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Denn was die drei – Assange, Manning, Snowden – in Frage gestellt haben, ist nicht die Sicherheit von Staat, Bürgern und Demokratie, wie immer wieder betont wird, sondern die Macht und Unantastbarkeit ihrer gewählten Repräsentanten und deren Instrumente. Alle drei verbindet nicht nur der Mut, aus der gesellschaftlichen Rolle auszusteigen, die sie sich einst gewählt hatten, sondern der noch nicht erblindete Blick auf die Verlogenheit, ja Kriminalität ihrer Dienstherren und politischen Prominenz. Nichts wird in den Medien ausgelassen, um die drei zu psychologisieren und eine zweifelhafte, nicht sehr sympathische Persönlichkeit zu präsentieren. Damit mußten sie rechnen. Über die mächtige Hand der strafrechtlichen Verfolgung haben sie sich auch keine Illusionen machen können. Ihr unterschiedlicher Umgang mit den handfesten Gefahren für sich und ihre Zukunft erklärt ihre Selbständigkeit und Souveränität gegenüber ihren Gegnern. Das gilt auch für Assange und Snowden, die sich mit guten Gründen der kaum vertrauenswürdigen Justiz entziehen. Wer Regierungen ihres sorgfältig arrangierten Kostüms der Rechtsstaatlichkeit entkleidet und sie ins Zwielicht ihrer dunklen Praxis stellt, muß sich auf langjährige harte Gegenwehr und Verfolgung mit allen Finten einstellen. Was die drei ans Licht der Öffentlichkeit gezogen haben, war auf der Ebene des Verdachts schon lange präsent. In Zeiten des Krieges stirbt nicht nur die Wahrheit zuerst, sondern mit ihr das Recht und die Justiz. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sich mit den Orten Abu Ghraib, Bagram und Guantanamo verbinden, Kriegsverbrechen, die mit der Vernichtung ganzer Hochzeits- und Festgesellschaften in Afghanistan und Pakistan, Massakern wie am Kundus-Fluß oder der gezielten Tötung einzelner Verdächtiger begangen werden, haben nie einen Richter gefunden, der unvoreingenommen die Beweise hätte prüfen können. Selbst die Klagen auf Auskunft und Vorlage von Archivmaterialien zur Überprüfung der Datenspionage wurde von den Gerichten in den USA abgewiesen. Die peinliche Reise von Innenminister Friedrich in die USA brachte nicht mehr als die Zusicherung zurück, daß die USA in Zukunft die deutschen Behörden, sprich Geheimdienste, genauer über die Erhebungen der NSA unterrichten würden. Das garantiert die weitere Geheimhaltung und verstärkt nur den Verdacht der ohnehin bestehenden Kollaboration beider Geheimdienste. Es läßt aber auch den Ruf nach einem deutschen Snowden laut werden, denn von einer Änderung der Praxis der NSA ist nicht die Rede. Offiziell liegt die Kontrolle der deutschen Geheimdienste beim Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages. Doch niemand außer einigen Abgeordneten kann ernsthaft davon überzeugt sein, daß dieses Gremium die Geheimdienste wirksam kontrolliert. Es ist selbst Teil des verzweigten Geheimdienstapparats. In den regelmäßigen »Märchenstunden« im Bundestag wird dem handverlesenen Kreis nur so viel von den Chefs der Geheimdienste erzählt, wie sie für nötig erachten. Die Abgeordneten sind zum Schweigen außerhalb des abhörsicheren Tagungsraums verpflichtet – und einen »Snowden« unter ihnen zu erhoffen, ist schlicht naiv. Er hätte auch kaum Vergleichbares zu berichten, da das Gremium bestimmt der ahnungsloseste Teil der Geheimdienste ist und die Regierungsabgeordneten in ihm ohnehin nicht an Aufklärung interessiert sind. Sehen wir einmal ab von den noch unterschätzten Gefahren, die die gigantische Netzüberwachung und abnorme Datensammlung für den einzelnen Nutzer des Internets mit sich bringen. Die politische Gefahr für die Regierungen und die physische Gefahr für die Whistleblower liegt in der