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Auch Angriffe von innen auf die Einheitsgewerkschaft mußten abgewehrt werden, zum Beispiel als der zeitweilige Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden und spätere Bundesverteidigungsminister Georg Leber (SPD) die Kommunisten rauswarf. Spaltungsgefahr entsteht auch, wenn der Gewerkschaftsapparat verkrustet, erlahmt, den notwendigen Kampfeswillen verliert und sich von jungen Aktiven bedrängt sieht. Oder wenn sich Gewerkschaftsvorstände eng an eine Partei anlehnen, sich womöglich parteitaktischen Interessen unterordnen. Die Einheitsgewerkschaft braucht eine lebendige, kraftvolle innergewerkschaftliche Demokratie – haben wir sie? Zudem kann eine Gewerkschaft nur dann ein verläßliches antifaschistisches Bollwerk sein, wenn sie vielfältige politische Bildungsarbeit leistet, auch selbstorganisierte Bildungsarbeit in Ortsgruppen, Fachgruppen, Personengruppen (vor allem Jugendgruppen) oder in Betriebsgruppen. Ob wir heute besser gewappnet sind als in der Weimarer Republik, erscheint mir zweifelhaft. Damals gab es Milieus mit Falken, Naturfreunden, Arbeitersportgruppen, Radwandergruppen, Arbeitergesangsvereinen, Agitprop-Gruppen und so weiter, in denen freimütig diskutiert und Solidarität gelebt wurde. Davon ist nicht viel geblieben. Stattdessen hat sich eine Freizeitindustrie breit gemacht, in der wir nur Konsumenten sind. Politische Diskussion findet inzwischen kaum mehr statt, auch und gerade nicht in den großen Parteien, obwohl laut Grundgesetz die Parteien den Auftrag haben, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Entpolitisierung ist nur ein anderes Wort für Entdemokratisierung. Von Demokratie ist zwar viel die Rede, aber wo findet sie statt? Und wer denkt noch daran, daß Demokratie etwas zum Selbermachen ist? Für die wichtigste Lehre aus der deutschen – und nicht nur der deutschen – Geschichte der letzten hundert Jahre, vor allem aus der Nazi-Zeit, halte ich die Erfahrung, daß das Großkapital zu jedem Verbrechen fähig ist und daß wir dieser Gefahr immer gewärtig sein müssen. Aber wer spricht das aus? Bei Karl Marx kann man lesen, daß die Hemmungen weichen, je höherer Profit lockt. Und bei Carl von Ossietzky fand ich die Sentenz: »Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. Ich habe noch niemanden gekannt, der sich zur Stillung seiner Geldgier auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte. Die beutegierige Canaille hat von eh und je auf Krieg spekuliert.« Daran hat sich bis heute nichts geändert, und Deutschland ist jetzt der drittgrößte Waffenexporteur der Welt, selber an mehreren Kriegen beteiligt. Krieg wird zur Normalität. Und in der IG Metall gibt es Funktionäre, die es für »eine Katastrophe« halten, wenn die Bundeswehr etwa nicht mit Drohnen ausgerüstet würde. Die Gewerkschaften stehen unter permanentem Druck, sich angeblich höheren Werten zu unterwerfen: dem Kaiser, dem Vaterland, dem Standort, der Wettbewerbsfähigkeit. Wir Gewerkschafter müssen lernen, gewonnene Einsichten und erkämpfte Rechte zu verteidigen. Eine der Errungenschaften, die wir nicht preisgeben dürfen, ist der 1. Mai als internationaler Kampftag der Lohnabhängigen. Wir dürfen ihn nicht von Nazis zertrampeln lassen. Wir dürfen aber auch nicht zulassen, daß er für Wahlreden, fromme Sprüche und Unterhaltungsprogramme mißbraucht wird. Wir müssen die Forderungen weitertragen, für die unsere Vorkämpfer einst auf die Straße gegangen sind. Zentrale Forderung war von Anfang an die Verkürzung der Arbeitszeit. An ihrer Aktualität hat sich nichts geändert, im Gegenteil: Der Streß am Arbeitsplatz – an vielen Arbeitsplätzen – nimmt zu, die Beschäftigten leiden an krankmachender Überforderung, während Millionen andere an Arbeitslosigkeit leiden. Das Recht auf Arbeit, von der UNO als Menschenrecht postuliert, muß verwirklicht werden. Die wöchentliche Arbeitszeit muß auf alle Arbeitsfähigen und -willigen verteilt, das heißt nach dem jetzigen Stand der Technik und der Arbeitsproduktivität auf 28 Stunden verkürzt werden – nicht