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In Ostdeutschland fand sie dann alle Möglichkeiten, ihr Programm zu verwirklichen, denn die DDR-Gesetze galten nicht mehr, und für Verstöße der Abwickler gegen bundesdeutsches Recht hatte die Bundesregierung Straffreiheit zugesichert. Schon in ihren niedersächsischen Zeiten hatte Breuel das Wort »Privatisierung« möglichst vermieden und stattdessen lieber von »Entstaatlichung« gesprochen; für ihre Hiebe auf die Bürokratie konnte sie allemal mit Beifall rechnen. Staatliches Eingreifen in die freie Wirtschaft lehnte sie scharf ab – weil die Wirtschaft dann nicht frei sei. »In den Bereich staatlicher Verantwortung gehören strenggenommen nur Justiz und Polizei«, schrieb sie in ihrem Buch »Den Amtsschimmel absatteln«. Klar: Falls der Unmut über die Banken doch eines Tages überschäumt, könnten die Bankiers auf Polizeiknüppel und Strafjustiz angewiesen sein. Was man aber in diesen Kreisen gar nicht braucht, sind zum Beispiel öffentliche Schulen und Schwimmbäder. Man hat eigene, bessere. Grundsätzlich gilt: Bankiers haben an öffentlichen Einrichtungen nur ein einziges Interesse: deren Privatisierung, soweit sie Profit verheißt. Daran beteiligt sich dann auch gern die potente Kundschaft der Banken. Hohen Profit verspricht den Investoren namentlich die Privatisierung von Post und Bahn, von kommunalen Elektrizitäts- und Wasserwerken und erst recht von gesetzlichen Sozialversicherungen. Wenn eine Wirtschaftsministerin staatliches Eingreifen in die Wirtschaft ablehnt, erklärt sie damit eigentlich ihr Amt für überflüssig. Aber solche Widersprüche störten Breuel nicht. In ihren Reden schimpfte sie immer gegen staatliche Subventionen für Wirtschaftsunternehmen, vergab aber selber reichlich Subventionen – was insofern kein Widerspruch war, als es ihr allemal darum ging, die Reichen reicher zu machen. Sie wollte ernsthaft sogar die Statistikämter und die Steuerverwaltung privatisieren. Eifrig polemisierte sie gegen Einheitsgewerkschaften und warb dafür, allgemeinverbindliche Tarifverträge zu »individualisieren«. In Niedersachsen kam sie mit alledem noch nicht weit. Einige Pilotprojekte scheiterten jämmerlich, zum Beispiel ein privater Autobahntunnel unter der Weser zwischen Bremen und Bremerhaven. Die Firmen, die sie zunächst dafür begeistert hatten, forderten staatliche Bürgschaften für Baukapital, Tilgungsraten und Betriebskosten, das gesamte Risiko sollte also der Staat tragen. In ihrem Fanatismus propagierte Breuel die Privatisierung öffentlicher Aufgaben und Leistungen ausdrücklich auch dann, wenn sich dadurch die Kosten erhöhen könnten. Als einzige für sie akzeptable Wirtschaftswissenschaft nannte sie die von Milton Friedman und seinen »Chicago Boys« – die damals nach dem Pinochet-Putsch die Wirtschaft in Chile brutal entsozialisiert hatten. In Ostdeutschland konnte sie dann endlich ungehindert »entstaatlichen« – mit dem Ergebnis, daß nach einigen Jahren fast alle Staatsbetriebe in den Besitz westdeutscher Konzerne gelangt und viele alsbald stillgelegt worden waren. Auch die meisten Genossenschaften sollten nicht überleben. Hauptgewinner waren die Banken (Näheres berichtet Ralph Hartmann in diesem Heft). Welche Freiheit? Wessen Freiheit? Daß Breuel in Niedersachsen kaum Erfolg gehabt hatte, lag auch am Widerstand der Gewerkschaften, die der Parole »Mehr Freiraum für die Bürger« (Breuel) die Warnung entgegensetzten, letztlich werde nach den Plänen der Ministerin »nur derjenige mehr Freiheit besitzen, der sie sich teuer kaufen kann«. Unter dem Motto »Privatisierung – Angriff auf den Sozialstaat« veranstaltete der DGB große Kundgebungen und fand Unterstützung in weiten Teilen der Gesellschaft, unter anderem in den Kirchen. Diese Auseinandersetzung trug dazu bei, daß die Regierung des Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) ihre Mehrheit