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Neuestes Marktgesetz: Je weiter das Angebot an Strom die Nachfrage übersteigt, desto höher der Preis. Logisch, ne? In Deutschland wird längst viel mehr Strom produziert als gebraucht. Deshalb fällt sein Börsenpreis stetig, aktuell auf 2,8 Cent netto pro Kilowattstunde. Davon profitieren die Versorgungsunternehmen. Der private Endverbraucher hat nichts davon. Einige traditionelle Stromerzeuger warnen sogar vor Versorgungs-lücken, weil sie nicht mehr auf ihre Kosten kämen und daher vielleicht den Betrieb einstellen müßten. Die Bundesnetzagentur genehmigte Ende Oktober allerdings sang- und klanglos das Abschalten von neun alten Kohlekraftwerken, ohne daß die Lichter ausgingen. Energiepolitisches Durcheinander: Die Regierung stellte tausende »energie-intensive« Unternehmen von der Strompreis-Öko-Umlage frei. Offiziell zum Schutz der Infrastruktur und der Arbeitsplätze, faktisch zum Schutz von Aktionärsinteressen. Ökostrom fällt unregelmäßig an, das Stromnetz muß aber die sogenannte Grundlast beständig vorhalten, auch bei Windstille, nach Sonnenuntergang und nach dem Abschalten von Atomkraftwerken. Also läßt die Regierung neue Kohlekraftwerke »zur Überbrückung« bauen. Die Standortwahl für moderne Gaskraftwerke wäre zwar wesentlich einfacher, der Kraftwerkstyp ist zudem variabler, billiger, effizienter, sauberer und im Bedarfsfall schneller hochzufahren. Gaskraftwerke würden jedoch dem Kohlerevier nicht nützen. Dessen subventionierte Steinkohle-Zechen stehen zwar vor dem Aus, aber erst in fünf Jahren. Und es verbleibt ja der profitable, wenn auch extrem umweltschädigende Braunkohletagebau ... Damit Deutschland das langfristige Klimaziel erreicht, die CO2-Emission zu halbieren, sollte der Anteil alternativer Energien an der Stromversorgung wachsen – hauptsächlich Windkraft, Photovoltaik, Photothermik und Biogas. Da nun dank Abnahmegarantie und hohen Fixpreisen vermehrt Ökostrom produziert wird, steigt die Öko-Umlage. Der Wechsel zur umweltfreundlicheren Technologie ist eben unter marktwirtschaftlichen Bedingungen erst einmal teuer. Die Amortisation der Anlagekosten braucht Zeit, günstiger Strom kann frühestens kommen, wenn die Betreiber längst in der Gewinnzone sind. Die klassischen Stromerzeuger – Nachteil industrieller zentralisierter Großtechnologie – können nicht in ökologische Technik umrüsten, sie verlieren Marktanteile; ihre Lobby versucht folglich, die Energiewende auszubremsen. Kanzlerin Merkel in ihrer wöchentlichen »Videobotschaft« Anfang November lobbygefügig: »... wir müssen vor allen Dingen die Kostenexplosion – muß man schon sagen – bei den Umlagen für die erneuerbare Energie dämpfen. Darüber wird im Augenblick verhandelt. Und eines der ersten großen Projekte der neuen Bundesregierung wird eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sein.« Alles klar, Frau Bundeskanzlerin. Ihr Kursschwenk verschärft die Krise der Solarwirtschaft. Die Windmühlenbetreiber betrifft er sogar ausdrücklich: Merkels Koalitionäre wollen den Garantiepreis für Windstrom reduzieren und überhaupt Neubauten nur noch in besonders ertragreichen Gebieten fördern. Vor der deutschen Küste sowie im flachen Norden der Republik sind indessen große Windparks betriebsfertig und könnten liefern. Leider fehlt es ihnen an Leitungskapazität zu den Verbraucherstandorten. Weitere Bauvorhaben sind deshalb eh schon storniert; demnächst dürften viele Windprojekte ganz aufgegeben werden. Bei Union und SPD steht ein Ökostrom-Gesamtanteil von mittelfristig nur noch 35 Prozent in Rede. Die vormaligen Klimaschutz-Ziele der Parteien – Naturstrom 55 Prozent (CDU/CSU) beziehungsweise 75 Prozent (SPD) – sind das Papier nicht mehr wert, auf dem sie stehen. Wie bitte, Sie haben jetzt aber genug von dem geballten Schwachsinn, genannt Energiewende? Moment, werfen wir noch einen Blick auf die Anstrengungen der Massenmedien, alles zu drucken beziehungsweise zu senden, was dem Publikum den Durchblick verbaut. Das hat den gleichen Hintergrund wie vordem die Kampagne zur Akzeptanz der »Rettungsschirme« für unsere armen, armen Banken. Jetzt ist das Mantra unserer Journaille, daß die Politik den Energiekonzernen Profite garantieren müsse, den »Ökostromern« hohe