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Ob sie tatsächlich schon fertig ist? Ihr »Intendant«, heißt es, sei die Hamburger »Coverband« Boy Division, die »im Suff am Tresen« entstand und nun in der »Kanalphilharmonie« zeigt, »wie Hochkultur geht«. Nämlich: Sie setzt »Maßstäbe in Sachen Kleidung, Appropriation-Art und Live-Performance«. Doch bei jener etwas angejahrten Kunstform – die aus Funk und Fernsehen bekannte Bild-Kultursenatorin Dana Horáková wollte schon vor einem Jahrzehnt Jeff Koons nach Hamburg importieren – wird aus »appropriation« (ironische Aneignung) allzu oft »approbation« (hilflose Billigung). Das Niveau von Kampnagel sinkt seit seinen großen Anfängen beharrlich von Jahr zu Jahr. Aber auch in dieser Saison ist nicht alles so schlecht, wie es der neueste Leiter angekündigt hat. Ich machte den Versuch mit dem Eröffnungsstück des französischen Choreografen Olivier Dubois, dem letzten Teil seiner Trilogie »Revolution« mit dem Titel: »Tragédie« – 2012 beim Avignon-Festival uraufgeführt. »Parades«, die Einleitung, wirkt quälend lang. Acht männliche und acht weibliche Tänzer – fast ununterscheidbar in ihrer ätherischen Erscheinung – bewegen sich rituell über die Bühne, nichts als Laufen, Kehrtwendung, zurück. Ja, wenn sie wenigstens Transparente tragen würden, denke ich. Revolution? Der Choreograf habe sich an dem Chor der griechischen Tragödie orientiert – der antiken, nicht der heutigen. Eine Trommel begleitet das wie die Zeit ablaufende, minutiöse Schreiten. Die Akteure sind nackt – es wirkt nicht erotisch – sie tragen nur ihr Körperkleid. Manchmal heben sie die Hände vor die Augen. Um nicht sehen zu müssen oder – wie Kinder glauben – um nicht gesehen zu werden? Etwas hat sich eingeschlichen: ein Schnarrton. Ein defekter Lautsprecher oder Absicht? Es beginnt eine Veränderung. Einzelne entfernen sich aus der Gemeinschaft oder von der Ordnung weg. Es gibt Widerstand, der fast zum Chaos führt. Die Musik (François Caffenne) heizt den Ausbruch an, treibt die Tänzer über die Bühne. Einige stolpern, fallen übereinander, liegen wie tot am Boden. Zuggeräusche? Von der Seite fällt roter Lichtschein auf die Leiber. Einzelne Körperteile ragen heraus. Die Musik suggeriert: Hölle. Bilder von Hieronymus Bosch erscheinen im Kopf. Die Musik, nun brutal wie eine zermalmende Maschine – aber sie reißt mit. Paare nähern sich, finden nicht zueinander. Eine Massensuggestion oder Orgie ohne Berührungen. Dazu zerhackendes Stroboskop-Licht. Einige flippen aus, deuten zum Himmel. Religiöser Wahn? Aus diesem Höllenspektakel ziehen sich zum Schluß die Tänzer einzeln ganz leise, wie unschuldig, zurück hinter den Vorhang. Eine Revolution, die in einer »Tragédie« endet? »Dark Material«, eine Uraufführung, der Versuch, Bildende Kunst, Musik und Tanz zu verbinden. Die polnisch-deutsche Künstlerin Monika Grzymala, die gleichzeitig in der Kunsthalle eine Ausstellung hat, verwandelt die Bühne in ein schwarz-weißes Ambiente. Mit Klebeband, Luftschlangen, Licht und Schatten. Nicht ganz überzeugend. Ihre Installationen in der Kunsthalle kommen der »brutalen Zerbrechlichkeit«, die der Kampnagel-Performance (im Programmheft) zugeschrieben werden, viel näher. Die beiden Musiker der Band »XIU XIU« (Jamie Stewart und Shayna Dunkelman) begleiten mit wilden Rhythmen den stummen Ehekrach der beiden Tänzer (Maria F. Scaroni und Jeremy Wade), nur vom gelegentlichen Keuchen des männlichen Partners unterbrochen. Sogar mit Knieschützern wird gekämpft. Der Streit, in abstrusen Verrenkungen ausgefochten. Beim Nicht-Verstehen helfen auch die Töne der japanischen Mundorgel nicht weiter. Es geht manchmal laut zu, bei der Musik (Ohrschützer gab es). Schließlich lassen beide Kontrahenten riesige Peitschen mit schwarz-weißen Bändern kreisen. Dem Publikum werden am Ende lange weiße Mikadostäbe auf die Bühne geknallt. Fazit: Das »Dark Material« ist leider nur Material geblieben. Bei diesem Sommer-Festival steht eindeutig die Musik im Mittelpunkt. Yoko Ono, die Achtzigjährige, kam für einen Tag nach Hamburg – Nostalgie oder »Massenappeal« (András Siebold). Vom Teenie-Idol-Konzert einer japanischen Pop-Gruppe bis zur Pop-Oper für Barock-Ensemble. Diese Uraufführung steht auf meinem Programm. Der Titel: »You Us We All«, rätselhaft, wie so manches in dieser Inszenierung. Andrew Ondrejcak, vorgestellt als »Writer, Director, Designer« und Shara Worden, »Composer, Performer«, wirken zusammen mit der »Box-Baroque Orchestration X« und den fünf Stimmen, die Liebe (Martin Gerke), Tod (Bernhard Landauer), Zeit (Carlos Soto) und Hoffnung (Shara Worden) und Tugend (Helga Davis) darstellen. Merkwürdig, daß ausgerechnet Virtue, die wunderbare schwarzhäutige Tugend, bei einigen Rezensenten vergessen wurde. Im Programmheft fehlt sie auch. Alle Stimmen in großer Modulationsbreite. Der Tod – ein Counter-Tenor. Den zehn Musikern des Barock-Ensembles gelingt es, die Pop-Elemente einzufügen, als gehörten die schon immer dazu. Die traditionellen Rokoko-Kostüme fallen im Laufe des Abends, werden durch hautfarbene Unterwäsche ersetzt. Die Hoffnung trägt nun einen Keuschheitsgürtel statt Krinoline. Die Tugend, im schwarzen Badeanzug, aufreizend lasziv. Was die sechs rosa Kaninchen dann plötzlich auf der Bühne bedeuten sollen: Pop-Ikone oder Kindheitserinnerung? Ich finde es nicht heraus. Wie so manches nicht. Es wird englisch gesungen. Die angekündigten deutschen Übertitelungen fehlen. Warum tritt die Zeit so nackt auf, nur mit weißer Halskrause und Slip bekleidet? Und warum klappert sie mit der Geldbörse? War sie es, die irgendwann die Russische Revolution fallenließ, so nebenbei? Real, ich habe es notiert, nicht nur »somewhere inside«, was immer wiederholt wurde. Eine musikalisch gelungene Aufführung – nur leider etwas unverständlich.
Erschienen in Ossietzky 18/2013 |
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