verlor. Dann aber geschah etwas Unvorhergesehenes: Albrechts Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) machte sich zentrale Vorhaben der CDU zu eigen und verwirklichte sie. Ein Beispiel: die Privatisierung der Harz-Wasserwerke. Der Regen, der am höchsten Gebirge Norddeutschlands aus den Wolken fällt, seit Jahrhunderten sorgsam aufgefangen wird, Mühlen und Hammerwerke mit Energie belieferte und jetzt zur Versorgung vieler niedersächsischer Städte dient, wurde Privatbesitz des Preußag-Konzerns – nahezu widerstandslos, denn gegen einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten waren die Gewerkschaften oder zumindest ihre damaligen sozialdemokratischen Führungen nicht kampfbereit. Privat vs. öffentlich Einen entscheidenden Durchbruch hatte aber zuvor schon Albrecht selber, in diesem Fall nicht seine Wirtschaftsministerin geschafft: die Öffnung des Rundfunks für private Unternehmer, sprich für die Pressekonzerne. Dieser Coup – einer der folgenschwersten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Albrecht selber sprach von einer Sache »so groß wie Gorleben«, die ihm »viel Spaß« mache – gelang ihm durch Kündigung des Rundfunkvertrags der norddeutschen Bundesländer Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein sowie durch die Nachgiebigkeit der Hamburger Bürgermeister Klose und von Dohnanyi (SPD). Albrecht verhieß größere publizistische Vielfalt und warb dafür unter dem Jubel seiner Parteifreunde mit Sprüchen wie »Mehr Fußball statt Homosexualität«. Von vornherein war absehbar, daß die entstehende Monopolmacht der Medienkonzerne die publizistische Vielfalt verringern würde – schon deswegen, weil sie den politischen und ideologischen Tendenzen ihrer Besitzer und der werbetreibenden Wirtschaft, von deren Zahlungen sie abhängen, wie auch dem simplen betriebswirtschaftlichen Interesse verpflichtet sind, mit möglichst niedrigem Arbeits-, also Kostenaufwand möglichst hohen Profit zu erbringen. Hingegen waren die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach der Nazi-Herrschaft gerade so konstruiert worden, daß ein Mißbrauch der Sender für einseitige Zwecke ausgeschlossen erschien. Inzwischen aber haben sich die Anstalten im Sog der privaten Konkurrenz von ihrem ursprünglichen Auftrag weit entfernt. Auch dort greifen kommerzielle Interessen permanent ins Programm ein, und in den Aufsichtsgremien dominieren die großen Parteien, die Schuldigen an dieser Entwicklung. Die Einschaltquote ist zum Hauptargument geworden. Im täglichen Kampf um die Quote kann die Aufgabe, das (gebührenzahlende) Publikum umfassend und sorgfältig zu informieren, leicht in Vergessenheit geraten. Bildung und Aufklärung haben da kaum noch Befürworter. Die Pressegesetze der Bundesländer sprechen allesamt von der »öffentlichen Aufgabe« der Presse. Als sie formuliert wurden, schien Vielfalt noch durch die Konkurrenz von Blättern mit unterschiedlicher Tendenz gewährleistet zu sein. Inzwischen aber sind in fast allen Regionen Pressemonopole entstanden, Herrschaftsinstrumente des Großkapitals, dem sie gehören. Kritik an der Privatisierung ist eines der vielen Themen, die ihnen fern liegen. Die Privatschaftlichkeit der Presse und ihre öffentliche Aufgabe vertragen sich nicht. Solche Medien sind grundsätzlich nicht gewillt und in der Lage, die Bürgerinnen und Bürger mit den öffentlichen Angelegenheiten vertraut zu machen und sie zur demokratischen Auseinandersetzung mit ökonomischen und politischen Mächten zu befähigen. Die Bundesrepublik Deutschland soll entsprechend ihrem Namen und ihrer Verfassung eine Republik sein. Das bedeutet, kurz gesagt, daß die gemeinsamen Angelegenheiten öffentlich erörtert und entschieden werden sollen, anders als einst in Zeiten des Absolutismus, als die Fürsten behaupteten, ihre Macht allein der Gnade Gottes zu verdanken, von ihm zu einsamen Beschlüssen ermächtigt