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Mit dem FC-Bayern-Präsidenten Hoeneß, Wurstfabrikant und somit Träger des Bayerischen Verdienstordens, steht ein »Promi« am Pranger, der sich erfolgreich als Vorkämpfer für Steuergerechtigkeit dargestellt, jedoch laut Zeitungsberichten mehrere hundert Millionen Euro auf diversen Schweizer Konten vor dem deutschen Fiskus versteckt hat. Der Grauzonenhandel mit geschmuggelten Steuer-CDs aus der Schweiz und aus Luxemburg blüht. Wen aber regen deren Enthüllungen noch auf? Boris Becker, Gunter Sachs, Peter Graf, nunmehr »Uli« Hoeneß – wir haben uns doch längst damit abgefunden, daß die millionenschwere Schickeria unseren Staat um seinen Steueranteil bescheißt und nichts Wirksames dagegen geschieht. Die neueste Enthüllungsstory, »Offshore-Leak« genannt, hielt sich im Gegensatz zur Hoeneß-Story nur zwei Tage auf den Titelseiten und in den Fernsehnachrichten. Dokumente mit Daten Hunderttausender Schwarzgeldkonten in den globalen Steueroasen waren anonym an ein »Internationales Konsortium für investigative Journalisten« (ICIJ) gelangt. ICIJ? Nie davon gehört ... In Deutschland gaben sich immerhin Süddeutsche Zeitung (SZ) und Norddeutscher Rundfunk (NDR) als ICIJ-Gralshüter des investigativen Journalismus. Zitat SZ: »In einer weltweiten Kooperation hat die Süddeutsche Zeitung Millionen Datenbankeinträge, Verträge, Urkunden und E-Mails aus dem Innenleben etlicher Steueroasen ausgewertet. Die Daten geben Einblick in eine geheime Welt. Sie identifizieren mehr als hunderttausend Kunden, unter ihnen Staatsoberhäupter und Waffenschmuggler, Steuerflüchtlinge und Mittelständler, Prominente und Betrüger.« Auch der Focus protzte mit Zahlungsbelegen von 100.000 Deutschen, die Teile ihres Vermögens offshore versteckt hätten. Weil wir sie so gern habenImmer wollen wir andere bewundern, ja, geradezu in den Himmel heben. Wir sind außer Rand und Band, zollen ihnen frenetischen Beifall. Begeistert antworten wir auf die Fangfrage, ob wir Millionäre wie sie werden wollen, mit Ja. Dabei sind wir blind dafür, welche fragwürdigen Figuren wir da anhimmeln und verehren. Der Lichtzauber des Profitmachens verklärt ihre Gestalten. Bei jedem Einkauf im Supermarkt lassen wir uns von den Strippenziehern des alles beherrschenden Geldwesens korrumpieren. Jeder Billigeinkauf umweltschädlich produzierter Hähnchenbrust macht uns zu ihren Komplizen. Messerscharf können sie uns jederzeit mit der Nase darauf stoßen, wie schamlos wir von indischer Kinderarbeit, afrikanischer Sklavenschinderei und lateinamerikanischer Umweltzerstörung profitieren. Irgendwann jedoch folgt die Ernüchterung. Der plötzliche Blick auf sündige Verfehlungen, ja gemeine Schurkereien unserer Idole entsetzt uns so, daß wir von einer Minute auf die andere die Angehimmelten fallenlassen. Wir werden zornig und setzen uns damit erneut ins Unrecht. Womit haben die Vielgepriesenen unseren Sinneswandel verdient? Haben sie jemals verhehlt, daß sie keinerlei Beschränkung ihrer Allmacht dulden? Unsere nun einsetzende Aufregung sei maßlos übertrieben, argumentieren sie. Wir sollen doch nicht so tun, als ob wir nicht längst versuchten, den Prämissen ihrer tollkühnen Unternehmungen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu folgen. Selber daran schuld, wer nicht so erfolgreich wie sie die Steuerbehörden hinters Licht zu führen in der Lage ist, rufen sie uns zu. Wo liegt beim Umgehen von Steuerverpflichtungen ein nennenswerter