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Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras ist stolz auf die Privatisierungserfolge im Hafen von Piräus; die chinesische Großreederei COSCO, eine der weltweit führenden in der Branche, hat dort bereits einen Teil des Containergeschäfts auf lange Frist gepachtet und soll nun als Miteigentümer in die staatliche Hafenbetriebsgesellschaft OLP einsteigen. Was diese »Reform« für die Arbeiter im Hafen bedeutet, darüber schickte die Journalistin Evrydike Bersi (sie war beteiligt am Besuch griechischer GewerkschafterInnen in der Bundesrepublik) Material an Ossietzky, ihr Kollege Leonidas Vatikiotis hat im Piräus Interviews gemacht. »Moderne Sklaverei« – damit bezeichnet ein Hafenarbeiter seine Erfahrungen: Geschuftet wird nun bei COSCO ohne Tarifvertrag und gewerkschaftliche Vertretung, zum Niedriglohn, ohne Kündigungsschutz, bei Arbeitszeiten auf Abruf, unter Mißachtung von Arbeitsschutzbestimmungen. Und diese Arbeitsverhältnisse sind arrangiert durch eine besonders moderne Beschäftigungsform: COSCO beauftragt einen Subunternehmer und dieser wiederum einige Subsubunternehmer, Malocher leihweise zur Verfügung zu stellen. Und so ist der »Arbeitgeber« am Ende gar nicht mehr dingfest zu machen. Die hohe Arbeitslosigkeit macht es möglich – dem Arbeitsuchenden bleibt nichts anderes übrig, als sich blind zu verkaufen. Und die Gewerbeaufsicht steht hilflos daneben, solcherart Modernisierung muß sein, die Gebote des Finanzmarktes stehen über allen sozialen Rechten. Heute im Piräus – und morgen? Peter Söhren Unter FreundenWas so ein Whistleblower anrichten kann: Da muß die deutsche CDU-Kanzlerin so tun, als habe sie mit dem US-amerikanischen Präsidenten ein bißchen geschimpft; ein CSU-Bundesminister muß nach Washington reisen, um sich Ratschläge zu holen, wie man den Unmut über die Megaschnüffelei dämpfen kann; der Bundesnachrichtendienst muß sich als unzureichend informiert darstellen. Und weil Wahlkampfzeit ist, müssen freidemokratische, sozialdemokratische und grüne Spitzenpolitiker sich als unangenehm überrascht von den schlechten Gewohnheiten auswärtiger Nachrichtendienste geben und als wackere Verfechter informationeller Selbstbestimmung auftreten. Um nur den Kanzlerkandidaten der SPD anzuführen: Der ist nun in die Lage gebracht, als etwas trottelig zu erscheinen; immerhin war er doch dabei, als bei den Bilderbergern im Juni 2011 in St. Moritz vertraulich über »Nationale Sicherheit im digitalen Zeitalter« gesprochen wurde, der NSA-Chef nahm an der Konferenz teil. Leicht hatte es der Bundespräsident. Er weiß ja nichts von den Schnüffelrechten der Freunde aus den USA und Großbritannien schon in der Altbundesrepublik, ihm fällt immer nur die Stasi ein, und so konnte er dem Volk Trost geben: Von den NATO-Partnern sei Schlimmes nicht zu befürchten, anders als das Ministerium für Staatssicherheit seien sie doch nicht darauf aus, dicke Aktenbände anzulegen. So sind nun unsere Obrigkeiten, rollenteilig die regierenden und die regierungsfähigen, intensiv darum bemüht, die »Atlantik-Brücke« nicht durch zu viel politisches Getrampel zu belasten. Der Unmut beim Publikum braucht sein Ventil, aber die geheimen Dienste dürfen nicht darunter leiden, nicht wirklich. Schließlich geht es um den Zusammenhalt der westlichen Verwertungsgemeinschaft, »Mastering the Internet« und »Global Telecom Exploitation« heißen ganz zutreffend die NSA-Programme. Daß der deutsche Geheimdienst aufgerüstet werden muß, um besser mithalten zu können, versteht sich für CDU/CSU- wie für SPD-Politiker. Mehr Geld für mehr Überwachung müsse