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Das Problem bei der Post scheint das gleiche zu sein wie bei der Bahn, die auf dem Hauptbahnhof Mainz und anderen Bahnhöfen den Zugverkehr eingestellt hat: Es fehlt an Personal. Die Kanzler Kohl, Schröder und Merkel waren und sind sich einig: Die großen Staatsbetriebe sollen privatisiert werden. Damit sie den Börsianern attraktiv erscheinen, sollen erst einmal die Betriebskosten sinken: durch Personalabbau, der zwangsläufig zur Reduzierung des Leistungsangebots führt. Je weniger Bahnstrecken, je weniger Wartung der Lokomotiven und Gleisanlagen, je weniger Postämter, je weniger Briefkästen, je weniger Leerungstermine, desto geringer der Kostenaufwand. Und desto größer erscheinen die Profitmöglichkeiten. Der Postzusteller kommt nicht mehr morgens wie früher (schon gar nicht mehr sowohl am Morgen als auch am Mittag wie in meiner Kindheit), sondern erst nachmittags. In vielen Büros können Briefe deswegen frühestens am nächsten Tag bearbeitet und beantwortet werden. Wenn er mich nicht antrifft und ein Päckchen nicht in den Briefkasten paßt, hinterläßt er die Nachricht, die Sendung werde im nächsten Postamt gelagert. Das nächste Postamt hier in Berlin-Mitte ist fast zwei Kilometer entfernt. Am Samstag schließt es schon um zwölf Uhr. Klar: Je größer die Zustellungs- und die Postamtsbezirke, je kürzer die Öffnungszeiten, desto weniger Personal braucht die Post, und desto höheren Profit wirft sie ab. Zwar bietet jetzt ein Papierwarenladen in der Nähe Postdienstleistungen an, aber nicht alle, die ich brauche. Ach, diese unnützen Wege, diese verlorene Zeit! Ein hochentwickeltes Land entwickelt sich zurück. Oder verhält es sich genau umgekehrt? Erleben wir nicht eine schnelle Modernisierung, die dazu geführt hat, daß wir nicht mehr mühsam Briefe kuvertieren, frankieren und zum Briefkasten bringen müssen, sondern zu jeder Tages- und Nachtzeit mailen können? Befragen wir die eigenen Erfahrungen. Neulich versagte die elektronische Kommunikationsanlage, die die Telekom bei mir installiert hat. Ich konnte nicht telefonieren, nicht faxen, hatte keinen Zugang zum Internet, konnte E-Mails weder senden noch empfangen, und der Bildschirm des Fernsehapparats blieb schwarz. Dieser Totalausfall ereignete sich am Sonntagabend. Am Montagmorgen erreichte ich über das Handy einer freundlichen Nachbarin den Kundendienst der Telekom (pardon, er heißt nicht mehr Dienst, sondern Service oder Hotline). Der Sachbearbeiter prüfte von seinem Arbeitsplatz aus die Leitungen und stellte fest, daß ein Techniker zu mir kommen müsse, um den Defekt zu beheben. Am Dienstag zwischen 17 und 20 Uhr werde der Techniker kommen. Ein schnellerer Service sei nicht möglich: Personalmangel. Ich blieb also zwei Tage unerreichbar. Am Dienstag zwischen 17 und 20 Uhr kam niemand von der Telekom. Um 20.30 Uhr rief ich abermals per Handy dort an. Ein Sachbearbeiter bestätigte, daß in der angegebenen Zeit ein Techniker hätte kommen sollen. Den Grund, warum der Techniker ausgeblieben war, kenne er nicht. Die zuständige Dispositionsabteilung sei um diese Tageszeit nicht mehr besetzt, deswegen schlage er mir vor, entweder mit ihm einen neuen Termin zu vereinbaren, und zwar am Freitag, einen früheren gebe es nicht, oder am morgigen Dienstag früh wieder anzurufen. Ich versuchte letzteres. Ein Automat bat mich, auf einen Sachbearbeiter zu warten, was 20 Minuten dauern könne. Wütend