anderen gestattet die antisoziale Wohnungspolitik es den Vermietern, einen zusätzlichen Reibach zu machen. Der Hauseigentümer ist berechtigt, bei Sanierungs- oder Modernisierungsmaßnahmen, zum Beispiel beim Einbau von Isolierfenstern oder der Wärmedämmung der Außenfassade, elf Prozent der Kosten auf die Jahresmieten umzulegen und mit einem »Modernisierungs- oder Sanierungszuschlag« die Miete beträchtlich zu erhöhen. Diese Mieterhöhung ist dauerhaft. Der Mieter hat den Zuschlag auch dann weiter zu entrichten, wenn der Vermieter sein Heu in der Scheuer hat und die Kosten der durchgeführten Baumaßnahmen längst abgezahlt sind. Das ist in der Regel nach neun Jahren der Fall. Danach ist der weiter zu zahlende Zuschlag ein Extraprofit, den sich der Vermieter in die Tasche steckt. Neu ist der Mietwucher nicht, er ist dem kapitalistischen System der Ausbeutung und Profitmaximierung immanent. Schon in der politischen Literatur des 19. Jahrhunderts haben sich zahllose Autoren mit Fragen der Wohnungspolitik befaßt. Zu ihnen zählen Pierre-Joseph Proudhon, Emil Sax und Louis Cohn. Aus der Fülle der Werke dieser Zeit ragt die Schrift »Zur Wohnungsfrage« hervor, die Friedrich Engels vom Juni 1872 bis Februar 1873 verfaßte und in der er feststellte, daß »alle unterdrückten Klassen aller Zeiten« von Wohnungsnot »ziemlich gleichmäßig betroffen sind«. »Um dieser Wohnungsnot ein Ende zu machen, gibt es nur ein Mittel: die Ausbeutung und Unterdrückung durch die herrschende Klasse überhaupt zu beseitigen.« In der klassischen deutschsprachigen Literatur dagegen werden Wohnungsnot und Mietwucher nicht oder nur am Rande behandelt. Eine Ausnahme bildet Gottfried Keller. In seinen »Züricher Novellen« und hier in »Das Fähnlein der sieben Aufrechten« läßt er einen Buchbinder auftreten, der »seit geraumer Zeit keinen Streich mehr« arbeitete und »aus den in die Höhe geschraubten Mietzinsen alter Häuser« lebte. Mit »leichten baulichen Veränderungen« sicherte er sich »eine bedeutende Zinserhöhung«, und »wenn ihm gar nichts anderes mehr einfiel, ließ er eines seiner alten Gebäude auswendig neu anweißen und erhöhte abermals die Miete«. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem heutigen Modernisierungszuschlag ist nicht zu übersehen. »Ruckstuhl, der junge Schnapphahn«, so nannte Keller den Wohnungsspekulanten, hatte allerdings auch Pech. Das Fähnlein der sieben Aufrechten sorgte dafür, daß seine Bäume nicht in den Himmel wuchsen, er die liebliche Tochter eines reichen Handwerkers nicht zum Eheweib bekam und stattdessen zu »scharfem Arrest« verurteilt wurde. Und wie erfolgreich sind heutzutage die Aufrechten? Sie müssen sich vorerst mit der »Mietpreisbremse« begnügen, die zum Wohle der Mieter in den schwarz-rosa Koalitionsverhandlungen ausgekungelt wurde. Mit der Übereinkunft, Mieterhöhungen nur alle vier Jahre um höchstens 15 Prozent und bei Wiedervermietungen maximal um zehn Prozent zuzulassen, wird der Mietwucher leicht begrenzt, aber zugleich gesetzlich abgesichert. Wie »mieterfreundlich« die angestrebte große Koalition sein wird, ist auch daran zu sehen, daß die Kosten für energiesparende Sanierung von Gebäuden künftig nur zu zehn statt zu elf Prozent auf die Miete umgelegt werden können. Dank dieser rigorosen Vorhaben, die den Namen »Mietpreisbremse« nicht verdienen, können die Vermieter weiterhin satte Gewinne einstreichen und die über 20 Millionen Mieter in der Bundesrepublik weiterhin regelmäßig und immer stärker zur Kasse bitten. Dessenungeachtet schreien Miethaie Zeter und Mordio. Ihr Vermieterverband Haus und Grund übt scharfe Kritik an der in Aussicht genommenen Vereinbarung. Sein Berliner Landesvorsitzender Carsten Brückner ließ sich gar zu folgender Philippika hinreißen: »Die schwarz-rote Mietpreisbremse wird das investitionsfeindliche Klima in der deutschen Hauptstadt weiter verschärfen … Die Gängelung privater Vermieter führt nicht nur zu einem Investitionsstopp, sondern stellt geradezu eine Enteignung der Eigentümer dar.« Ach, vielleicht hat er doch recht, der Sprecher der Berliner Schnapphähne, und unter Schwarz-Rosa droht auf dem Wohnungsmarkt in unserem schönen Land eine Renaissance des Sozialismus.
Erschienen in Ossietzky 24/2013 |
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