der Bundesnachrichtendienst bekommen, äußerte der sozialdemokratische Experte, der Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann. Da werden, wenn erst das Wahlkampfgetöse vorbei ist, auch die Grünen mittun. A. K. Wer ist eigentlich der Staat?fragt Daniela Dahn in ihrem neuen, überaus lesenswerten und glänzend formulierten Buch, und sie stellt die These auf, daß es heute nicht mehr ausreicht, eine Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat zu postulieren, sondern daß eine Zeit der Selbstermächtigung unweigerlich anbrechen müsse, da sonst die weltweiten Konflikte niemals zu lösen sein werden. Nach einer scharfen Hinterfragung der Staatsmacht als juristische Person, die ausübt, besitzt, ausschließt, enteignet und Geld verwaltet, kommt die Autorin zu einem neueren und besseren Verständnis von Demokratie und beschreibt diese im Gegensatz zum herrschenden Parlamentarismus, der eine Lobbyistenzentrale der Finanzwirtschaft ist. Ausgehend von ihren Erfahrungen 1989, im kurzen Herbst der runden Tische, wo ein anregender »Beteiligungsfrühling« geherrscht habe, durchleuchtet und entlarvt Daniela Dahn, was für ein künstliches und seltsames Gebilde unser Staat ist, der seinen eigenen Postulaten nicht genügt, und belegt an zahlreichen Beispielen, daß er als repräsentative Demokratie am Ende sei, da er nur noch das Eigentum der Reichsten verwalte und alles nach deren Interessen ausrichte. Wie er das anstellt und wie wir ihn uns aber auch wieder »zurückholen« können beziehungsweise die verlorene Macht in ihm, da wir als Bevölkerung eigentlich das Sagen haben sollten, das erläutert sie gekonnt, juristisch und politisch-historisch klug. Mit ihren Formulierungen trifft Daniela Dahn den Nerv: »Ausgegangen ist die Macht vom Volk und nie zurückgekehrt. Auch bei den Abgeordneten hat sie nur einen Zwischenstopp gemacht. 80 Prozent von ihnen fühlen sich inzwischen ohnmächtig.« – »In Europa ist die Kluft zwischen arm und reich inzwischen so groß wie vor der französischen Revolution.« – »Es regieren die Regierenden nicht mehr, repräsentieren die Repräsentanten nicht mehr und vollziehen die Vollziehenden nicht mehr. Gesetze werden in privaten Anwaltskanzleien entworfen, deren Großkunden gleichzeitig Banken sind, die lassen dann praktischerweise durchblicken, welche Gesetze ihnen genehm sind.« – »Die Parlamente haben Macht an die Regierung abgegeben, die hat die Macht an die EU, diese an die Weltbank, alle haben Macht an die Profitwirtschaft abgegeben.« Doch Daniela Dahn ist auch zuversichtlich: Denn die heute unvollkommenen Demokratien seien dabei, neue Demokraten »auszuwerfen«, man könne das in allen Ländern sehen, diese Menschen sind unduldsamer und selbstbewußter als früher, sie verlangen echte Teilhabe an der Macht und eine freiheitliche, demokratische Grundordnung, die ihnen der Staat längst nicht mehr garantiert. Der Staat selbst ist Teil des Problems. Er bedarf einer Veränderung. Parlamentarismus hat sich überlebt, neue Formen der Bürgerbeteiligung müssen entwickelt und durchgesetzt werden, das muß gesetzlich neu verankert werden. Die Staatsgewalt muß zu ihren Bürgern zurückgebracht werden, mittels Gesetzen. Anja Röhl Daniela Dahn: »Wir sind der Staat! Warum Volk sein nicht genügt«, Rowohlt Verlag, 174 Seiten, 16,95 € Wut über verlorene GroschenNein, das Brecht-Zitat aus der »Dreigroschenoper« – Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? – fällt nicht. Aber durch das ganze Stück zieht sich wie ein geheimes Leitmotiv Peachums Räsonieren über die unsicheren menschlichen Verhältnisse, die »nicht so sind«. Das haben drei Rentner am eigenen