beendete ich die Verbindung, bedauerte das aber sofort – schließlich bin ich auf die elektronischen Verbindungen angewiesen. Ich wählte also nochmals die Nummer der Hotline und hörte wieder die Ansage, daß es 20 Minuten dauern könne, bis ein Sachbearbeiter frei werde. Es folgte Musik, die aber nach einigen Minuten von der Ansage unterbrochen wurde, die Hotline sei überlastet, ich möge später wieder anrufen. Irgendwann am Mittwoch funktionierte die Anlage wieder, ohne daß ein Techniker gekommen wäre. Und am folgenden Wochenende hörte ich vom Anrufbeantworter die Mitteilung, die Telekom freue sich, mir geholfen zu haben. Aber da trat schon eine neue Störung auf: Ich kann der verantwortlichen Ossietzky-Redakteurin keine E-Mails mehr zuleiten, auf dem Bildschirm des Computers lese ich, ein Server habe meine Sendungen als »spam« (Unrat, Müll) abgewiesen. Wieviel Zeit mich das wieder kostet! Rationalisierung und Automatisierung sollen – so ward uns verheißen – unser Leben erleichtern. Ich sehe immer wieder Beispiele für das Gegenteil. Nehmen wir eins aus dem Berliner U-Bahn-Verkehr: Ich gehe die Treppe hinunter auf den Bahnsteig und will eine Fahrkarte kaufen. Der Automat teilt mir mit, daß sie jetzt nicht mehr 2,40, sondern 2,60 Euro kostet (also fast so viel wie ein Ossietzky-Heft; Tucholsky hatte einst geworben, Die Weltbühne koste nicht mehr als zwei Fahrscheine). Ich lege einen Geldschein ein, der Automat nimmt ihn nicht an – ohne eine Erklärung zu geben. Das wiederholt sich. Der Automat am anderen Ende des Bahnsteigs verhält sich genauso. Ich zähle die Münzen in meinem Portemonnaie, zumeist Fünf-Cent-Münzen. Sie reichen aus: genau 2,60 Euro. Ich werfe sie ein, aber es kommt kein Fahrschein; das Geld bleibt drin. Inzwischen habe ich einen Zug versäumt. Ohne Fahrschein steige ich in den nächsten. Während der Fahrt habe ich keine Laune zum Lesen, ängstlich sehe ich mich um, ob ein Kontrolleur kommt. Gewiß, ich könnte ihm meine Lage erklären, aber ich stände von vornherein als ertappter Sünder da, müßte den Zug verlassen, würde noch mehr Zeit verlieren. Wieviel kundenfreundlicher war doch die Bahn vor Jahren, als man auf dem Weg zum Bahnsteig einen Schalter passierte, an dem man um den Fahrschein bat. Man bekam ihn innerhalb von drei Sekunden; mußte ein Geldschein gewechselt werden, dauerte alles höchstens zehn Sekunden. Wo ist da der Fortschritt? Der Verkehrsbetrieb konnte Personal abbauen, die Arbeitslosigkeit nahm zu. Ich kann darin keinen Fortschritt erkennen. Sehen wir uns noch etwas weiter um. Eine Mitte August veröffentlichte Studie über den Zustand der stationären Alten- und Krankenpflege zeigt viele schwere Mängel. Es fehlt an Personal, weil die Pflege-Unternehmer nicht genug ausbilden und einstellen, schon gar nicht zu menschenwürdigen Bedingungen. Die überlasteten Helfer behelfen sich unter anderem in der Weise, daß sie Hilfsbedürftige am Bett festschnallen oder mit pharmazeutischen Mitteln ruhigstellen. In der öffentlichen Debatte wird nicht thematisiert, welchen Profit die Unternehmer aus solcher – teuer bezahlter – Billigpflege ziehen. Die Sommerferien gehen zu Ende. Das Fernsehmagazin Panorama bringt eine realistische Reportage über Lehrerinnen und Lehrer, die unter den Schülerinnen und vor allem unter den Schülern leiden. Nicht thematisiert wird die Größe der Klassen. Eine Lehrerin, die 20 oder sogar 25 Kinder nicht nur beaufsichtigen, ruhighalten