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Berlusconi hat das Land nicht nur ökonomisch zugrunde gehen lassen – durch Unterlassung jeder Art von Wirtschaftspolitik mit Entwicklungsperspektiven für die Mehrheit der Bürger. Nach und nach ist es ihm auch gelungen, alle politischen Instanzen auszuhöhlen und zum Vehikel privater Interessen zu machen. Das wäre ohne ein bereits seit Jahrzehnten erodiertes Terrain nicht möglich gewesen: Die starke kommunistische Opposition durfte nie an die Macht kommen und löste sich nach 1989 selbst auf. Seit den 80er Jahren hatten die Craxi-Sozialisten die ununterbrochene christdemokratische Vetternwirtschaft mittels beginnender Privatisierung der Staatsindustrie unterwandert und Berlusconi, dem Aufsteiger der Bau- und Medienwelt, in die finanziellen Steigbügel geholfen. Enge Kontakte zur Mafia, mit Korruption auf allen Ebenen sind heute aktenkundig und führten zu einer Reihe von Gerichtsurteilen gegen enge Mitarbeiter Berlusconis. Berlusconis Parlamentsmehrheit hat zwar viele Gesetzesänderungen zur Beschneidung der Verjährungsfristen und selbst der Straftatbestände (Bilanzfälschung!) durchsetzen können, und Berlusconi konnte sich selber bisher acht von zwölf Verfahren mittels verkürzter Verjährung entziehen, aber inzwischen hat ihn der Rechtsstaat eingeholt, trotz aller Hürden und Behinderungen. Die Justiz hat zwei große Prozesse zum Abschluß gebracht, das heißt zur endgültigen Verurteilung Berlusconis in letzter Instanz. Es geht um Straftatbestände wie schwere Richterbestechung bei der Aneignung des Verlagsimperiums Mondadori (1991) sowie Bilanzfälschung und Steuerhinterziehung größten Ausmaßes im jüngsten Mediaset-Urteil. In jedem anderen westlichen Kontext hätte ein so beklagter Politiker längst abtreten müssen, ganz zu schweigen von einem definitiv verurteilten. Nicht so Berlusconi, dessen Herrschaftssystem auf der Einheit von ökonomischer und politischer Macht beruht, dessen »Volk der Freiheit« eben keine Partei im herkömmlichen Sinne ist, sondern ein Unternehmen von bezahlten Anhängern, das ohne Capo zusammenbrechen würde. Und diese Leute kleben an der Macht wie an ihrer Existenz und versuchen alles, um auch weiterhin oben zu bleiben. So ist auch die Neuauflage seiner alten »Forza Italia« zu verstehen, die Berlusconi in einer Fernsehansprache am 18. September salbungsvoll verkündet hat, medienwirksam kurz vor der ausstehenden Entscheidung des Senatsausschusses für die Niederlegung seines Amtes. Schon vorab versicherte er also den Italienern in seiner neunten Videobotschaft, auch nach seiner (inzwischen nochmals aufgeschobenen) Absetzung als Senator seinem geliebten Italien weiter zur Verfügung zu stehen, um das Land vor der »kommunistischen Katastrophe« zu retten. Und er rief die Italiener auf, ihn aktiv in diesem Kampf zu unterstützen. Seit Monaten setzt Berlusconi all seine Propagandakapazitäten ein, um seine Version des von den »linken Richtern gnadenlos Verfolgten« (s. sein Vorstoß in Straßburg) durchzusetzen, die ihn, einen »völlig schuldlosen Bürger«, durch einen »Staatsstreich der Justiz« von der politischen Bühne vertreiben wollen, obwohl Millionen Wähler hinter ihm stehen. Gerichte werden von ihm als »Exekutionskommandos« tituliert, und der politische Diskurs in Italien steht noch immer unter seiner Regie. Es ist nicht möglich, in wenigen Sätzen die von seinen Anwälten und Anhängern ins Feld geführten juristischen und demagogischen Spitzfindigkeiten aufzulisten bis hin zum von seinen Erben vorgeschlagenen Gnadengesuch beim Staatspräsidenten. Festgehalten sei nur, daß Berlusconi trotz seines »Rücktritts« zugunsten der Technokratenregierung Mario Montis (Herbst 2011) und der seit der Wahl im Februar 2013 von Napolitano eingesetzten Großen Koalition aus Demokratischer Partei (PD) und Volk der Freiheit (PDL) – hier »larghe intese« (breite Übereinkunft) genannt – die Politik de facto weiter bestimmt und die Regierung unter Führung Enrico Lettas von der Demokratischen Partei (Neffe von Berlusconis engstem Vertrauten Gianni Letta) gewissermaßen in Geiselhaft hält. Unter ständiger Androhung des Rückzugs seiner PDL aus der Regierung hat Berlusconi wirtschaftlich unsinnige und schädliche Maßnahmen, wie die völlige Streichung der umstrittenen Immobiliensteuer IMU durchgesetzt, für die es bisher keinen finanziellen Ersatz gibt. Die Regierung Letta, die mühsam versucht, sich mit dem Optimismus von Verzweifelten an der Macht zu halten, aber keinen Rat weiß, wie sie die Wirtschaft ohne jeden finanziellen Spielraum sanieren soll, erhöht nun die Alkoholsteuer, um dringend benötigte Lehrer zum Schulbeginn einstellen zu können. Keiner weiß, wie lange die Zwangskoalition halten wird. Die Beteiligten setzen unter der Regie von Napolitano auf sie, denn ein erforderliches neues Wahlgesetz, das den Italienern zumindest wieder die Möglichkeit geben würde, ihre Abgeordneten selbst zu bestimmen, steht noch immer aus. Damit scheint politischer Stillstand vorprogrammiert. Eine Regierungsalternative aus Demokraten und 5-Sterne-Bewegung, die nur eine rechnerische Mehrheit besitzt, kann das Ruder nicht übernehmen. Denn wohin sollte man auch steuern angesichts der einengenden Troika-Vorgaben aus Europa, denen alle zugestimmt haben? Viele hoffen auf eine Lockerung des Sparwahns nach der Wahl in Deutschland, um zumindest auf lokaler Ebene investieren zu können und griechischen Verhältnissen zu entgehen. Der ehemalige Verfassungsrichter Vladimiro Zagrebelsky hat kürzlich in La Stampa die italienische Justiz als »Eremit inmitten einer politischen Wüste« bezeichnet, dem man zunehmend die Aufgabe überläßt, anstelle der Politik zu handeln, um dann die Justiz (und nicht die Politik) anschließend für die Folgen verantwortlich machen zu können. Eine Politik, die so tief in die Wirtschaft verstrickt ist wie die heutige, soll nur noch Regierbarkeit – also Stabilität für die Märkte – garantieren, eine Forderung, die seit den 70er Jahren kursiert. Die klassische Gewaltenteilung erscheint da obsolet. Berlusconis fortdauernde Vorstöße, eine Präsidialrepublik zu schaffen und die Verfassung entsprechend zu »reformieren«, werden nicht etwa von der PD abgelehnt, sondern Letta hat das Schicksal seiner Regierung sogar an die Realisierung einer »großen Verfassungsreform« gebunden. Weimar läßt grüßen.
Erschienen in Ossietzky 20/2013 |
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