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Kein Wunder – wer schlägt sich schon gern selbst ins Gesicht. Die politische Orientierung, die zu diesem Versagen geführt hat, wurde nämlich vom demokratischen Rechtsstaat selbst vorgegeben. Eine Politik, die unser Gemeinwesen hauptsächlich von links her bedroht sieht, schmälert die Aufmerksamkeit gegenüber Gefahren aus anderen Richtungen. Wer den Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden Scheuklappen verordnet, die ihnen den Blick auf die Neonazis verstellen, der darf sich nicht wundern, wenn neun Menschen ausländischer Herkunft ermordet werden, ohne daß jemand auf die Idee kommt, die Verbrechen könnten einen rechtsextremistischen fremdenfeindlichen Hintergrund haben. Damit sich Derartiges nicht wiederholt, helfen organisatorische Verbesserungen bei der Zusammenarbeit nur wenig. Auch in den Köpfen muß sich etwas verändern. Der Ruf nach einem »umfassenden Mentalitätswechsel« zielt in diese Richtung. Zwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion sollte sich der Verfassungsschutz allmählich von der Vorstellung frei machen, Deutschland vor einer kommunistischen Bedrohung schützen zu müssen. Der sieht dazu allerdings so lange keine Veranlassung, wie die politisch Verantwortlichen in den Schützengräben des kalten Krieges verharren. Für den Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrindt, steht der Feind weiterhin links, und sein Unionsfreund Ronald Pofalla meinte gar, die Linkspartei habe als postkommunistische Einrichtung in Deutschland überhaupt nichts zu suchen. Wie eine Jungfrau, die nicht mit dem Teufel ins Bett gehen will, lehnte es die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag ab, zusammen mit der Linksfraktion für eine Resolution gegen den Antisemitismus zu stimmen. So geschehen am 70. Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. November. Leider unterscheidet sich die Sozialdemokratische Partei in dieser Hinsicht nicht von den Unionsparteien. 1969 warnte ihr Präsidium die Parteimitglieder davor, sich unbesehen an Protesten gegen die rechtsradikale NPD zu beteiligen. Dahinter könnten sich Kommunisten verbergen, die solche Bürgeraktionen für ihre Ziele mißbrauchten. Die Idee, Initiativen gegen den Rechtsextremismus nur dann finanziell zu unterstützen, wenn sie nicht mit linken antifaschistischen Gruppen kooperierten, hat sich nicht Familienministerin Kristina Schröder von der CDU ausgedacht, sondern Innenminister Otto Schily von der SPD. Der sozialdemokratische Innenminister Reinhold Gall in dem von einem Grünen regierten Baden-Württemberg sah keinen Grund, sich von der schäbigen Diffamierung des »Schwurs von Buchenwald« durch eine Bedienstete des Landesamtes für Verfassungsschutz zu distanzieren, er tat die Beleidigung der KZ-Opfer als Privatmeinung ab. Wer die Untätigkeit staatlicher Organe im Fall der Mordserie des nationalsozialistischen Untergrunds bewerten und Vorkehrungen gegen eine Wiederholung durchsetzen will, darf die lange Geschichte der Verharmlosung rechtsextremistischer Umtriebe nicht außer acht lassen. Sie beginnt damit, daß der Verfassungsschutz vor fünfzig Jahren in seinem ersten Jahresbericht verkündete, der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik sei organisatorisch zersplittert und schwach, als politische Ideologie verworren, widersprüchlich und ohne Anziehungskraft. »Der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik Deutschland vereinsamt« schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 21. August 1962. Nach Ansicht der Verfassungsschutzämter werde dem Rechtsradikalismus eine Bedeutung beigemessen, die ihm nicht zukomme. Häufig seien irrige und mißverständliche Zahlen als kommunistische Hetze erkannt worden. Nach der Sündenbockmethode verfuhr auch die Düsseldorfer Polizei, nachdem am 17. Januar 1959 an der örtlichen Synagoge Hakenkreuze entdeckt worden waren. Als mutmaßlicher Täter wurde wenige Stunden danach ein junger Kommunist festgenommen, der später wegen erwiesener Unschuld auf freien Fuß gesetzt werden mußte. Die wahren Urheber konnten inzwischen entkommen. Zwanzig Jahre später – wieder einmal war im Zusammenhang mit antisemitischen Provokationen von einem Wiederaufleben des Rechtsradikalismus die Rede – machte der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß im konservativen Deutschland-Magazin (Heft 8/1979) den sowjetischen KGB oder andere kommunistische Geheimdienste für Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Friedhöfen verantwortlich. Was Strauß dem politischen Gegner im Osten andichtete – die Inszenierung von Skandalen zum eigenen Vorteil – praktizierte zur gleichen Zeit der deutsche Inlandsgeheimdienst mit größter Selbstverständlichkeit. Angehörige des Verfassungsschutzes zündeten 1978 einen Sprengsatz an der Außenmauer des Celler Gefängnisses mit dem Ziel, einem dort inhaftierten RAF-Terroristen den Eindruck eines Befreiungsversuchs durch Gesinnungsgenossen zu vermitteln, die als V-Leute in die Terror-Organisation eingeschleust werden sollten. Der Schwindel wurde erst viele Jahre später aufgedeckt. Wie lange es dauern wird, bis die Rolle des Verfassungsschutzes bei der Ermordung von Ausländern durch den Nationalsozialistischen Untergrund restlos geklärt sein wird, steht dahin. Dazu müßte ein neuer Untersuchungsausschuß des Bundestages eingesetzt werden. Nach Ansicht der Hinterbliebenen läßt der von Sebastian Edathy vorgelegte Bericht vieles im dunklen. Die Süddeutsche Zeitung vom 24./25. August 2013 stellte lapidar fest: »Was genau im Verfassungsschutz, dem BND und dem MAD vor sich geht, weiß niemand.« Conrad Taler: »Skandal ohne Ende. Deutscher Umgang mit dem Rechtsextremismus«, PapyRossa Verlag, 175 Seiten, 12,90 €
Erschienen in Ossietzky 19/2013 |
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