Unterschied zwischen zehn Euro und zehn Millionen Euro? Das denken sie hinterhältig grinsend – denn mit uns reden sie ja gar nicht. Sie reden nur mit Ihresgleichen. Wenn sie mit der politischen Kaste noch Umgang pflegen, mag diese sich gefälligst einbilden, auf Augenhöhe mit ihnen zu verkehren. Der Staat als solcher gehört in ihren Augen ja abgeschafft. Sie hassen ihn wie die Pest, wenn er ihnen zu nahe kommt. Er ist nur gut als Zähmungsinstrument für unerwünschte Aufmüpfige oder als Rettungsdienst bei finanziellen Pleiten. Alles andere erledigen sie selbst. Sie helfen Notleidenden nach Gutdünken und an Zwecke gebunden, sonst nicht. Wer Beträge mit genügend Nullen auf dem Konto hat, hat jedwede Gesellschaft hinter sich gelassen. Ganz gleich, ob er Spekulationsgewinne verwaltet oder in der kombinierten Wurst-Fußball-Branche sein großes Geld macht. Geld stinkt nicht. Es duftet allemal verführerisch. Harald Kretzschmar Nur wenige Journalisten versuchten, auf den Nährboden des organisierten Steuerbetrugs und dessen aktive wie passive Komplizen aufmerksam zu machen: auf Großbanken als Kapital-Schleuser, auf Finanzminister Wolfgang Schäuble als Ausbremser nachhaltiger Verfolgung von Steuerflüchtigen. Viel Getöse, wenig Nachhall, derweil SZ und NDR sich weigerten, ihre Datensammlung auch nur teilweise an die Behörden herauszurücken, vorgeblich zum Schutz ihrer Informanten – eine befremdliche, wenn nicht verdächtige Begründung. Einzig die Website Medienanalyse-international.de meldete sofort nach dem bombastischen »Leak«-Auftakt grundsätzliche Zweifel an: Woher kommen diese Daten – und wie tricksten die Anbieter sich an allen Fernmeldegesetzen der betroffenen 170 Länder vorbei? Wer lieferte die Software zur Aufarbeitung der Datenpakete? Einer der »investigativen Journalisten« sprach von Polizei-Software. Soviel detektivischer Erfolg ist ohne Hilfe staatlicher Stellen schwerlich denkbar. Offshore-Leak wird zwar als Eigenleistung wahrheitssuchender Journalisten ausgegeben. Art und Menge des Materials nähren dagegen den Verdacht, daß es von Regierungsinstanzen und Großbanken präpariert und sehr gezielt ans Licht der Öffentlichkeit gebracht wurde. Zuvörderst hätte unseren Lohnschreibern auffallen müssen, daß kaum Fettaugen auf der dünnen Offshore-Nachrichtensuppe schwimmen. Aber nein, die Nachrichtenagenturen kupferten von SZ und NDR eiligst ab. Und keiner fragte: Wer läßt hier warum ein paar mehr oder weniger unsympathische Multimillionäre über die Klinge springen? Denn daß da nicht Gut gegen Böse angetreten war und es weit gewichtigere Steuerverweigerer gibt als Peter Graf, ist offensichtlich. Auch, daß ein toter Gunter Sachs sich nicht mehr wehren kann. Binsenweisheit: Wer sich nur mit kriminellen Tricks um Steuergesetze herumdrücken kann, ist in der kapitalistisch gepolten Welt auch dann bloß ein Zwerg, wenn er auf Hunderten Millionen Euro oder Dollar sitzt. Riesen sind jene, die über den (Steuer-)Gesetzen stehen, sie mitformulieren und sich nach Gusto zunutze machen, gelegentlich sogar direkt in die Staatskassen greifen: multinationale Konzerne der Finanz-, Rüstungs-, Öl-, Dienstleistungs- und der Informationsindustrie. Die Bertelsmänner, nicht die Zumwinkels. Die Flicks, Klattens, Mohns, Schmidt-Ruthenbecks, Porsches, Boschs, Ottos, Quandts und Springers, die Gates, Buffets und Soros haben es nicht nötig, ihre Kohle im Geldköfferchen per Privatjet auf die Bahamas zu schaffen. Sie können sich gegebenenfalls