und ihm allein verantwortlich zu sein. Dem Volk schuldeten sie nicht einmal Erklärungen. Demokratie hingegen ist ohne Öffentlichkeit undenkbar. Sie verlangt gleichsam den gläsernen Staat. Doch in der kapitalistischen Wirklichkeit der Bundesrepublik haben sich Wirtschaft und Staat gegen Einblick und Debatte abgeschottet und stattdessen den gläsernen, möglichst immer beobachtbaren, manipulierbaren Bürger geschaffen. Die Bild-Zeitung, der schärfste Wachhund der bestehenden Herrschaftsverhältnisse, bringt es tagtäglich aufs Neue fertig, Allerprivatestes öffentlich und öffentliche Angelegenheiten privat zu machen, um sie der öffentlichen Beobachtung und Mitsprache zu entziehen. Als ähnlich pervers erweist sich das Handeln des »Verfassungsschutz« genannten Geheimdienstes. Demokratie und Geheimdienste lassen sich schwerlich miteinander vereinbaren – schon gar nicht, wenn ein Geheimdienst zum Hauptziel hat, kapitalismuskritische Bestrebungen zu verfolgen. Die geschriebene Verfassung der Bundesrepublik gebietet eine sozialstaatliche Politik, die der permanenten Umverteilung des wachsenden gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben entgegenwirkt. Doch jeder, der es wagt, gesellschaftliche Mißstände auf mißbräuchliche und insofern eindeutig verfassungswidrige Nutzung des Eigentums – zum Beispiel Bodenspekulation – zurückzuführen und Einschränkungen des Eigentumsrechts zu fordern, läuft Gefahr, als »Verfassungsfeind« angeprangert zu werden. Tatsächlich garantiert zwar Artikel 14 des Grundgesetzes Eigentum und Erbrecht, verweist aber sogleich auf »Inhalt und Schranken« dieses Grundrechts, die durch den Gesetzgeber zu bestimmen seien; zusätzlich deklariert er die »Sozialbindung des Eigentums«: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« In Artikel 15 wird sodann ein Instrument zur Sozialisierung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln geschaffen, und Artikel 74 regelt die Gesetzgebungszuständigkeit zur »Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht«. Die Länderverfassungen gehen in diesem Sinne noch etliche Schritte weiter, zum Beispiel durch eindeutige Verbote wirtschaftlicher Monopole. Axel Springer antwortete einmal auf Empörung über seine publizistische Macht, er mache doch nur von dem Grundrecht der Pressefreiheit Gebrauch, das ihm wie jedermann zustehe – eine groteske Verdrehung. Wenn unter der Dominanz gewaltiger Medienkonzerne die Möglichkeiten des Bundesbürgers schwinden, sich hinreichend zu informieren, um an demokratischen Entscheidungsprozessen selbständig teilnehmen zu können, dann gilt es, die wahren Intentionen der Verfassung geltend zu machen. Der Politikwissenschaftler und Verfassungsrechtler Jürgen Seifert schrieb einmal mit der notwendigen, inzwischen leider selten gewordenen Entschiedenheit: »Wenn es richtig ist, daß in der kapitalistischen Gesellschaft eine auch nur annähernd gleiche Verteilung des Eigentums an Produktionsmitteln nicht zu erreichen und daß die Akkumulation des Kapitals untrennbar mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden ist, dann hat der Anspruch auf Realisierung von Demokratie nur dann Chancen, wenn private Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und das Prinzip der Lohnarbeit (das den Unterschied zwischen arm und reich immer wieder neu entstehen läßt) aufgehoben werden.« Es wird Zeit, nach bald einem Vierteljahrhundert »Marx ist tot«-Siegergeheul endlich wieder zu solcher Vernunft zu kommen. Ich empfehle, nüchtern zu berechnen, welchen Schaden inzwischen die Privatisierungspolitik à la Albrecht und Breuel – durchgesetzt zunächst in Ostdeutschland und dann unter der Verantwortlichkeit von Schröder und seinem Finanzminister Eichel in der ganzen Bundesrepublik – angerichtet hat. Und wem sie genutzt hat.
Erschienen in Ossietzky 10/2013 |
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