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Der Professor für öffentliches Recht an der Universität Marburg fürchtet, eine »Tendenzuniversität« sei nicht weit. Schlimmer noch: Ein »antimilitaristischer Reflex gegen eine Wiederkunft von Kriegs- und Rüstungsforschung« oder ein »Friedensextremismus nach Art eines imperialistischen Pazifismus« könne sich breit machen. An einigen Universitäten – seit 1986 in Bremen, später in Berlin (Technische Universität), Dortmund, Konstanz, Oldenburg und Tübingen – ist in den Satzungen festgelegt, daß ihre Mitglieder nur »friedliche Ziele« verfolgen wollen; einige Universitäten und Hochschulen wollen diesem Beispiel folgen. Laut Wikipedia bestehen in Deutschland nicht weniger als 415 Hochschulen. Horns Befürchtungen mögen insofern übertrieben wirken. Aber wenn Horn oder jemand seines Schlages in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde erhöbe, ständen seine Chancen, bis zum ersten, dem zuständigen Senat durchzudringen, nicht schlecht. 2004 jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde von Hochschullehrern gegen das Hochschulgesetz von Brandenburg wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zugelassen (E 111, 333). Ob er dann allerdings weiterkäme, ist fraglich. Im ersten Senat haben sich die politischen Gewichte verschoben. Bei Susanne Baer, der Zuständigen für Hochschulangelegenheiten, und Gabriele Britz, der mit 42 Jahren jüngsten Verfassungsrichterin, wie auch bei anderen Mitgliedern des Senats kann man mit einer gewissen Aufgeschlossenheit rechnen – wenn nicht gerade für die Zivilklausel, so doch für die Hochschulautonomie. Sie würden wohl dem Trend der bisherigen Rechtsprechung folgen. Auch viele Linke schwören inzwischen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Diese Institution ist über Europa hinaus zum deutschen Exportschlager gediehen. Ursprünglich hatte ihr das Grundgesetz keine über den Gesetzgeber hinausreichende Macht im Gewaltenteilungsgefüge eingeräumt. Diese Tendenz hat sich erst später entwickelt. Man sollte bisweilen daran erinnern, daß Rechtsprechung in der parlamentarischen Demokratie in erster Linie eine korrigierende und nicht so sehr eine rechtsgestaltende Funktion hat. Es ist Aufgabe des Verfassungs- und Gesetzgebers, den Schutzbereich eines Grundrechts, hier der Wissenschaftsfreiheit, zu bestimmen, nicht die des Bundesverfassungsgerichts. Ein beratender Anwalt muß sich jedoch an die Rechtsprechung der Karlsruher Verfassungsrichter halten. Sie bestimmen, ob ein Eingriff in Grundrechte vorliegt und mögliche Rechtfertigungsgründe für solche und andere Beschränkungen gegeben sind. Zur Wissenschaftsfreiheit haben sie eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt – beginnend 1973 mit dem Urteil E 35, 79, das die »Gruppenuniversität« zwar zuließ, aber gleichzeitig mit dem »maßgebenden Einfluß« der Hochschullehrer einen Schritt zurück zur Ordinarienuniversität bewirkte. Es folgten die Beschlüsse über die Verfassungsbeschwerden gegen das Hessische Universitätsgesetz (E 47, 327), gegen das nordrhein-westfälische Universitätsgesetz (E 93, 85) und gegen das brandenburgische Hochschulgesetz (E 111, 333). Vor allem das letztgenannte läßt eine deutliche Tendenz zu verstärkten Steuerungskompetenzen des Staates erkennen, sofern nur ein »hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grundrechtsträger« sichergestellt ist. Voraussetzung ist also, daß das Individualgrundrecht des einzelnen Hochschullehrers auf seine Wissenschaftsfreiheit gewahrt bleibt. Er bleibt auf seine Grundausstattung verwiesen, die nicht bezifferbar ist und zudem beamtenrechtlich beschränkt werden kann. Irgendwelche Ansprüche auf von den Universitätsgremien, meist auf gesetzlicher Grundlage, verteilte Mittel kann er nicht erheben. Erhard Denninger räumt in seinem Gutachten für die Böckler-Stiftung der »Friedensfinalität« des Grundgesetzes, die er völkerrechtlich durch den 1990 abgeschlossenen 2+4-Vertrag abgesichert sieht, einen hohen Rang in der Abwägung zu anderen Verfassungsgütern ein. Dem ist zuzustimmen. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß der Verfassungsgeber schon wenige Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes die Landesverteidigung (Art. 87a, 115a GG) eingefügt hat, nachdem er sich zuvor allein auf die kollektiven Sicherheitssysteme in Europa und der Welt (Art. 24 Abs. 2 GG) verlassen hatte. Jedenfalls sollte die Aufgabe des Militärs auf die Verteidigung beschränkt bleiben. Die neue Strategie der NATO mit ihrer Terrorbekämpfung an jedem Ort der Welt ist damit sicherlich nicht gemeint. Ebenso wenig »humanitäre Interventionen« zur Verwirklichung von Menschenrechten. Der Parlamentsvorbehalt ist bestenfalls ein verfassungsrechtliches Trostpflaster, völkerrechtlich ersetzt er weder Art. 51 der UN-Charta noch einen Beschluß des UN-Sicherheitsrats. Angriffs- und Verteidigungswaffen lassen sich kaum unterscheiden, ebenso wenig wie Zivil- und Militärtechnik. Wir landen somit mitten in der sogenannten »dual use«-Problematik. Wohl wahr, daß es heutzutage kaum mehr Bereiche gibt, die nicht zugleich zivile und militärische Bedeutung haben. Das gilt für die Medizin- und Pharmaforschung ebenso wie für die Nanotechnologie, Optik, Informations- und Nachrichtentechnik wie für die Werkstoff-, Laser- und Satellitenforschung oder, um ein letztes zu nennen, die Robotersystementwicklung. Wenn dem so ist, also der gesamtgesellschaftliche Fortschritt von der Wissenschaft und Forschung abhängt, wie Detlef Horn meint, dann dürfte sie nicht dem System Wirtschaft überlassen bleiben, sondern wäre demokratisch zu kontrollieren – wozu man Artikel 15 GG (Gemeineigentum) heranziehen sollte. Wenn der politische Wille vorhanden ist, findet man auch andere Wege. Sowohl ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG als auch in das Eigentumsrecht (Art. 14 GG) sind zu rechtfertigen. Soll der Gebrauch des Eigentums nicht »zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen«? Hier wäre eine Gelegenheit, die zur Banalität erstarrte Formel zu revitalisieren. Wieso sollte also eine Universitätssatzung, die die Universitätsmitglieder auf »friedliche Zwecke« festlegt und damit militärische Forschung ausschließen will, nicht möglich sein, wenn sie in einem geregelten satzungsgemäßen, also demokratischen Verfahren beschlossen wird? Solange an über 400 anderen Universitäten und Hochschulen weiter militärisch geforscht werden kann, ist die Pluralität nicht gefährdet. Sollte ein Landesgesetzgeber auf einen solchen Gedanken kommen, dürften dieselben Argumente gelten. Zwar sind die Zeiten vorbei, als Helga Schuchardt als Wissenschaftsministerin in Niedersachsen unter Gerhard Schröder als Ministerpräsident die Zivilklausel ins Hochschulgesetz einfügte. Aber jüngst wurde ein derartiges Projekt in der Bremer Bürgerschaft zumindest diskutiert. Man braucht also die Hoffnung nicht ganz aufzugeben.
Erschienen in Ossietzky 14/2013 |
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