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Das Plakat von 1923 zeigt ein Flugzeug auf rotem Grund. Reklam-Konstruktor, die im gleichen Jahr gegründete Zwei-Mann-Firma des Dichters Wladimir Majakowski und des Künstlers Alexander Rodtschenko, hatte es gestaltet. Sie bekam viele Aufträge, vom staatlichen Kaufhaus GUM und vom Lebensmittelhersteller Mosselprom. Reklame für Kekse »Roter Oktober« oder für Speiseöl. »Achtung werktätige Massen. Dreimal günstiger als Butter! Nahrhafter als andere Ölsorten!« Und: »Nirgends, außer bei Mosselprom.« Dieser Satz wurde zum Markenzeichen und geflügelten Wort. Rodtschenko 1940: »Ganz Moskau wurde mit unserer Produktion geschmückt ... An die 50 Plakate und an die hundert Firmenschilder, Verpackungen, Einwickelpapiere, Leuchtreklamen, Reklamesäulen und Illustrationen in Zeitschriften ...« Sogar für Schnuller warb Reklam-Konstruktor. Die sahen aber eher wie Zigarren aus. Majakowski hatte im Juni 1923 den Artikel »Agitation und Reklame« veröffentlicht: »Wir kennen vortrefflich die Macht der Agitation ... Die Bourgeoisie kennt die Macht der Reklame. Reklame ist industrielle, kommerzielle Agitation ... Vor der NÖP (Neue Ökonomische Politik) hatten wir keine Veranlassung, Konkurrenz aufzuziehen ... Es gilt zu rufen, zu werben, anzupreisen, daß selbst die Krüppel rüstig werden und losrennen, um zu kaufen, um zu handeln, um zu schauen!«... Werbung ist nicht »den Händen des ausländischen Bourgeois« zu überlassen. »In der UdSSR muß alles dem Wohl des Proletariats zugute kommen. Denkt an die Reklame!« Nachdem die Kunst zuerst der Revolution dienen sollte – selbst in abstrakter Form – als Agitationskunst (Beispiel: El Lissitzkys »Schlagt die Weißen mit dem roten Keil«, 1919), sollte sie später der Produk-tionspropaganda dienen. Im Hamburger Bucerius Kunst Forum wird – noch bis zum 15.9. – die Ausstellung »Rodtschenko – Eine neue Zeit« gezeigt, die Aufbruchsstimmung 1917, die alle Künstler erfaßte. Für Rodtschenko waren Technik und Wissenschaft Zukunftsvisionen, die er ausdrücken wollte mit allen Mitteln. »Ich mache in jedem Werk ein neues Experiment«, war sein Leitspruch. Hamburg präsentiert Rodtschenko als Vorläufer von künstlerischen Entwicklungen, die sich in Europa und Amerika erst in den sechziger Jahren herausbildeten, die Neo-Avantgarde. Seine erste (und einzige) Einzelausstellung zu Lebzeiten bekommt er 1918 in Moskau mit Hilfe von Wladimir Tatlin. Schon 1917 war Rodtschenko Mitbegründer der Gewerkschaft der Künstler und Maler geworden. Später unterrichtete er an der Schule des Proletkult in Moskau Malereitheorie. Künstler sollten wie Handwerker ausgebildet werden, war die Prämisse. Rodtschenko hatte in seinem Aufsatz »Die Linie« von 1921 so etwas wie ein konstruktivistisches Manifest verkündet. Kandinsky war 1919 zu einem anderen Ergebnis gekommen, sah Linien und Farben symbolisch. Und er wandte sich gegen das Zeichnen mit dem Lineal. Die Freundschaft der beiden ging über diese Frage in die Brüche. 1918, Kasimir Malewitsch malt seine Serie: »Weiß auf Weiß«, Rodtschenko antwortet mit »Schwarz auf Schwarz«, abstrakt, in Öl. Sein Triptychon von 1921: »Reine Farbe Rot«, »Reine Farbe Gelb« und »Reine Farbe Blau«, wie eine Ikone dargeboten in Hamburg. Sein Selbstbildnis aus demselben Jahr ist düster, das gelbe Gesicht von schwarzen Linien durchzogen. Ein geometrisches Gebilde wie eine Stahlplatte vor der Stirn. Darunter schwarze Pupillen. Neben Architekturmodellen (Beispiel: ein abstruser Kiosk von 1919 mit Turm und Uhr) auch Möbelentwürfe, Dekorationen und Kostümentwürfe fürs Theater, so für Majakowskis »Wanze«. Seine Raumkonstruktionen in Holz, im Mittelteil der Ausstellung aufgehängt, bilden sich als Schattenrisse an den Wänden ab. Sie lassen an Atomkern- oder Planetenmodelle denken, ganz frühe Mobiles. Ungewöhnliche Perspektiven zeichnen Rodtschenkos Fotografien aus und machen ihn auch in diesem Metier bekannt und berühmt. Das Bild der Treppe mit Mutter und Kind (im Arm) – nicht die Treppe aus Eisensteins Film, sondern auf den Stufen der Moskauer Erlöserkathedrale aufgenommen (1929) –, ein grafisches Meisterwerk. Schon seit den zwanziger Jahren experimentierte Rodtschenko mit Collagen und Fotomontagen für Zeitschriften. In »Sa Rubeschom« (im Ausland) fertigte der Künstler 1930 eine Fotomontage an, die dem Krieg der Zukunft gewidmet war. New Yorker Wolkenkratzer, zwei Luftschiffe, eines sendet Strahlen auf die Gebäude, Kanonenrohre, die alles in Rauch hüllen und zwei Männer in Schutzkleidung. Alles von ganz oben gesehen. Wie wirkt diese Zukunftsvision heute? 1941 erlebte Rodtschenko den Krieg der Gegenwart. Er floh mit Frau und Kind aus Moskau. Vor den Bombenangriffen – auch durch die Stukas (Ju 88) des Junkers-Konzern, für den er Reklame gemacht hatte. Katalog: Hirmer Verlag, 240 Seiten, 24,80 €
Erschienen in Ossietzky 15/2013 |
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