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Vor dem Haus lungern Jugendliche fremdländischer Herkunft herum, Abfall türmt sich, der Fahrstuhl funktioniert nicht mehr, auf dem Markt streiten sich alte Menschen – darunter Paulette – um Abfallobst und -gemüse, das zum Abtransport aufgestapelt ist. Das Leben ist trostlos und einsam. Wenn die Tochter den Enkel bringt, ist Paulette ungnädig, denn sie lehnt dessen schwarzen Vater ab. Die Handlung ist unterlegt mit einer Fotocollage aus Paulettes Biographie, man sieht sie auf ihrem Hochzeitsfoto, dann Gäste bewirten, auch als Familienmutter. Einst war sie stolze Inhaberin eines Restaurants, bis sie es an einen Chinesen abgeben mußte. Ihr früher junges, fröhliches, unbeschwertes Gesicht hat heute den Ausdruck chronischer Wut angenommen. Eines Tages beobachtet Paulette, wie Jugendliche auf der Straße Geschäfte machen. Sie erfährt, daß es sich dabei um »Haschisch« handelt und man damit enorm viel Geld machen kann. Eine moderne Vision der »unwürdigen Greisin« beginnt. Paulette entwickelt Geschäftssinn, steigt ins Haschischgeschäft ein und hat Erfolg. Ihre Verkaufskünste lassen den Boß aufmerksam werden, daraus ergeben sich Probleme. Paulette findet außergewöhnliche Lösungen. Ich war skeptisch, argwöhnte Klischeehaftes, aber der Film überrascht. Die Geschichte hat es in sich, ist aussagestark: Armut zerstört, indem sie dem Menschen Hoffnung und Würde nimmt. Schon sprechen Soziologen wieder von Pauperismus, wie Ende des 19. Jahrhunderts oder zu Dickens Zeiten. Eine ganze Generation von Wegbereitern aufgeklärterer Lebensformen findet sich wieder als Abfallsammelnde, Mülleimerdurchwühlende – gedemütigt, klein gemacht, im Abseits. Und da die Gesellschaft diesen Menschen nichts mehr gönnt, sind auch sie geizig und mißmutig geworden. Doch der Film macht Mut, Auswege zu finden. Das ist in diesem Fall nichts eindeutig Klassenkämpferisches, aber unkonventionell. Moderne Klassenwidersprüche werden sichtbar. Die ehemaligen Randgruppen haben sich soziologisch verbreitert, diejenigen, die profitieren, haben sich zahlenmäßig ausgedünnt, kassieren aber zehn- bis tausendfach. JackieEbenfalls etwas über ungewöhnliche Lösungen und Altersarmut: Jackie – ein Roadmovie (mit wunderschönen USA-Land&Leute-Blicken und einer tollen Hauptdarstellerin). Erwachsene Zwillingsschwestern, die bei zwei schwulen Männern in Holland aufgewachsen sind, treffen ihre leibliche Mutter, die sie einst für die Männer ausgetragen hat und die nun arm und krank in den USA keine anderen Verwandten mehr hat als sie. Die Schwestern sollen die Mutter zu einer Reha-Einrichtung fahren. Das Gefährt, mit dem das geschehen soll, ist ein alter Campingbus, in dem die leicht verwahrloste Mutter lebt. Während der Fahrt stellt sich die Mutter als ziemlich lebenstüchtig heraus, und die Töchter befreien sich Schritt für Schritt von ihren Zwängen. Der Zuschauer wird noch von anderem befreit, nämlich von bestimmten sich im Laufe des Films einstellenden Vorstellungen. Überraschung am Ende. Die mit dem Bauch tanzenDie mit dem Bauch tanzen: Eine junge Frau besucht ihre Mutter, um etwas über das Altern zu erfahren, und kommt zu dem Schluß, daß sie selbst sich älter als ihre Mutter fühlt. Ein leichter Film mit einigen unnötigen Längen, der aber auf ein großartiges Finale zusteuert. Soziale Probleme hat hier irgendwie keiner, alles ist fröhlich, lebenstüchtig, auch bescheiden-wohlhabend und, was das Alter und die Frauen angeht, ermutigend. Offenbar hat sich die mittelwestliche Müttergeneration der 1980er Jahre nach der Familienphase gefangen und an die emanzipativen Elemente ihrer Jugend angeknüpft, das wird deutlich. Im Mittelpunkt steht das Gegensteuern gegen das Vorurteil, daß Frauen ab dem 50sten Lebensjahr nicht mehr erotisch attraktiv, lebenslustig und beziehungsfähig wären. Hier entdecken die Frauen ihren Körper und präsentieren ihn auf eine eigene, von Männern unabhängige, sich nicht mehr ihnen unterordnende Weise. Es handelt sich um Bauchtanz und wie man mit seiner Hilfe sich selbst wieder Kraft gibt. Die Bauchtanzszenen sind gelungen und kulminieren in einer abenteuerlichen Fahrt nach Paris. Das hört sich unbedeutend an, aber wer die Schlußszene gesehen hat, wie es der Truppe gelingt, die Bevölkerung einzubeziehen, wie es ihr gelingt, Freude zu verbreiten und Überschwang, wie alle plötzlich mittanzen und mittun, das hat etwas Großes. Wer diese Mitfünfzigerinnen sieht, braucht keine Angst vor dem Altern zu haben. Warum unsere Jugend aber derart durch ihr von Technik diktiertes Leben rast und soviel Angst vor der Zukunft hat, das wird hier nicht diskutiert. Das wird sich sicher auch nicht allein durch Bauchtanz verändern lassen, doch ein kleiner Blick auf selbstbefreiende Kräfte hat immer etwas Heilsames.
Erschienen in Ossietzky 17/2013 |
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