Leibe, besser: an der eigenen Brieftasche, erfahren müssen. Sie haben, wie so viele andere Gut- oder Leichtgläubige in Deutschland und anderswo, ihrem Anlageberater vertraut und die gesamten Ersparnisse verloren. Doch damit wollen sich die noch rüstigen Herren nicht abfinden. Sie wollen ungemütlich werden, denn bekanntermaßen hört in Geldsachen die Gemütlichkeit auf. In einer Waldhütte schmieden sie bei Bier und Korn einen finsteren Racheplan: keinen Einbruch in die betreffende Bank, sondern die Gefangennahme des Anlageberaters, um die verlorenen Groschen, die doch irgendwo noch sein müssen, zurückzuerpressen. »Die Geiselnahme« heißt konsequenterweise das Theaterstück von Hans Scheibner. Es entstand 2012 unter dem Eindruck der Bankenskandale und Finanzkrise und hatte unter der Regie von Hanns Christian Müller mit Tim Grobe, Alexandra Kamp und Klaus Peeck in den Hauptrollen am 30. Juni in den traditionsreichen und renommierten Hamburger Kammerspielen seine Uraufführung. Dieses geschichtsträchtige, 1863 erbaute Haus, einst Sitz der jüdischen Freimaurerloge und dann Zentrum der jüdischen Gemeinde im Stadtteil Hamburg-Rotherbaum, war 1941 nach der Liquidierung des Jüdischen Kulturbundes durch die Nazis an die Stadt Hamburg zwangsweise verkauft worden. Zur Sammelstelle umfunktioniert, wurden am 11. Juli 1942 von hier aus 375 Juden nach Auschwitz deportiert. Ida Ehre hatte als Jüdin die Inhaftierung im KZ Hamburg-Fuhlsbüttel überlebt. Die 1989 in Hamburg gestorbene österreichisch-deutsche Schauspielerin, Regisseurin und Theaterleiterin wollte in diesem Haus Theater machen, dort »menschliche Probleme und Probleme der Welt« vorführen. Die Wiedereröffnung der Hamburger Kammerspiele stand in Hamburg für den Neuanfang und für die Idee eines »Theaters der Menschlichkeit und Toleranz«. Wolfgang Borcherts Drama »Draußen vor der Tür« hatte hier am 21. November 1947 seine Uraufführung. Auf diese Bretter also brachte Hans Scheibner seine »bissige Komödie«, die, wie es in der Theaterankündigung heißt, »nicht nur Kritik an unserem heutigen Bankwesen übt, sondern auch an den Kunden«. Der Satiriker, Kabarettist und Liedermacher Scheibner – hier stimmt es einmal: seit gut 60 Jahren bekannt durch Presse, Film, Funk und Fernsehen sowie unzählige Bühnenauftritte – ist nun kein großer Anhänger des Floretts. Er holt als alter Haudegen auch schon mal den Säbel raus, und nichts Menschliches ist ihm fremd. Der wenige Kilometer entfernten Reeperbahn – oder der korrumpierenden, kapitalistischen Unmoral? – ist wohl auch der zweite Handlungsstrang geschuldet: Nicht nur die drei Rentner, sondern auch ein Zuhälter hat das sauer oder liebevoll von seiner Hure verdiente Geld durch den Anlageberater verloren und ist nun bereit, »über Leichen zu gehen«. Wie das alles sich aufdröselt und am Ende sogar die Bühne paradigmatisch wie ein kapitalistisches Kartenhaus in sich zusammenfällt, das bringt das Ensemble mit so viel Witz und Spielfreude auf die Bretter, daß das Premierenpublikum diese Burleske mit anhaltendem Beifall belohnte. Klaus Nilius Berlin – Wladiwostok per RadObwohl schon in Rußland angekommen, stehe ich noch unter dem Eindruck der Ukraine: Sie lebt von der Erinnerung an ihre Helden und gewonnenen Schlachten, von der Betonung der nationalen Eigenständigkeit und der neu gewonnenen Religiosität. Mit den frisch gestrichenen Häusern, Zäunen und Trottoirkanten wird notdürftig Marodes verdeckt. Das Land schreit nach innerer Erneuerung und Investitionen. Ganze Familien beackern mit der Hand fleißig die fruchtbare Erde. Die Kirchen sind eine Augenweide, der Andrang vor ihnen groß. Das