Lüftung der Geheimsphäre, des Arkanum der Regierungen. Daher die wütende Verfolgungsjagd der US-Administration. Als Lenin am 8. November 1917 vor dem Sowjet-Kongreß verkündete, daß die künftige Sowjetregierung alle Geheimverträge des zaristischen Rußland veröffentlichen werde und sich von der Geheimdiplomatie verabschiedete, war die Empörung im Westen zunächst groß. Denn er veröffentlichte sofort den geheimen Sykes-Picot-Vertrag vom Mai 1916, wodurch die Völker des Nahen Osten zum ersten Mal erfuhren, in welche Einflußsphären Engländer und Franzosen die arabischen Provinzen des Osmanischen Reiches aufgeteilt hatten. Doch Wilson wiederholte zwei Monate später in seinen 14 Punkten den Abschied von der Geheimdiplomatie, der jedoch insgesamt folgenlos blieb. Dies war ein – schnell vergessenes – Bekenntnis zur Änderung der eigenen Außenpolitik. Doch Assange und Co. stoßen in einen ganz anderen Bereich staatlicher Politik: ihre alltägliche Kriminalität. Ob auf dem Kriegsschauplatz oder im Internet, die Staaten – die USA sind nur das prominente Beispiel – können ihre Interessen und Ziele offensichtlich nicht ohne Verletzung der von ihnen selbst vertraglich oder gesetzlich gesetzten Grenzen verfolgen. Das liegt nicht an den Grenzen des Staats- oder Völkerrechts, sondern an den Interessen der Staaten. Zielen sie auf die Neuordnung einer ganzen Region und ihre Unterwerfung unter die eigenen Interessen, so kann der Widerstand eben nur mit extralegalen Mitteln bekämpft werden. Der Kriegsschauplatz zwischen Pakistan und Libyen gibt genügend Beispiele dafür. In diesem Kontext sind die Aufdeckungen von Snowden weniger gefährlich. Sie lassen sich zwischen den Staaten, die ähnlich vorgehen, verhandeln und entschärfen, wie die Reaktion der deutschen Bundesregierung zeigt. Weit gefährlicher ist Manning, der die bewußte und gezielte Verletzung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte sichtbar gemacht hat. Die US-Administration hat sich zwei durchsichtige juristische Rechtfertigungen zurechtgelegt, die jedoch die Vorwürfe der Manning’schen Dokumente nicht entkräften können. Zum einen beruft sie sich auf das vom Kongreß noch im September 2001 verabschiedete »Gesetz zur Bevollmächtigung der Anwendung militärischer Gewalt« (Authorization for the Use of Military Force, AUMF), zum anderen auf das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UNO-Charta, um die ganze Welt ohne zeitlich absehbare Begrenzung zum Schlachtfeld gegen beliebige Terrorverdächtige zu erklären. Aber das AUMF war auf den Kampf gegen El Kaida und Taliban in Afghanistan begrenzt und Art. 51 UNO-Charta kann weder für jahrzehntelange Kriege noch für die gezielte Tötung von lediglich des Terrors Verdächtigen in Anspruch genommen werden. Manning und Assange haben nicht nur diese Kriegsführung, sondern auch die Exzesse der Folter und Haftbedingungen in Guantanamo gründlich denunziert, was für Manning ähnlich menschenunwürdige Haftbedingungen zur Folge hatte. Ein Staat hat keinen Anspruch auf Geheimhaltung seiner illegalen Praktiken. Über derlei spätfeudales Staatsverständnis sollten wir hinweg sein. Der Anspruch auf Geheimhaltung und der daraus abgeleitete Strafanspruch wegen Geheimnisverrats kann sich nur auf legales Staatshandeln beziehen. Wer kriminelle Praktiken eines Staates aufdeckt und strafrechtlich verfolgt wird, sollte überall Asyl aus politischen Gründen erhalten. Denn er wird zu Unrecht strafrechtlich verfolgt, er ist ein politischer Flüchtling. Jüngste Veröffentlichung: Norman Paech/Gerhard Stuby, »Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen«, VSA-Verlag, 1056 Seiten, 60 €
Erschienen in Ossietzky 15/2013 |
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