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Hätte damals jemand prophezeit, daß es im Jahre 2013 eine öffentliche Debatte über die Frage geben würde, ob Schwule Kinder adoptieren dürfen, auch wenn keiner der beiden Partner sie mit in die Ehe gebracht hat –, man hätte ihn für verrückt erklärt. Wowereits Coming-out löste im politischen Bereich eine »Kaskade« aus – so der Begriff, den der Soziologe Andreas Heilmann in seiner dickleibigen Dissertation für die Fülle von (Fast-/Selbst-) Outings in der Politik geprägt hat (»Normalität auf Bewährung. Outings in der Politik und die Konstruktion homosexueller Männlichkeit«, 2011). Der Sport scheint jedoch eine der letzten Bastionen der »Homophobie« zu sein. Zunächst eine kritische Bemerkung zur Begrifflichkeit. Ich greife hier auf eine kleine Begebenheit zurück, die ich in einer Solidaritätsgruppe erlebte, in der ich mitarbeite: Eine Teilnehmerin kritisierte den Begriff »Xenophobie«, den eine andere in einem Papier für »Fremdenfeindlichkeit« oder »Rassismus« verwendet hatte; sie fand ihn verharmlosend, denn wenn jemand beispielsweise unter einer Arachnophobie (Angst vor Spinnen) litte, würde man ihn nicht dafür tadeln, sondern bemitleiden. Im Gespräch stellten wir fest, daß der Begriff der Phobie im Bereich der Psychologie eine andere Bedeutung hat als im sozialen oder politischen Bereich. Daraus ergibt sich zugleich, daß die unterschiedliche Begriffsverwendung unausgesprochen feindselige Einstellungen im sozialen oder politischen Bereich zu verharmlosen scheint. Zurück zum Thema »Homophobie im Sport«. Ein Coming-out ist bei Spitzensportlern, ja Profisportlern überhaupt, immer noch selten und hatte zuweilen einen tragischen Ausgang, so im Falle des englischen Fußballers Justin Fashanu, der sich 1990 nach einer leidvollen Vorgeschichte – sein Trainer hatte ihn vor der Mannschaft »verdammte Schwuchtel« genannt – über die Presse (The Sun) outete und sich wegen der anschließenden feindseligen Reaktionen das Leben nahm. Als erster Profiboxer outete sich 2012 der Puerto-Ricaner Orlando Cruz. Er wurde am 2. August 2013 in die »National Gay and Lesbian Sports Hall of Fame« aufgenommen. In Deutschland outete sich vor einigen Jahren der Profifußballer Marcus Urban. Über ihn ist eine Biographie erschienen (Ronny Blaschke: »Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban«, 2008). Inzwischen ist Urban als »Diversity Coach« beratend tätig. Am 28. September nun war Marcus Urban Gast beim »Straßenfest in der Gegengerade«, das der 1. FC St. Pauli veranstaltete. Der Zweitligaverein spielt im Rahmen des Profifußballs insgesamt bekanntlich eine Sonderrolle (erinnert sei nur daran, daß der offen schwul auftretende Corny Littmann jahrelang Präsident des Vereins war); dies gilt auch für die Position des Vereins gegenüber Homophobie und Sexismus. Die Diskussion, an der Marcus Urban teilnahm, trug den schönen Titel »Keine Chance für die Liebe?«. (Der Titel bezieht sich auf den gleichnamigen Song der »Toten Hosen«.) Roger Hasenbein, Vorsitzender des Fanclubsprecherrates der organisierten Fanclubs des FC St. Pauli, stellte die Entwicklung der Position, die der Verein gegenüber Homophobie und Sexismus einnimmt, in einen Zusammenhang mit der Politisierung der Fanszene seit Mitte der 1980er Jahre. Um das Jahr 2000 gab es dann erste Proteste gegen homophobe und sexistische Rufe im Stadion. In den Jahren 2005/2006 nahm die Protestbewegung organisierte Form an. Es wurde versucht, die Vereinsgremien, -partner und Spieler einzubinden. Seit dieser Zeit ist Dirk Brüllau – ein weiterer Teilnehmer der Diskussionsrunde – im Aktionsbündnis gegen Sexismus und Homophobie in der Fanszene des FC St. Pauli tätig. Nicht zuletzt durch dessen Wirken wurde erreicht, daß die »St. Pauli-Fibel«, die über Vereinskultur und -umgang informiert, unter anderem homophobe und sexistische Rufe im Stadion zu »No Gos« erklärt hat. Zwar deckt sich die Realität nicht immer mit den aufgestellten Forderungen, doch sollte es zu denken geben, daß die Mannschaft bei Auswärtsspielen oft in Sprechchören als »schwule Hamburger« beschimpft wird. Der bei der Diskussion ebenfalls anwesende »Fußballgott« (so nennt ihn das Veranstaltungsprogramm) Florian Lechner meinte zwar, über solche Beschimpfungen sollte man nur hinweglächeln, aber das Verhalten der gegnerischen Fans zeigt doch auch, daß sie gemerkt haben, daß es der St. Pauli-Mannschaft mit dem Kampf gegen Sexismus und Homophobie ernst ist. Wie selbstbewußt man mit dem Thema umgehen kann, bewies übrigens der Gitarrist und Sänger Michael Pahl mit seiner Hymne auf den Spieler Fabian Boll. (»Ich bin verliebt in Fabian Boll«. Die erste Zeile lautet übrigens keckerweise: »Er macht von hinten mächtig Dampf.«) Dasselbe Selbstbewußtsein zeigt auch der Verein, der – einmalig im gesamten Profifußball in Europa – im Stadion die Regenbogen-Fahne aufgehängt hat. Bemerkenswert an der Diskussion war neben der klaren Einstellung gegen Sexismus und Homophobie im Sport auch der theoretische Anspruch. Der Moderator Christian Bettges stellte die Frage nach dem Zusammenhang der beiden Fehlhaltungen und erhielt kompetente Antworten von der Rapperin Sookee aus Berlin (die sich in ihren Liedern gegen Homophobie und Sexismus einsetzt), dem Soziologen Lars Alberth (der in seiner Dissertation das Verhalten von Männern in Umkleideräumen von Fitneßcentern behandelt) und der Sportjournalistin Nicole Selmer (die ein Buch über weibliche Fans verfaßt hat): Gemeinsam sei ihnen die Ablehnung von nicht- beziehungsweise »un-männlichem« Verhalten. So könnten Frauenfeindlichkeit (gegen weibliches = nicht-männliches Verhalten gerichtet) und Schwulenfeindlichkeit (gegen »un-männliches« Verhalten gerichtet), aber auch die Lesbenfeindlichkeit (gegen angeblich »unberechtigt männliches« Verhalten gerichtet) erklärt werden. Abschließend möchte ich berichten, wie ich – als entschiedener Gegner des Profifußballs – dazu gekommen bin, mich ins Stadion des FC St. Pauli zu begeben, wo die Diskussion stattfand: Ich hatte von einer Frauenfußballerin, die im 2. Frauenteam (Amateurinnen) des Vereins spielt, erfahren, daß sie ein besonderes Spiel planten: Sie wollten im Rahmen der Aktionen gegen Sexismus und Homophobie in lila Trikots mit selbstgewählten Slogans antreten; mir gefiel am besten der Spruch »Gay deinen Weg!« Nun weiß ich auch nicht, wie ich es erklären soll: Ich bin jetzt offenbar St. Pauli-Fan geworden.
Erschienen in Ossietzky 22/2013 |
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