seit der »orangenen« Revolution angefachte Nationalbewußtsein erscheint mir formelhaft erstarrt: Auf überdimensionalen Plakaten wirbt Präsident Viktor Janukowitsch »für unsere Ukraine«, während im Hintergrund Geschäfte verfallen; bisherige Straßennamen fallen einem Um-benennungswahn zum Opfer. So habe ich Freunde in Irpen nur nach längerer Suche gefunden, sie selbst wußten noch nicht mal, daß ihre Straße nicht mehr »Sowjetskaja« heißt. Umso größer ist meine Hochachtung für die Menschen hier, die nicht nur tapfer das entbehrungsreiche Leben ertragen, sondern darüber hinaus die Ideale eines zivilisierten Mitteleuropäers hochhalten, wenn sie mir stolz die schönen Plätze ihrer Stadt zeigen oder den wohlerzogenen 27jährigen Sohn dazu anhalten, mir alles Wissenswerte über Tschernigow mitzuteilen. Wie wenig gegen ihre Gastfreundschaft und Aufopferungsbereitschaft kann der von mir anschließend vorgeschlagene Kaffeehausbesuch dagegen aufwiegen. In Rußland ist alles ein bißchen größer, weniger zugekleistert, legerer. Das Land hat ein eigenes Selbstbewußtsein, das es scheinbar nicht nur aus seiner Größe zieht. In Starodub, der Stadt der guten Menschen, wie sie sich selbst nennt, erkannten mich Grenzer wieder und baten mich einen Moment zu warten. Kurz darauf erschien eine Lokalreporterin, um Material für die örtliche Zeitung zusammenzustellen. Zuvor hatten mir russische Monteure in ihrer Werkstatt ohne zu zögern kostenlos Hilfe geleistet und mich das gute Brjansker Bier verkosten lassen. Das war ein Empfang! Mit neuen Kräften versorgt, rollte ich gegen den Wind und kämpfte mich in zwei Etappen bis Brjansk vor, der ersten russischen Großstadt. Dort erwarteten mich wieder Freunde Nadjas (ukrainische Schülermutter aus Berlin). Anatoli, eine Seele von Mensch, und seine Frau Walja zeigten mir die durch den Weltkrieg ihrer traditionellen Bauten beraubte Stadt. Als ich fragte, wie sie einem Deutschen nach dem Geschehenen so viel Aufmerksamkeit entgegenbringen könnten, winkte Toli mit den Worten »das war früher« nur ab. Den Tag des Sieges (9. Mai), der im ganzen Land gefeiert wird, verbrachte ich auf katastrophalen russischen Nebenstraßen. Verständlich, daß ich an einer einladenden Versorgungsoase mit Wasseranbindung (See) ausscherte. Nach dem belebenden Bad saß ich mit meinem Essen allein am Tisch, aber nicht lange. Eine Gruppe fröhlich Alkoholisierter lud mich zu sich, so daß ich nach drei Stunden leicht benebelt, doch angeregt wieder aufs Fahrrad stieg. 150 Kilometer vor Moskau wurden die Straßen gut. Vorher war ich durch das Herausspringen meiner vorderen Gepäcktaschen, die für solche »groben« Straßen einfach nicht gemacht sind, vom zügigen Fahren immer wieder abgehalten worden. Um mit den Worten eines ansässigen Armeniers zu kokettieren: Es herrscht »Bardak« auf den Straßen, was soviel wie Unordnung bedeutet. In Moskau einzurollen ist ein überwältigendes Erlebnis. Hinter vielstöckigen Häusern türmen sich gigantische Neubauten; alles ist großzügig angelegt. Der Leninskij Prospekt erstreckt sich über viele Kilometer, flankiert von riesigen Geschäften. Die mir von Anatoli ausgedruckte Adresse weiterer Freunde finde ich auf Anhieb. Ich bin glücklich, die Hauptstadt des Riesenreiches erreicht zu haben. Uwe Meißner Erfahrungen mit MajakowskiMir gefällt es, wenn Autoren mir als Subjekte entgegentreten: wenn sie »ich« sagen. Leonhard Kossuths dickes Buch über Majakowski schildert Kossuths Beschäftigung mit Majakowski. Der heute 89jährige – der in den letzten Jahren wegen dieser Arbeit seltener Zeit fand, für Ossietzky zu schreiben – berichtet unter anderem darüber, daß