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Gedacht werden sollte seines Lebenswerkes, und zwar in der Jüdischen Korrespondenz, einer Zeitschrift des »Jüdischen Kulturvereins Berlin«. Was sich daraus entwickelte, war und ist eine umfänglich knappe, aber inhaltlich aussagekräftige Würdigung der Leistungen von 593 jüdischen Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Kultur und der Kunst, im Bereich der Wissenschaften, der Gesellschaft und des Rechts. Am Ende des Gedenkens lagen 150 Folgen auf dem Tisch. Da eine Gesamtübersicht weder beabsichtigt war noch eine Chronologie realisierbar schien, sich irgendeine sinnvolle Anordnung jedoch als zweckmäßig anbot, orientierte sich der Verfasser an Jahrestagen. Erschwerend war dabei, daß er eine Personenauswahl treffen mußte. Die Umsetzung eines solchen Erfordernisses bleibt trotz aller Abwägungen immer unvollständig und fast immer ungerecht, und diese Schwierigkeit wurde durch die quantitative Begrenzung auf eine Druckseite noch erhöht. Zu dem Entschluß, die Gedenktage in einem Band zusammenzufassen, kann man den Autor und die edition bodoni dennoch nur beglückwünschen, zumal die Jüdische Korrespondenz längst nicht mehr erscheint und die noch erhaltenen Exemplare einer schon ehemals beschränkten Auflage in alle Welt zerstreut sind. Der Band besticht durch die Vielfalt seiner Informationen und erschüttert durch die Nüchternheit, mit der Lebensverläufe und Schicksale dargestellt werden. Da weiß einer, worüber er schreibt, und seine bitteren persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen schwingen im Hintergrund unverkennbar mit. Solcher Informationshilfen durch Draufsicht bedarf das schnell vergeßliche Kulturvolk der Deutschen, und man kann nur hoffen, daß der Band den Zugriff vieler Interessierter findet und nicht in Bibliotheken verstaubt. Man sollte unbedingt auch versuchen, den Autor für Lesungen und Gespräche zu gewinnen, denn seine persönliche Bekanntschaft mit vielen der in seinem Buch gewürdigten Persönlichkeiten in Verbindung mit seiner bewegenden emotionalen Darstellungskraft dürften ihre Wirkung nicht verfehlen. Schriftsteller und Verfolgte des Naziregimes wie beispielsweise der in den Miniaturen gewürdigte Peter Edel verdienen wohl auch eine angemessenere Erinnerung als ein nach ihm benanntes, nunmehr verfallendes Kulturhaus in Berlin-Weißensee. Apropos Miniaturen: Diese Bezeichnung, wenn auch nur auf dem letzten Deckblatt für die Kurzbeschreibungen der Schicksale von jüdischen Persönlichkeiten verwendet, scheint mir vom Verlag nicht glücklich gewählt. Der Begriff stammt aus der Malerei und bezeichnet Randgemälde oder kleine Darstellungen, die mittels des roten Farbstoffes Mennige eine Aussage unterstützen. Die Texte für die Gedenktage stehen dank ihrer Aussagefähigkeit jedoch für sich und sind wesentlich mehr als Randnotizen oder erläuternde Beifügungen. In meiner empfehlenden Bewertung der Monographie werde ich dadurch bestärkt, daß ich 2001 als Mitglied des Vorstandes der Tucholsky-Gesellschaft und des Vorbereitungsteams für die Pyrenäen-Tagung des Literaturvereins in jener Region war, in der Walter Benjamin und zahlreichen Literaten, Geistesschaffenden und Nazigegnern die Flucht vor den in Frankreichs Süden vordringenden Faschisten über die Pyrenäen nach Spanien gelang. Mit Hilfe des risikobereiten kommunistischen Bürgermeisters von Banyul sur Mer, des humanistischen und unbürokratischen USA-Beamten Varian Fry und selbstloser Fluchthelfer wie Lisa und Hans Fittko gelang ihm und Anna Seghers, Golo Mann, Franz Werfel sowie zahlreichen anderen bekannten und unbekannten Nazigegnern der Fuß-, Schienen- und Wasserweg in die rettende Emigration. Dabei sollen nicht die tragischen Umstände übersehen werden, die Walter Benjamin dazu bewogen, nach vollzogener Überquerung der Grenze aus Verfolgungsangst vor den Nazis aus dem Leben zu scheiden. Der Zufall wollte es, daß die Delegation der Tucholsky-Gesellschaft auf der Suche nach dem Ortsdenkmal für die Emigranten auf den aufgeschlossenen amtierenden Bürgermeister von Banyul sur Mer, Roger Rul, traf und mit ihm ein informatives Gespräch führen konnte. Er hatte sich persönlich dafür engagiert, einen Teil des ehemaligen Fluchtwegs über die Pyrenäen wieder begehbar zu machen und dafür staatliche Fördermittel eingeworben. Wir konnten seine Bereitschaft erwirken, ein Jahr später am Denkmal vor den Tagungsteilnehmern zu sprechen. Und er ließ es sich bei dieser Gelegenheit nicht nehmen, eine Strecke des Weges gemeinsam mit den Vereinsmitgliedern abzuschreiten. Es stand der Tucholsky-Gesellschaft überhaupt gut zu Gesicht, nicht nur den relativ unspektakulären Reiseschilderungen Tucholskys durch die Pyrenäenregion aus dem Jahre 1925 zu folgen und sich über die Nichterwähnung seiner ihn begleitenden Gattin Mary Gerold zu wundern. Der Vorstand war gut beraten, die Schicksale der internationalen Spanienkämpfer zwischen 1936 und 1939 und die Vertreibung deutscher Humanisten und Antifaschisten sowie die aktuelle Pflege der damit verbundenen Traditionen in Katalonien einzubeziehen und mit zum Tagungsgegenstand zu erheben. Ein wichtiger Aspekt der Lebensbilder scheint mir darin zu bestehen, daß die vom Autor dargestellten Leistungen jüdischer Persönlichkeiten aller Couleur zu einer ausgewogenen Bewertung jüdischen Wirkens und Handelns in Vergangenheit und Gegenwart beitragen dürften. Jochanan Trilse-Finkelstein: »Jeder Tag ein Gedenktag – Jüdische Lebens- und Gesellschaftsbilder«, edition bodoni, 409 Seiten, 26 €
Erschienen in Ossietzky 12/2013 |
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