nur in Deutschland, auch zum Beispiel in Spanien und Griechenland, wo die Jugendarbeitslosigkeit jetzt mehr als 50 Prozent beträgt. Daß Gewerkschaften in Deutschland seit einigen Jahren Tarifverträge unterschreiben, mit denen die Arbeitszeit verlängert wird, ist ein Zeichen tiefer Schwäche, die wir überwinden müssen. Nazis marschieren in den baltischen Staaten, in Ungarn, in Griechenland, in Israel, in vielen Ländern – ein alarmierendes Krisensymptom. Wir müssen darüber mit unseren Kolleginnen und Kollegen diskutieren, vor allem mit den jüngeren. Ihnen und uns allen muß klar werden, daß Nationalismus und Rassismus uns ebensowenig wie religiöser Wahn aus der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise heraushelfen können, sondern von den Krisenursachen ablenken, die Krisenopfer gegeneinander aufbringen und es den Lohnabhängigen aller Länder erschweren, sich von der Kapitalherrschaft zu befreien. »Die Internationale«, so wurde früher am 1. Mai gesungen, »erkämpft das Menschenrecht«. Am nächsten 1. Mai sollten wir das Lied wieder anstimmen: gegen den Nationalismus, für die Menschenrechte, vor allem für das Recht auf Arbeit, für Vollbeschäftigung, die nur durch kräftige Verkürzung der Arbeitszeit – selbstverständlich bei vollem Lohnausgleich – zu erreichen ist, wie es Heinz-Josef Bontrup und Mohssen Massarrat im Ossietzky-Sonderdruck »Manifest zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit« wissenschaftlich vorgerechnet haben. Die Unternehmer werden sich dazu nicht leicht bewegen lassen. Für sie hat die Massenarbeitslosigkeit einige Vorteile. Vor allem verschaffen sie sich dadurch Möglichkeiten, die Beschäftigten und deren Gewerkschaften zu erpressen und zu schwächen. Sie werden eins ihrer wirksamsten Machtinstrumente – ein anderes sind die monopolisierte Medien – nicht freiwillig aus der Hand geben. Der Kampf um Vollbeschäftigung wird also hart werden. Aber er ist notwendig. Je mehr Kraft wir darauf konzentrieren, je mehr Verbündete wir dafür gewinnen, desto eher werden wir zum Erfolg kommen. In diese Sinne schlage ich vor, den 1. Mai 2014 als internationalen Kampftag für Vollbeschäftigung auszurufen, also in möglichst vielen Ländern die gewerkschaftlichen Forderungen auf die Verkürzung der Arbeitszeit zu konzentrieren. Zur Vorbereitung sollten wir Mitglieder uns möglichst viel ausdenken: Vorträge, Diskussionen, Flugblätter, Ausstellungen, Straßentheater, Interviews, Filme, Demonstrationen. Demokratie ist eben (mein Refrain) etwas zum Selbermachen. Wenn wir auf die Vorstände, auf die hauptamtlichen Gewerkschafter warten, werden wir lange warten müssen. Zu lange. Wir sollten sie nicht überfordern. Bevor sie aktiv werden, brauchen sie Anregungen, Anstöße, Ermunterungen, Briefe und Beschlüsse aus den Betrieben und den Ortsvereinen. Sie müssen auf starke Handlungsbereitschaft an der Basis vertrauen können. Jahrelang waren Rainer Butenschön, Otto Meyer und ich die einzigen, die – hier in dieser Zeitschrift – Verständnis für die Notwendigkeit einer radikalen Arbeitszeitverkürzung zu wecken versuchten. Mehrere Treffen in einem wachsenden Kreis hatten dann Bontrups und Massarrats »Manifest« zum Ergebnis. Weitere Diskussionen führten im Februar 2013 zu einem von mehr als 100 namhaften Gewerkschaftern und Wissenschaftlern unterzeichneten Offenen Brief an die Vorstände von Gewerkschaften, Parteien, Sozialverbänden, Umweltverbänden und Kirchen mit der »dringenden Bitte, dem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit höchste wirtschaftliche und politische, soziale und humanitäre Priorität einzuräumen«. Die ersten Reaktionen in der Öffentlichkeit klangen zynisch: Die Forderung nach Vollbeschäftigung durch radikale Arbeitszeitverkürzung sei sympathisch, aber nicht durchsetzbar; die Gewerkschaften seien dafür nicht stark genug. Dieser Tendenz widersprachen kluge Wissenschaftler und kampferfahrene Gewerkschafter wie der keynesianische Ökonom Karl Georg Zinn, der langjährige hessische DGB-Vorsitzende Dieter Hooge oder der frühere Ver.di-Funktionär Bernd Riexinger, jetzt