er in den 1950er Jahren mit einer Dissertation über Majakowski den Doktorhut erlangen wollte. Einige Teile waren schon zu Papier gebracht, als seine Ehefrau Charlotte Kossuth in der DDR unter falschem Verdacht verhaftet und 20 Monate in Haft gehalten wurde. Da stellten sich andere Aufgaben als die Promotion. Aber Leonhard Kossuth bewahrte, nachdem ihm der Doktorhut gleichsam vom Kopfe geflogen war, sorgfältig alles Material auf, das er zusammengetragen hatte. Und jetzt präsentiert er es uns, unter anderem Korrespondenz mit Johannes R. Becher, Stephan Hermlin, Wieland Herzfelde, Erwin Piscator und F. C. Weiskopf, auch Erläuterungen zu seiner 1966 bis 1973 in der DDR erschienenen fünfbändigen Majakowski-Ausgabe und mehr als 100 Seiten bibliographische Angaben (die leider 1971 abbrechen). Kossuths Hauptthema war und blieb die Majakowski-Rezeption in Deutschland. Welche deutschsprachigen Schriftsteller hatten persönliche Kontakte zu Majakowski? Wer versuchte sich an Majakowski-Übersetzungen? Mit welchen Ergebnissen? Neben einem mosaikartigen Majakowski-Bild entsteht so auch ein Ruhmesblatt für den Österreicher Hugo Huppert, jahrzehntelang Mitarbeiter der Weltbühne und ein kongenialer Majakowski-Übersetzer. Und wieder packt mich die Wut über die dreisten DDR-Abwickler, die unschätzbare kulturelle Werte und Traditionen vernichtet haben, zum Beispiel durch Schließung der Weltbühne wie auch des Verlags Volk und Welt, in dem Leonhard Kossuth und andere vorzügliche Lektoren deutschen Lesern die Literaturen Mittel- und Osteuropas und Nordasiens erschlossen hatten. Mir ist unvergeßlich, wie ein Schulfreund, der in der Adenauer-Zeit an unserem katholisch geprägten Humanistischen Gymnasium nicht lange geduldet wurde, mir die von Hugo Huppert übersetzten Majakowski-Bändchen »Wolke in Hosen«, »Die Wirbelsäulenflöte« und »150.000.000« auslieh, die er sich selbst bei jemandem, dessen Name ungenannt bleiben sollte, ausgeliehen hatte. Welche revolutionäre Kraft steckte in diesen Versen! Majakowskis Pathos war mir fremd. Aber die Frechheit gegenüber allen Autoritäten der Welt war eine wunderbare Herausforderung und Ermunterung. E. S. Leonhard Kossuth: »Der Hut flog mir vom Kopfe«, Nora Verlag Berlin, 664 Seiten, 39 € Ehrungen im SchloßBereits zum zehnten Male wurde der Brandenburgische Kunstpreis in den Kategorien Malerei, Grafik und (Klein-)Plastik verliehen. Das haben sich die Märkische Oderzeitung und die Stiftung Schloß Neuhardenberg unter der Schirmherrschaft des Brandenburgischen Ministerpräsidenten zur Aufgabe gemacht. Den Part des erkrankten Matthias Platzeck übernahm bei der Preisverleihung Ende Juni die Kulturministerin Sabine Kunst. Einen Ehrenpreis für sein »herausragendes künstlerisches Lebenswerk« erhielt der Maler und Grafiker Ronald Paris, der vor überfülltem Saal die Ehrung sichtlich gerührt entgegennahm. In seiner Dankesrede betonte er, er sei kein Wendehals und könne nicht verraten, was er als Ideal ansah. Bekannt sind unter anderem viele seiner in der DDR entstandenen Wandbilder (zu Paris s. a. Ossietzky 5/13). Bis zum 28. August läuft übrigens in der Galerie »Packschuppen« in Glashütte/Baruth eine faszinierende Ausstellung mit Collagen von Roland Paris (geöffnet dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr). Dieses Museumsdorf ist eine echte Entdeckung. Zu den Ausgezeichneten der Märkischen Oderzeitung gehörte Helge Leiberg, ein Schüler Gerhard Kettners, der sich vielseitig der Literatur, Musik und Bildhauerei zugewandt hat. Der Bildhauer und Preisträger Knuth Seim bekannte sich dazu, daß man eine Plastik begreifen und spüren muß, daß