Abnahmepreise und zumindest den energieintensiven Firmen umlagebefreiten Billigstrom. Bedauerlich, jedoch alternativlos sei, daß der private Verbraucher diese Zeche zahlt. Öko gebe es nun mal nicht zum Nulltarif. Keinesfalls soll der Bürger schnallen, für wie blöde man ihn verkauft. Deutschland hat sich über Jahrzehnte eine privatwirtschaftliche Energieversorgung zugelegt, die sich in dieser Organisationsform nicht vernünftig »ökologisieren« läßt. Es wird trotzdem versucht, mit untauglichen Mitteln. Bei sorgfältiger Verschleierung der Übel und Widersprüche, unter denen Umwelt und Verbraucher leiden. Eine unvollständige Liste der Symptome: Veraltete, störanfällige Netze. Hoher Stromtransportverlust. Fehlende Leitungskapazität. Fehlende Stromtrassen. Technologiemix aus weiterhin zuviel Atom, Kohle und Öl, zuwenig aus Erdgas, zu teuer aus Sonne und Wind sowie zu schadfolgenreich aus Biogas. Soziale Schlagseite: Reiche Immobilienbesitzer sahnen mit großen Solaranlagen ab. Preistreiberei der Versorger-Monopole. Zielkonflikt zwischen Hochpreisgarantien für Ökostrom und der Notwendigkeit, Energie bezahlbar zu halten. Zielkonflikt zwischen steuerlicher Subvention des Energieverbrauchs ganzer Wirtschaftsbranchen und dem Energiesparen zwecks Klimaschutz. Daß Haushaltsstrom 220 Prozent mehr kostet als vor 15 Jahren, liegt nicht nur an den Konstruktionsmängeln des EEG und an dessen sozial unausgewogener Anwendung. Die vier Monopolisten E.on, Vattenfall, EnBW und RWE denken nicht daran, die niedrigen Strombörsenpreise auch den privaten Haushalten zu berechnen. Diese zahlen deshalb rund 29 Cent pro Kilowattstunde, demnächst wohl 30 Cent und mehr – das Zehnfache des Börsenpreises. Und das müssen sie, weil der Gesetzgeber es weder schafft, die Reihen der umlagebefreiten Unternehmen zu lichten, die inzwischen zu tausenden der Allgemeinheit auf der Tasche liegen, noch den vier Monopolisten eine Profitgrenze zu verpassen, geschweige denn, die Monopole zu brechen. Über Steuersenkungen bei privat verbrauchtem Strom wird eh nicht nachgedacht. Wir nähern uns dem Kern des Problems: Eine Gemeinschaft, die sich von Politikern ihre Eigentumsrechte an der Energieversorgung nehmen, diese privatisieren, konzentrieren und monopolisieren läßt, darf sich nicht über Verteilungsmängel und Kostenexplosion beschweren. Stromproduktion und vor allem das Netz waren einst fast vollständig in öffentlicher Hand. Auch in der »alten« BRD, nicht nur in der DDR. Es ging nicht um maximalen Profit, sondern um optimale Versorgungssicherheit bei kostendeckenden Preisen. Dieses bewährte, fundamental sozial strukturierte System hätte die heutzutage notwendige ökologische Umstellung vereinfacht und erheblich mehr Wirkung erzielt: Dezentrale Produktion in einem auf regionale Gegebenheiten abgestimmten Produktionsmix, Kraft-Wärme-Kopplung als Norm, umweltfreundliche lokale Fernwärmenetze, bedarfsgerechte Leitungskapazitäten und Netzverbunde. Stattdessen wurde die Stromversorgung kapitalistischen Marktgesetzen unterworfen, der Oligopolwirtschaft ausgeliefert, dem Profitinteresse privater und öffentlicher Aktionäre. In neoliberalem Konsens pfeifen Union, SPD, FDP, Bündnis90/Grüne und Linke auf staatliche Regulierung. Die einzige grundlegende Problemlösung weisen sie sowieso von sich: Wieder-Verstaatlichung der Energiewirtschaft. Entsprechende Bürgerbegehren scheitern, wie jüngst das nach Re-Kommunalisierung der Berliner Stromversorgung. Die anstehende Große Koalition wird diese miesen Verhältnisse nicht ändern. Sie sind nur ein Merkmal des kapitalistischen Raubzugs durch unsere Gesellschaft. Sein Ziel: die Annullierung aller halbwegs sozialen Errungenschaften der letzten 140 Jahre, profitsüchtige Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge. Gefördert von einer Kanzlerin, deren Ausbildung und Werdegang einst von einem Staatsvolk finanziert wurden, das Energieversorgung, bezahlbares Wohnen, preisgünstige Ernährung, kostenloses Gesundheitswesen und hohen Bildungsstandard für selbstverständlich hielt, nun aber um seine rein physische Existenz besorgt sein muß. Michel hat gewählt. Das Kapital regiert. Menschen und Mitwelt leiden.
Erschienen in Ossietzky 24/2013 |
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