und abfragen, sondern jedem einzelnen Kind Zuwendung erweisen und Verständnis sowohl für seine Stärken als auch für seine Schwächen zeigen soll, ist damit auf Dauer überfordert – vor allem in Stadtbezirken, wo viele Kinder durch Unterdrückung, Krieg, Flucht, Verlust von Angehörigen, Armut und neue Ausgrenzung vorbelastet sind. Kein Wunder, wenn eine Lehrerin, die unter solchen Bedingungen kaum Erfolge erlebt, gegen den Streß Tabletten schluckt – wie viele Beschäftigte in vielen anderen Berufen. Eben höre ich: In einer Schule in meiner Nähe sind 34 Kinder in eine Klasse gepfercht. Je größer die Klassen, desto weniger Lehrer braucht man. Betriebswirtschaftlich gesehen ist das gut so. Personalabbau auch in den Medien. Obwohl die Verlage im vergangenen Jahr weit überdurchschnittliche Renditen abgeworfen haben, behaupten sie: Es muß »gespart« werden. Sie verkleinern Redaktionen und bürden den verbleibenden Redakteuren noch zusätzliche Arbeit im Internet auf oder legen Redaktionen zusammen, zum Beispiel Springers Bild und BZ in Berlin. Die Funke-Gruppe in Essen (ihre Westdeutsche Allgemeine Zeitung ist nach Bild die auflagenstärkste Zeitung in Deutschland) führt seit einigen Monaten das Kunststück vor, eins ihrer Blätter, die Westfälische Rundschau, weitererscheinen zu lassen, obwohl sie die ganze Redaktion auf die Straße gesetzt hat. Eigene Reporter und Korrespondenten sind den Verlagen zu teuer, Recherche findet kaum statt. Das Publikum wird schwerlich merken, wie es desinformiert wird. Apropos: In Griechenland soll der öffentliche Rundfunk mehr als die Hälfte seiner Beschäftigten entlassen, weil die Europäische Union Kostenabbau fordert. Wohin wir auch sehen: Beschäftigte gelten als Kostenfaktoren, derer man sich entledigen muß. Tendenziell sollen alle überflüssig werden. Daß auch Massenarbeitslosigkeit viel Geld kostet, wird nicht thematisiert. Viel Geld zum Beispiel für die Finanzierung des Gesundheitswesens: Gestreßte Beschäftigte wie auch gedemütigte Arbeitslose werden früher, öfter, schwerer krank. Im Nah- und Fernverkehr, in der Post- und Telekommunikation, in der Pflege, in der Schule, in den Medien, in Kultur und Umweltschutz, überall gibt es viel zu tun. Arbeit ist genug für alle da, auch, worauf es hier ankommt, bezahlte Arbeit – vor allem wenn die gesetzliche und tarifliche Höchstarbeitszeit auf 30, besser auf 28 Stunden reduziert wird. Geld zur Bezahlung ist ebenfalls genug da, erst recht wenn allen Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen ermöglicht wird, zur gesellschaftlichen Wertschöpfung beizutragen. Massenarbeitslosigkeit ist Verschwendung gesellschaftlichen Reichtums. Damit ein hochentwickeltes Land und nicht nur dieses sich nicht zurückentwickelt, damit es nicht erstarrt wie der Mainzer Hauptbahnhof, müssen wir endlich den Kampf gegen die – von Neoliberalen gewollte, dem Kapital zur Lohndrückerei dienende, amtlich feige heruntergerechnete – Massenarbeitslosigkeit aufnehmen. Wer trägt dazu bei, den 1. Mai 2014 als internationalen Kampftag für Vollbeschäftigung vorzubereiten? Wer trifft sich mit anderen in örtlichen Vorbereitungsgruppen? Wo und wann finden Veranstaltungen mit Heinz Josef Bontrup und Mohssen Massarrat, den Verfassern des Manifests für Vollbeschäftigung (Ossietzky-Sonderdruck, Mai 2011) statt? Wie können wir die Diskussion vorantreiben?
Erschienen in Ossietzky 18/2013 |
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