es da keiner Erklärung bedarf. Matthias Friedrich Muecke überzeugte die Jury als Grafiker und Buchgestalter, auch Filme gehören zu seinem Repertoire. Einen Nachwuchs-Förderpreis, von der Kulturministerin gestiftet, konnte der junge David Lehmann aus Cottbus überglücklich in Empfang nehmen. Er sieht seine Malerei als eine Mittlerin für fantastische Einfälle, er ist expressiv und experimentiert gern. Ich hatte mit seiner Malerei so meine Schwierigkeiten. Eine Ausstellung mit Werken der Ausgezeichneten und anderen Künstlern ist in Neuhardenberg bis zum 4. August in der Ausstellungshalle zu sehen (dienstags bis sonntags von 11 bis19 Uhr). Maria Michel Buddha-DummheitDer Münchner Viktualienmarkt, bodenständig und weltläufig zugleich, ist die Oase für den genießerischen Einkaufsbummel, wo es alles gibt, was nahrhaft, lecker und teuer ist. Zum Ort des Unfriedens hat ihn ausgerechnet Buddha gemacht. Massig und goldpatiniert liegt er zwischen den Marktständen auf dem Rücken, streckt die wuchtige Sockelplatte wie einen Riesenfuß von sich und lächelt in den weißblauen Sommerhimmel. Und immer wieder ist er umringt von aufgebrachten Bürgern, die Transparente hochhalten und die Entfernung der »Schande« fordern. Manchmal sind auch buddhistische Mönche darunter, und sogar in Bangkok zogen schon protestierende Buddhisten vor der deutschen Botschaft auf. So daß inzwischen das millionendörfliche Weltblatt, die Süddeutsche Zeitung, sich veranlaßt sah, mahnend an die Freiheit der Kunst zu erinnern und vor der »Einschränkung eines Grundrechts« zu warnen. Künstler gibt es im Großraum München ein paar tausend; keiner von ihnen kann sein Werk einfach irgendwo im »öffentlichen Raum« aufstellen. Was aufgestellt wird, bestimmen städtische Kunstbeamte. Sie nehmen nicht ein Grundrecht wahr, sondern üben eine gewisse Macht aus, indem sie Chancen vergeben oder vorenthalten. Sie können dabei arg danebengreifen und haben sich selbstverständlich der Kritik zu stellen. Den umgestürzten Monumentalbuddha des Herrn Han Chong fanden sie witzig genug für ihr Projekt »A Space Called Public / Hoffentlich öffentlich«. Jeder Bio-Apfel, jede Bauernbrotkruste, jedes Basilikumsträußchen gibt mehr zu denken als dieser aufgedonnerte Hirnfurz, der mehr den Verstand als das religiöse Gefühl beleidigt und nicht einmal das hat, was »Kunst im öffentlichen Raum« sonst für sich in Anspruch nimmt: einen Spannungsbezug zur spezifischen Situation des Aufstellungsortes. Würde das Monstrum abgeräumt, wäre kein Grundrecht geschmälert; es gäbe nur eine Dummheit weniger. Hans Krieger Walter Kaufmanns LektüreAus kleinem Fenster weite Sicht – Leben im Kibbuz, das Leben schlechthin; oder, wie Amos Oz es sagt: Erzählungen von Liebe, Einsamkeit, Verlust, Sehnsucht und Tod. »Unter Freunden« wird, wie alle seine Bücher, großen Anklang finden, auch weit weg von Israel werden die Leser für Zvi Provisor, den Gärtner mit dem düsteren Blick auf die Welt, Verständnis aufbringen, sie werden begreifen, wie David Dagan, der Lehrer, mit seiner lässig-herrischen Art die Frauen zu fesseln vermag, und nachvollziehen, daß die schöne Nina ihren Ehemann nicht eine Nacht länger im Bett ertragen kann. Sie werden die Hingabe bewundern, mit der die von ihrem Mann verlassene Osnat den schwerkranken Martin van den Bergh umsorgt, den Schuster im Kibbuz, der den Holocaust überlebt hat und, weit inbrünstiger als sie alle, an den Idealen der Jugend festhält. Sein Tod wird die Leser erschüttern, sie werden die Trauer der Freunde teilen, werden an der Beerdigung Anteil nehmen. Und sie werden Verständnis für den jungen Jotam haben, dem die