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Mit den USA, der UNO und Pakistan einigte sich die Sowjetunion im April 1988 auf den Abzug ihres Afghanistan-Korps ein Jahr später und die Grundzüge einer Nachkriegsordnung am Hindukusch. In beiden Fällen haben die Abkommen Nächstliegendes und Unvermeidliches besiegelt – das Ende von Kolonialismus, Besatzung und Fremdbestimmung. Was freilich an Regeln für die Zeit danach fixiert wurde, hatte sich schnell erledigt. Vietnam wurde Mitte der fünfziger Jahre in zwei Staaten mit konträren Systemen geteilt und stand vor einer nationalen Tragödie unfaßbaren Ausmaßes, als nach 1964 in Südvietnam die US-Armee intervenierte. Afghanistan driftete nach dem Ausstieg der Sowjets postwendend in zermürbende Machtkämpfe, die im September 1996 mit dem Einmarsch der Taliban in Kabul einen vorübergehenden Sieger hatten und in ein Kalifat mündeten. Nun also soll in Genf versucht werden, einen Konflikt einzudämmen, dessen regionale Brisanz außer Frage steht. Es geht um den seit März 2011 andauernden Bürgerkrieg in Syrien. Schon einmal in diesem Jahr – am 7. Mai – hatten sich John Kerry und Sergej Lawrow, die Außenminister der USA und Rußlands, darauf verständigt, eine solche Friedenskonferenz einzuberufen. Es blieb ein frommer Wunsch. Über ein imaginäres Planungsstadium kam das Vorhaben nie hinaus. Wird einer Neuauflage mehr Erfolg beschieden sein? Im Augenblick deutet wenig daraufhin, denn noch bleiben die Konturen eines solchen Forums unscharf. Wird mit dem 23. November zumindest ein konkreter Termin für einen Konferenzauftakt genannt, läßt das auf Sondierungen mit potentiellen Teilnehmern schließen, von denen die USA und Rußland mit einiger Sicherheit wissen dürften, daß sie antreten. Da sich beide Staaten als Zweigespann der Konferenz widmen, werden sie notgedrungen als Schirmherren wahrgenommen und müssen bei der Auswahl der Beteiligten den ersten Eignungstest bestehen. Wer wird nach Genf zitiert, wer nicht? Wer könnte sich verweigern und warum? Was wird mit der linksnationalistischen Oppositionsallianz um den Baath-Dissidenten Dschamal al-Atassi in Damaskus, die von der Regierung in Damaskus als legale Gruppierung respektiert wird? Rußland könnte dafür plädieren, daß sie als Gegengewicht zur Nationalen Syrischen Koalition in Genf Präsenz zeigt – die amerikanische Seite wird dagegen sein, gilt ihr doch jener Dachverband der Exilopposition als ideale Verhandlungspartei. Schließlich könnte die Nationalkoalition mit ihrem Exilkabinett unter Premier Ahmad Jarba den in Genf erscheinenden Assad-Emissären auf Augenhöhe begegnen. Das aber würde von der syrischen Regierung viel guten Willen, die Bereitschaft zu Verzicht und Kompromiß verlangen. Sie betrachtet sich als legitimer Vertreter Syriens und pocht – nicht zuletzt gegenüber Moskau – darauf, daß die Souveränität des syrischen Staates völkerrechtlich verbrieft sei. Niemand dürfe ihn willkürlich aus dem Staatenregister streichen und durch einen von der Opposition ausgerufenen Phantom-Staat und dessen willkürlich bestimmte Organe ersetzen. Diese Auffassung tangiert rechtlich brisante Kernfragen eines jeden durch Aufruhr und bewaffneten Widerstand angebahnten, ausgelösten oder eben auszuhandelnden Regimewechsels: Wann ist staatliche Macht soweit delegitimiert, daß ihr das Recht auf Selbstverteidigung bestritten werden darf? Wann ist sie als Verhandlungspartner obsolet und darf international geächtet werden? Welche Rechte müssen ihr zugebilligt werden, wenn sie sich existentiell herausgefordert fühlt? Zur Erinnerung: Nach dem Sturz der Pol-Pot-Diktatur in Kambodscha Anfang 1979 saß – trotz des durch dieses Regime zu verantwortenden Völkermords – die Delegation des »Demokratischen Kampuchea«, wie sich der Pol-Pot-Staat nannte, noch jahrelang als Mitglied in der UN-Generalversammlung. Eine Mehrheit der Vereinten Nationen wollte den Nachfolge-Staat nicht aufnehmen. Zur Begründung hieß es, dieser verdanke sein Vorhandensein einer vietnamesischen Militärintervention. Es erschien zweitrangig oder gänzlich irrelevant, daß diese Operation eine Herrschaft des Grauens beendet hatte. Im Unterschied dazu galt gegen Syriens Regierung im Westen wie in der arabischen Welt seit März 2011 der moralische Imperativ: Wer sich gegen Assad ausspricht, schützt das syrische Volk vor Völkermord – wer das nicht tut, begünstigt einen Völkermörder und diskreditiert sich. Diese inbrünstige Parteilichkeit war das Ende jeder Diplomatie. Die Entscheidung, wie künftig ein syrischer Staat beschaffen ist, wer ihn regiert, und auf der Basis welcher Verfassung das geschieht, kann nur das syrische Volk an der Wahlurne treffen. Eine Genfer Friedenskonferenz sollte dafür die nötigen Konditionen schaffen, indem sie einen belastbaren Waffenstillstand vermittelt. Mehr wird nicht möglich sein. Wurden in der Vergangenheit Nachkriegsordnungen am grünen Tisch ausgehandelt, scheiterten sie regelmäßig an den Nachkriegsrealitäten im Konfliktgebiet. Auch die USA und Rußland werden das (hoffentlich) wissen und sich ganz auf die Frage nach den internationalen Garantien einer Waffenruhe konzentrieren, sollte es dazu kommen. Vorsicht ist geboten – Kontrollrechte münden leicht in Besatzungsmacht. Völlig offen bleibt im Moment, ob die Nationale Koalition auch nur ansatzweise in der Lage wäre, ihrerseits dafür zu sorgen, daß über einen längeren Zeitraum hinweg in Syrien kein Schuß mehr fällt. Die Freie Syrische Armee (FSA) hat sich nie als bewaffneter Arm dieses Gremiums definiert. Noch weniger trifft das für die in Syrien stehenden islamistischen Kampfverbände zu, vor allem etliche El-Kaida-Filialen, die mit dem Honoratioren-Klub arrivierter Exilgrößen nichts zu tun haben wollen. Die Teilnehmerliste für Genf wird erkennen lassen, ob die Konferenz den großen Wurf wagt und den Syrien-Konflikt als komplexe, bürgerkriegsähnliche Konfrontation begreift, die längst kein klassischer Volksaufstand mehr ist. Soll das gelingen, werden die wichtigsten regionalen Mitspieler in Genf unverzichtbar sein. Dann darf Saudi-Arabien als Pate des Anti-Assad-Lagers ebensowenig fehlen wie der Iran als Schutzmacht der von Assad reklamierten syrischen Staatlichkeit. Daß sich daran die Geister scheiden, ist zu erwarten. Ob dieses auch für Washington und Moskau zutrifft, wird sich zeigen.
Erschienen in Ossietzky 23/2013 |
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