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Jürgen Grässlin, Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und anderer rüstungskritischer Organisationen, Gründungs- und Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüro e. V. in Freiburg und seit den 1990er Jahren profiliertester deutscher Rüstungsgegner, hat diesen Skandal zum Anlaß genommen, sein »Schwarzbuch Waffenhandel« vorzulegen. Auf nicht weniger als 624 Seiten beschreibt er dort, »wie Deutschland am Krieg verdient«. Mit dem Rüstungsexport macht Deutschland Rekordumsätze; im Jahr 2010 wurde mit dem Export von Waffen und Rüstungsgütern so viel Geld eingenommen wie noch nie. Das geht aus einem der zahlreichen faktengesättigten »Infokästen« hervor, die das Kompendium bereichern. Der dort dokumentierte Rekordwert der tatsächlich ausgeführten Kriegsgüter beträgt über zwei Milliarden Euro, was einer Steigerung um knapp 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Exportiert wurden vor allem hochwertige Rüstungsgüter wie U-Boote, Kriegsschiffe und Panzer, aber auch jede Menge Kleinwaffen und sonstige militärische Ausrüstungsgüter. Außerdem haben deutsche Hersteller 2011 Verträge in Höhe von etwa fünf Milliarden Euro abgeschlossen. Rund zwei Drittel der Waffenlieferungen gingen an EU-Staaten oder NATO-Mitgliedsländer. Darüber hinaus wurden aber auch Exporte in Drittländer, etwa nach Afrika und in die Golfstaaten, genehmigt. Nicht am deutschen Wesen, sondern an deutschen Waffen soll diesmal offenbar die Welt genesen, geht es nach den Profitinteressen der Rüstungsindustrie und deren willfährigen Steigbügelhaltern in den Reihen der politischen Klasse hierzulande. Jenen enthemmten Organisatoren und gewissenlosen Profiteuren einer Mord- und Totschlagindustrie ungeheuerlichen Ausmaßes widmet Grässlin zwanzig akribisch recherchierte »Täterprofile«. Mit diesem Geniestreich gelingt es dem Autor, der trockenen Ebene abstrakter Zahlen und Fakten zu enteilen und dem Tod aus Deutschland Gestalt und Gesicht zu verleihen. Und weil gerade dies so unabdingbar wichtig ist, seien auch an dieser Stelle die Namen jener Mitglieder der »ehrenwerten Gesellschaft« genannt: aus der Politik Volker Kauder, Ludwig-Holger Pfahls, Gerhard Stoltenberg, Franz Josef Strauß, Joschka Fischer, Guido Westerwelle, Frank-Walter Steinmeier, Gerhard Schröder, Helmut Kohl und Angela Merkel sowie die Wirtschaftsmanager Egon Behle, Dieter Zetsche, Friedrich Lürßen, Bodo Uebber, Thomas Enders, Olaf Berlien, Klaus Eberhardt, Frank Haun, Claus Günther und Andreas Heeschen. Wie sich deren verheerendes Wirken seit den Gründertagen unserer Republik entfaltet hat, wird detailliert durchleuchtet. Akribisch beschreibt der Autor den »Verfassungsbruch und seine Folgen – wie Deutschland zur Weltmacht beim Waffenhandel aufsteigen konnte«, das »rot-grüne Rüstungsexportdesaster – wie SPD und Grüne das in sie gesetzte Vertrauen verspielten«, »Merkels Waffenhandelskoalitionen – wie die schwarz-rot-gelbe Deutschlandkoalition Menschenrechtsbrecher an der Macht hielt und hält«, »grenzenlose Geschäfte, neue Märkte – wohin Deutschland Waffen lieferte und künftig liefern wird«, die »Konzerne als Kriegsprofiteure – welche Großwaffensysteme von den Big Five produziert und exportiert werden«, »Europas tödlichstes Unternehmen – wie Heckler & Koch mit Kleinwaffenexporten und Lizenzvergaben den Weltmarkt erobert« und schlußendlich »deutsche Waffen, deutsches Geld – wie Banken und Bundesregierungen Waffenhandel finanziell absichern«. Indes begnügt sich der »pazifistische Friedensaktivist« Grässlin nicht mit der Analyse politkrimineller Waffenschieberei, sondern – an dieser Stelle kommt sein pädagogischer Impetus als hauptberuflicher Lehrer zum Durchbruch – er will auch der Zivilgesellschaft Anleitung dafür geben, wie sie den notwendigen Druck gegen den Waffenhandel erzeugen kann. Eine Option hierfür besteht in der nicht zuletzt auf seine Initiative hin im Frühjahr 2011 gestarteten Kampagne »Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, deren wesentliches Ziel es ist, eine weitreichende Beschränkung, wenn nicht sogar ein Verbot deutscher Rüstungsexporte zu erreichen und die hierzu eine Klarstellung von Artikel 26, Abs. 2 des Grundgesetzes verlangt. Leider wird an dieser Stelle – nicht zuletzt am geringen Umfang des Buchabschnitts – erkennbar, daß auch Grässlin die zivilgesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten über derartige Aktionen und Appelle hinaus als eher begrenzt einschätzt. Letzteres dürfte auch zwei Umständen wesentlich geschuldet sein, die in Grässlins Schwarzbuch, das sich seinem Thema hauptsächlich aus einem nationalen Blickwinkel widmet, merkwürdig unterbelichtet bleiben: Zum einen erscheinen Handlungsansätze auf nationaler Ebene weitgehend zum Scheitern verurteilt, weil die Rüstungsindustrie sich längst international strukturiert hat und somit nationale Gesetzesregularien regelmäßig problemlos unterlaufen kann. Zum anderen stellt die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in multinationalen Sicherheitsorganisationen und Militärbündnissen ein kaum überwindbares Hindernis dafür dar, jeglichen Rüstungsexport prinzipiell zu unterbinden. Im Fall des Falles gemeinsam kämpfen zu wollen, dem Verbündeten aber die hierfür notwendigen Waffen vorzuenthalten, läßt sich kaum als tragfähige Maxime einer Allianz durchhalten. Auf beide Strukturprobleme muß die Antwort im Hinblick auf das Thema Rüstungsexport also erst noch gefunden werden. Dessenungeachtet kommt niemand, der sich fundiert und seriös mit dem »trüben Geschäft«, als das der eingangs genannte Kurt Tucholsky den »wüsten Waffenhandel« apostrophiert, auseinandersetzen will, an Jürgen Grässlins Schwarzbuch vorbei. Jürgen Grässlin: »Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient«, Heyne, 624 Seiten, 14,99 €
Erschienen in Ossietzky 15/2013 |
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