Zerstörung der Moschee im Nachbardorf Deir Adschlun zutiefst zusetzt und der die Trennung vom Kibbuz anstrebt, weil er eigene Wege gehen, er endlich erfahren will, wie es sich draußen lebt. Und werden Mosche Jaschar bei seinen Besuchen zum demenzkranken Vater begleiten und dabei tief in die Seele eines empfindsamen Sechzehnjährigen blicken und letztlich auch die Gründe verstehen, die Ariela Barasch bewegen, besorgte Briefe an die Frau zu schreiben, deren Mann sie nahm ... Diese Geschichten sind überall gültig und zugleich so tiefgründig, daß sich beim Nachdenken über sie dem Leser noch viel offenbart. Walter Kaufmann Amos Oz, Mirjam Pressler (Ü.): »Unter Freunden«, Suhrkamp Verlag, 215 Seiten, 18,95 € Zuschriften an die LokalpresseMein Jott, machen die Zeitungen een Jeschrei um den deutschen Datenklau durch Obamas Jeheimdienste! Die Ablausche is doch nu wirklich nischt Neuet, wenn vielleicht ooch nich in dem Umfang! Det wird nu wieder ewig hin und her jeh`n, und am Schluß bleibt nischt wie Nebel! Der Präsident entschuldigt sich für det Mißverständnis und entläßt zwee Pförtner und drei Putzfrau`n, und allet is wieder tutti paletti! Aber eens wäre ja für den demokratischen Bürjer janz intressant: Akteneinsicht, so wie det mit de Stasi-Akten ooch war oder sojar noch is! Da hat der Aufklärungschef Jahn ja sowieso jesacht, mit die Stasi-Unterlaren von Horch und Guck, det muß noch bis 2070 weiterjehn, damit sich jeder Ossi darüber informier`n kann, wat seine Urjroßeltern so jetrieben ham beziehungsweise wer sie verpfiffen hat. Und die janzen Einrichtungen dafür sind ja da, Schnipselzusammensetz-Maschin` und so, und erfahr`ne Mitarbeiter ja ooch, einije sojar noch von de Stasi! Könnte man det nich jleich für die Daten verwenden, die uns´re amerikanischen Freunde jesammelt ha`m? Det würde die Sache ziemlich vereinfachen, dann könnte bei olle Jahn jeder jleichzeitig Einsicht in seine Stasi-Akte und in seine NSA-Akte neh`m und det mal vajleichen, erjänzen und valleicht sojar richtichstell`n! Und die Fachleute von die Jauck-Birthler-Jahn-Behörde hätten noch `ne Perspektive bis ins nächste Jahrtausend! Und inzwischen wird sich jewiß wieder wat Neuet erjeben! – Didi Dudelmoser (75), Rentner, 12437 Berlin-Späthsfelde * »Die ganz Nation liegt schon in den Wehen« behauptet der Berliner Kurier über die Lage im Königreich Großbritannien. Nein, liebe Mitleser, damit wird nicht etwa die ungerechte Sozialpolitik der Regierung oder das marode britische Verkehrssystem kritisiert. Was die Nation schier den Atem stocken läßt, ist die bevorstehende Geburt eines Thronfolgers. In der Privatklinik, in der schon den Prinzen William und Harry die Windeln gewechselt wurden, wird Kate dem britischen Volke und den Menschen all over the world einen neuen Messias darbringen. Ein zehnköpfiges Team von Eliteärzten unter der Leitung des langjährigen Leib-Gynäkologen der Queen wird alles tun, um der wunschgemäß hypnotisierten Mutter die Vermehrung zu erleichtern. Ich freue mich sehr darüber, daß die Presse endlich einmal nicht nur Schreckensnachrichten aus Syrien, Afghanistan und Afrika und Meldungen über Hochwasserkatastrophen, Hauseinstürze, Raubüberfälle und Geldautomatensprengungen verbreitet, sondern daß sie sich auf Wesentliches, echt Menschliches konzentriert. Ich hoffe deshalb, daß Kate noch viele weitere Thronanwärter in die rüde Welt setzt und daß uns der Gynäkologe von Queen Mum noch lange erhalten bleibt. – Lilofee Kosemund (73), Anstandslehrerin i. R., 24894 Hoffnungstal Wolfgang Helfritsch
Erschienen in Ossietzky 15/2013 |
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