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Ein Theater ganz besonderer Art ist das RambaZamba, das Theater für Behinderte, welches Körperliches wie Geistiges im Grunde ununterscheidbar macht. In den Schauspielern stecken Kräfte, die sonst oft verborgen bleiben. Und vor allem können sie spielen, etwas vorführen. Unvergeßlich ihr Beckett (»Endspiel«) vor Jahren. Sie spielten diesen so trefflich, wie ich ihn sonst nur in Frankreich (Roger Blin) und England (Peter Brook) gesehen habe, in Deutschland noch am besten von Bernhard Minetti. Illusionen über den Zustand dieser Welt preisgebend, fordern Becketts Spiele auf, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf, um dies mit einem Marxschen Gedanken zu beschreiben. Das mag der Ausgangsgedanke für viele Produktionen dieser fast wundersamen Spielergemeinschaft sein, auch für das jüngst fast getanzte oder pantomimisch gebrachte, von Gisela Höhne und Tomi Paasonen arbeitsteilig inszenierte Stück »Jahreszeiten«. Die Musik ebenso gut und passend: Vivaldi, Purcell und Strawinsky. Die Akteure und ihre Leiter haben etwas zuwege gebracht, was ich so oft vermisse: über eine Art Schönheit Gegenentwürfe her- und vorzustellen. Am gleichen Spielort, nämlich der Kulturbrauerei in der Schönhauser Allee, sah ich auch eine neuere Produktion mit dem Titel »Am liebsten zu dritt«. Die drei, die ein Hotel überfallen, nehmen Geiseln, fordern Herrschaft, die Macht für die Drei. Sie haben das Down-Syndrom (med. Trisomie 21; das 21. Chromosom ist nicht verdoppelt, sondern verdreifacht – entsprechend die Forderung im Stück: Schluß mit dem Dualismus – Frauen mit Down-Syndrom angetreten zur Wunschbefruchtung, die Männer bilden eine Art Befruchtungsapparat. Am Ende wird es halb Revue, halb »Comedy« (nicht Komödie) zwischen Hochmedizin und Thriller, wie sie neumodisch dauernd vom Bildschirm flimmern. Doch der Widerspruch zwischen Hochmedizin und solchem Genre ist zu groß, kann sich künstlerisch nicht schließen. – Ebenfalls von Behinderten, diesmal des Theaters Thikwa, wurde das Stücklein »Dschingis Khan« in den Sophiensälen zur Schau gestellt. Hier haben sich die jungen Leute verhoben. Es tut weh, dies sagen zu müssen, doch das Ganze war zu peinlich. Für wie alt halten Sie »Frühlings Erwachen«, diese ewig junge, mitunter etwas überschraubte »Kindertragödie«, wie der Untertitel lautet? Sie ist um 1891 entstanden, also fast ein Klassiker von Wert- und Zeitgefühl her. Nun hat sie Papst Markus (also Markus Pabst, Urheber von »Soap«, »Caesar Twins«) in der Ufa-Fabrik in der Viktoriastraße neu inszeniert – artistisch und bravourös. Seine hochwendigen Darsteller Felice Aquilar, Christian Myland und Dennis Mac Dao, bewegt auch durch Musik von Antwoord bis Ray Charles, machen daraus ein Kunststücklein, daß es nur so kracht. Fast wie ein Kunstturn- und Laufsport-Gemisch. Doch ob das nicht eher in eine Sporthalle gehört? Ich bin mir nicht sicher, ob der erzieherische Sinn über diese Effekte hinaus- und an jene herankommt, die gemeint sind. Sport und Theater: Oft werden Sportler, vor allem Fußballer, wenn sie stürzen oder hingestoßen werden, sich schmerzhaft winden oder so tun, plötzlich weiterrennen, als Komödianten beschimpft. So weit, so richtig – eben Schmiere! Von einer Truppe sei ausnahmsweise hier an diesem Ort berichtet, die ich für wirkliche Könner auch im Schau-Spielen beziehungsweise Tanzen halte: die Millionen-Matadore vom 1. FC Bayern München. Das ist schon fast kein Fußball mehr, obwohl sie die dazu benötigten Glieder benutzen müssen – das ist bereits Hohe Kunst: Wie sie tänzeln, springen, ihre Gänge zirkeln, die Bälle bemessen – das gerät in die Bereiche der Ästhetik, freilich einer zu hoch bezahlten! Solche Spieler sind mehr als nur Sportler, sie sind Histrionen, Weltdarsteller, Darsteller freilich unwirklicher Welten. Dies sind Arenen freilich immer – zumindest seit den Gladiatoren, die halt Niederlagen am teuersten bezahlen mußten – mit dem Leben. Das müssen diese von heute nicht. Sie erzeugen Glanz und Glamour und ein im Grunde richtiges Bild einer falschen Welt, doch keiner wahren. In diesem Sinne sind sie wahr und geben beste Abbilder – über ihre kopfgesteuerte Beinkunst. Da mag ruhig eine Art Ruhm bleiben! – Zurück in die wirklichen Theater! Im Grips haben Regisseur Anno Saul und das Team von Drehbuchschreibern aus der Filmkomödie »Kebab Connection« von 2004 ein Bühnenstück gemacht – als Stoff dient eine deutsch-türkische Liebesbeziehung und das verrückte Unterfangen des Hauptdarstellers Ibo (Robert Neumann), die Dönerbude seines Vaters mit einem Kung-Fu-Kinospot zu bewerben. Werbespot und Döner werden zum Hit, aus der »Beziehungskiste« entsteht eine Schwangerschaft der jungen deutschen Frau Titzi (Nina Reithmeier), eine verantwortungsbewußte Liebe erwächst. Vieles war zu laut, das Tempo manchmal zu hektisch, das Spiel durchaus gestisch, mitunter zu hochgetrieben, doch die Botschaft kam beim Publikum an – die Vorstellungen sind gefragt. Das macht den Erfolg und uns Hoffnung, daß sich die Menschheit ihrer Möglichkeit zur Vernunft erinnert und sich in Würde halten kann. Was geschieht, wenn eine Familienministerin ein Theater veranlaßt, ein Stück gegen sexuellen Mißbrauch auf die Bühne zu bringen? Das Stück heißt »Trau dich« und stammt von der Spielgruppe »Kopfstand« (vier Schauspieler). Das Thema ist in allen Medien, von einer schlimmen Realität produziert. Soll es ein Lehrstück sein, kommt es an? Die Gemüter bewegt es schon, wie im Renaissance-Theater bei der Premiere zu bemerken war. Die Aufführung reist über längere Zeit über Land (www.kompaniekopfstand.eu/spieltermine). Hoffen wir auf Erfolg: Endlich ein äußeres Zeichen für Verantwortungnahme der Regierung im Erziehungsbereich, mithin im weitesten Sinne kultureller Verantwortlichkeit.
Erschienen in Ossietzky 22/2013 |
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