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Und genau das soll bei diesem seltenen, kurzgefaßten, zündenden und glücklicherweise noch nicht ausgestorbenen Metier erreicht werden: eine Verblüffung, die den Leser vom Hocker reißt und ihn grimmig oder befreit schmunzeln läßt. Die Großen der Weltliteratur haben sich der Aphorismen bedient oder ihre später zu Klassikern mutierten Werke so verfaßt, daß mindestens ein paar Weisheiten übriggeblieben sind, die sich der Nachwelt erhalten und zum Teil verselbständigt haben: Lessing, Goethe und Schiller, Wilhelm Busch, Eugen Roth und andere. Ihre originellen Gedankensplitter stehen für sich und bedürfen nicht unbedingt der textlichen Zusammenhänge oder der Dialoge, in deren Kontext sie entstanden sind. Sie könnten, wie Tucholskys von Hering und Urban aus zehn Bänden zusammengetragene und immer wieder neu aufgelegte »Schnipsel«, eigene Bände füllen. Und nun kommt der Sigmar Schollak mit den Aphorismen-Bändchen »Verkenne dich selbst!« und »Der Kuß – ein Lippenbekenntnis« daher, und der Donat Verlag hält diese Art der literarischen Kleinkunst für so anregend, daß er sie in unserer nervösen Zeit unters Volk streut. Noch dazu bekräftigt mit Bemerkungen und aufgehübscht mit Radierungen des Schollak-Freundes und Dichterkollegen Günter Kunert. Und daran tut er recht, der Verlag, und der Kunert in seiner Laudatio, die er Vorwort nennt, auch, denn – so Fontane – »ein guter Aphorismus ist die Weisheit eines ganzen Buches in einem ganzen Satz«. Und »pointierte und schlagkräftig formulierte geistreiche Äußerungen« sind es, die es Schollak angetan haben, und die wiederum sind mehr als wortwitzige Bonmots oder in Zweizeiler verpackte geistvolle Epigramme. Kunert nennt sie »kleine Gehstützen auf dem krummen Lebensweg«. »Es geht aufwärts, sagte der Fiebernde nach einem Blick aufs Thermometer«, philosophiert Schollak, und »Als das Fernsehen seinen Anfang nahm, war es eine Kopie des wirklichen Lebens. Heute ist es umgekehrt«. Jeder Widerspruch erledigt sich da von selbst. Beeindruckend ist sowohl die Lebensnähe als auch die Spielbreite der Aphorismen, mit der der Autor aufwartet. Quere Betrachtungen zum Alltag stehen neben bissigen Statements zur Politik; Zustimmung verdienen beide. Und der brillante Umgang des Autors mit der Sprache ist es nicht weniger. Was mir dagegen einen zarten kritischen Einwand abringt, ist die Nähe einiger Geistesblitze zu Sinnsprüchen anderer Autoren. »In Spanien gründeten sie einmal einen Tierschutzverein, der brauchte nötig Geld. Da veranstaltete er für seine Kassen einen großen Stierkampf.« Das las ich bei Tucholsky. »Der Tierschutzverein klatschte«, bemerkt Schollak. »Der Torero schwebte auf den Hörnern des Stieres.« Andere Aphorismen können ihr Lokalkolorit nicht verleugnen. »Was du morgen kannst besorgen, das verschiebe nicht auf heute«, rät Schollak. Damit jongliert der in Berlin geborene Autor mit einer Aufforderung, die sein Kollege Volksmund schon salopper vorgab: »Mensch, entschlare dir der Sorjen, und verschiebe nicht auf morjen, wat du übermorjen ooch noch kannst besorjen.« Tucholsky und Kästner, Karl Kraus und Erich Fried, Lichtenberg und Nietzsche, Oscar Wilde, Wilhelm Busch, Eugen Roth, Curt Goetz, Heinz Ehrhardt, G. B. Shaw, Stanislaw Jerzy Lec, Ambrose Bierce und viele andere Literaten, aber auch humanistische Wissenschaftler wie Albert Einstein (»Ein kluger Kopf paßt unter keinen Stahlhelm«) und schlitzohrige Politiker wie Bismarck, Churchill und Adenauer sind für ihre erfahrungsgereicherten Lebensweisheiten in mancher Munde. »Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd«, wußte beispielsweise der »eiserne« Kanzler, und Adenauer interessierte sein »Gequatsche von gestern« einen feuchten Kehricht. Schollak ergänzt das treffend: »Historie: Geschichten aus der Mogelei«. Wo aber, fragt Günter Kunert besorgt, finden wir in jüngerer Zeit noch Aphoristiker? Beispielsweise in der DDR, antworte ich ihm da. Die war generell zwar nicht reich, aber an Aphoristikern nicht arm. Das müßte Kunert wissen. Sie verdienen Erwähnung, die Hansgeorg Stengel (»Eine Blattlaus aus Langenhessen hatte ihr Manuskript vergessen. Drum fand das Referat nicht statt, denn Blattläuse lesen nur vom Blatt!«), Nils Werner, Heinz Kahlau (geb. in Drewitz, nicht in Calau), Wolfgang Mocker, dessen Aphorismen jahrelang den »Eulenspiegel« bereicherten, André Brie (»Die Wahrheit lügt in der Mitte«), Peter Maiwald (»Wünsch mir die Welt, in der die Völker sagen, wir haben endlich den Krieg verloren und können ihn nicht wiederfinden«), Gerhard Branstner (»Ein Unbelehrbarer ist wie eine Schachtel, in die man ständig etwas daneben legt«), Rudolf Wiemer (»Bei jedem Sieg hatten wir schulfrei. Wir siegten viel. Deshalb haben wir wenig gelernt«) und andere, und wir möchten sie um diese Namen ergänzen, jene Phalanx, in die sich Sigmar Schollak würdig einreiht. Um gerecht zu bleiben: Auch anderswo sprachwerkeln Aphoristiker, denen nachzuschnüffeln sich mehr als lohnt. Da bin ich doch dieser Tage auf Uwe Dick gestoßen worden, der nach eigenem Bekunden als »Satz- und Gartenbauer« im österreichischen Dreiländereck am Böhmerwald nicht nur lebt, sondern glücklicherweise auch noch schreibt. Seine genialen »Bannflüche«, »Neinwürfe« und »Foppformeln« sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen oder in seiner Sammlung »Spott bewahre!« nachlesen. Denn »Verklemmte lachen nicht«; stellt er fest. »Sie licheln!« Oder: »Die meisten hierzulande sind Nazis. Sie wissen’s nur noch nicht mehr.« »Das Sein erschlägt das Bewußtsein«, würde unser Autor Schollak dazu kommentieren. Das Schöne aber ist, daß er mit seinen Aphorismen selbst dagegen anstinkt. Sigmar Schollak: »Der Kuss – ein Lippenbekenntnis« Aphorismen, mit Zeichnungen und einem Vorwort von Günter Kunert, Donat Verlag, 94 Seiten, 10 €; Sigmar Schollak: »Verkenne dich selbst! Neue Aphorismen«, mit Radierungen und einem Vorwort von Günter Kunert, Donat Verlag, 72 Seiten ,10 €
Erschienen in Ossietzky 19/2013 |
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