einen ganzen Staat nebst Regierung kaufen – oder ihn zugrunde richten, wie es George Soros mittels globaler Währungsspekulation vor 15 Jahren mit Thailand, den Philippinen und mit Indonesien machte (»Asienkrise«). Der »Philanthrop« Soros saugte damals Milliarden US-Dollar aus dem Hunger und Elend von Millionen Mitmenschen. Nicht die Steuervermeidungs-Taktiker auf den Cayman- oder den Jungferninseln sind von Belang, sondern die Strategen in den Machtzentren der Londoner City, in Luxemburg und an der Wall Street (s. a. Johann-Günther König, »The City of London Corporation«, Ossietzky 9/13). Dort werden die Instrumente entwickelt und gepflegt, mit denen die globale Plutokratie ihr verbrecherisches Wesen legalisiert. Steueroasen sind nur eines ihrer vielen Konstrukte. Ist unserer plötzlich so aufklärerischen Investigativ-Journaille denn gar nicht aufgefallen, daß dieses oberste Machtkartell trotz aller Offshore-»Enthüllungen« kaum erwähnt wurde? Hat niemand bemerkt, wie dürftig sich die Offshore-Fälle von Steuerbetrug im Vergleich zur monströsen weltweiten Finanzwirtschaftskrise ausnehmen, zu deren Bewältigung mittels »Bankenrettung« die internationale Geldelite die ihr hörigen Regierungen zwang – und damit aus einer Finanzkrise komplette Staatskrisen machte? Ist niemandem aufgefallen, daß manche transnationale Konzerne gänzlich legal davon befreit sind, auch nur einen Cent Steuer zu bezahlen, trotz ihrer Milliardengewinne? Wie hoch war die Steuereinnahme, die unser Staat im vorigen Jahr vom EADS-Konzern erhielt? Mehr als zwei Euro fuffzich? Und die von Daimler-Benz? Ist schon vergessen, daß Hamburgs Erster Bürgermeister Voscherau einst öffentlich klagte, in der Hansestadt gebe es zwei Dutzend Multimillionäre, die legalerweise nicht einen einzigen Cent Steuern zu zahlen brauchten? Bei Offshore-Leaks bleiben Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker, der Internationale Währungsfonds, Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Schäuble, die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die EU-Kommission oder das US-Zentralbanksystem FED weise außen vor. Derart geringe personelle und sachliche Bezüglichkeit zwischen Offshore-Leak-Daten und Weltfinanzkrise legt doch nahe: Die Zentralmacht des Kapitalismus hat per »Leak« nur ein Bauernopfer aus der Fraktion der Multimillionäre gebracht. Zu welchem Zweck? Weil reiche Prominente am Pranger ebenso wie der Fall des fußballernden Würstchenfabrikanten ein moraltriefendes Ablenkungsspektakel bieten, das die öffentliche Aufmerksamkeit fesselt, derweil die Geldelite der Welt sich einen Staat nach dem anderen vollends unterwirft. »Gegen das, was sich seit fünf Jahren über unserem Kopf zusammenbraut, hilft zunächst allenfalls mehr Transparenz, mehr Kontrolle der Machteliten und die Bereitschaft zu Reformen, darunter eine Reichensteuer«, schrieb Wolfgang Schreyer (»Wem gehört die Welt?«, Ossietzky 9/13). Das »Zunächst« zielt lediglich auf die Symptome der Krankheit namens Kapitalismus ab. Von ihr befreien kann uns nur die Revolution. Immerhin geht Schreyer wesentlich weiter als der deutsche Michel (i.e. Jauch & Co). Der bläht sich nur auf, voll Selbstgerechtigkeit, informiert und engagiert sich aber nicht – und läßt alle seine Landsleute dafür zahlen, frei nach Platon: »Der Preis für Gleichgültigkeit gegenüber der Politik ist, von üblem Pack regiert zu werden.«
Erschienen in Ossietzky 11/2013 |
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