Vorsitzender der Linkspartei: Die Arbeitslosigkeit werde weiter wachsen und die Gewerkschaften würden immer schwächer werden, wenn sie sich nicht auf diesen Kampf einließen. Riexinger konstatierte das »Fehlen einer Arbeitszeitstrategie der Gewerkschaften«. Hooge beklagte, die Gewerkschaften hätten sich in der Arbeitszeitfrage seit vielen Jahren unnötigerweise in die Defensive drängen lassen, während unter den Kanzlern Kohl und Schröder »die Deregulierung der Arbeitswelt auf die Spitze getrieben worden sei. Zinn wies darauf hin, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland – die amtlich mit drei Millionen unmittelbar Betroffenen, von kritischen Wissenschaftlern mit vier bis sechs Millionen beziffert wird, je nachdem ob sie zum Beispiel Hunderttausende erkrankte oder zeitweilig in Ein-Euro-Jobs beschäftigte Arbeitslose einbeziehen, die in der offiziellen Statistik verschwinden – ein noch viel größeres Ausmaß angenommen hätte, wenn sie nicht durch Exportüberschüsse »ins Ausland verlagert« worden wäre. Auf die Massenarbeitslosigkeit gebe es keine andere Antwort als globale Arbeitszeitverkürzung, und es sei infam, uns vorzugaukeln, das Problem werde sich je wieder durch Wachstum lösen – ein deutliches Wort an diejenigen, die immer noch die »Agenda 2010« und die Hartz-Gesetze als Erfolgsmodell und Jobmotor preisen. Ihnen widersprach auch Ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske im Gewerkschaftsorgan Publik: Von 2000 bis 2011 sei in Deutschland »die Zahl der Vollarbeitsstellen um 1,8 Millionen gesunken«. Die unsichere, schlecht bezahlte, sogenannte prekäre Beschäftigung habe sich mit der »Agenda 2010« monströs ausgeweitet: »Rund 2,5 Millionen Menschen verdienen nicht einmal sechs Euro die Stunde, rund 1,4 Millionen von ihnen bekommen weniger als fünf Euro. Leiharbeit, befristete Arbeitsverträge, Teilzeit wider Willen, Minijobs und seit kurzem auch miserabel bezahlte Arbeit auf Basis eines Werkvertrags – die Arbeitgeber lassen nichts aus. Die reguläre, sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeit nimmt rasant ab.« Viele Argumente für eine drastische Arbeitsverkürzung – auch wenn Bsirske diese Konsequenz noch nicht zieht. Es regt sich etwas. Motive bündeln sich. Schon in einem Aufruf zum diesjährigen 1. Mai forderte die Katholische Arbeiter-Bewegung (KAB) »die Einführung einer 30-Stunden-Woche zur gleichwertigen Anerkennung aller Tätigkeiten von Frauen und Männern.« Der Sozialwissenschaftler Karl-Heinz Roth (Hauptautor des Ossietzky-Heftes 1/13 zum Thema Griechenland) erklärte dieser Tage in einem »Aufruf für ein egalitäres Europa« die »radikale Reduktion der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich« zur wirtschaftspolitischen Notwendigkeit. Vorsitzende von Betriebs- und Personalräten schrieben, das Thema gehöre auf die Tagesordnung der Gewerkschaften. Hilde Wagner, zuständige Ressortleiterin beim Vorstand der IG Metall, konstatierte »gesellschaftlichen Rückenwind für eine neue Initiative in der Arbeitszeit- und Leistungspolitik«. Diesen Rückenwind müssen wir verstärken. Entscheidend ist, daß sich die Einsicht weiter herumspricht: Viele andere Probleme werden lösbar, wenn es gelingt, eine radikale Arbeitszeitverkürzung (nicht etwa in kleinen Schritten, mit denen wird zurückbleiben und unsere Kraft verlieren würden) durchzusetzen. Man kann das übrigens schon bei einem klugen Gesellschaftsanalytiker und Journalisten aus dem 19. Jahrhundert lesen. Im dritten Band des »Kapital« spricht Karl Marx vom »Reich der Freiheit«, das entstehen kann, wenn die Menschen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln und ihn mit dem geringsten Kraftaufwand vollziehen. Dort folgt der knappe Satz: »Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.« (Marx-Engels-Werke, Bd. 25, S. 828) Noch Fragen? Dann müssen sie gestellt werden – möglichst knapp und präzise. Zur Vorbereitung des 1. Mai 2014 ist Ossietzky bereit, in jedem Heft Experten antworten zu lassen.
Erschienen in Ossietzky 13/2013 |
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