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Das Publikum weiß schon: Das sind Feinde, gegen die jedes Mittel recht ist. Kaum eine Zeitung, kaum ein Sender interessieren sich noch für Einzelheiten. Die sogenannte öffentliche Meinung, das heißt die veröffentlichte Meinung der Medienkonzerne, nimmt die Normalisierung des Krieges fraglos hin, sie reagiert sogar mißmutig, wenn Deutschland an einem Krieg nicht teilnimmt, und fürchtet um »das internationale Ansehen Deutschlands« (Der Spiegel vom 25.3.13, S. 22). Mir ist die allgemeine Gewöhnung an immer modernere, immer »intelligentere«, immer bösartigere Waffen (zunehmend aus deutscher Produktion) und an das, was sie weltweit anrichten, ein Graus. Ich kann und will mich nicht damit abfinden: nicht mit den zerfetzten Männern, Frauen, Kindern und Greisen, nicht mit den unzähligen Verkrüppelten, nicht mit den Zerstörungen und Vertreibungen, nicht mit all den mutwilligen Verstößen gegen das Völkerrecht. Man vergißt die bisherigen Kriege schnell, wenn immer neue hinzukommen. Aber für mich ist gerade der erste, an dem sich das vereinte Deutschland beteiligte, nicht erledigt, zumal im südlichen Kosovo immer noch Bundeswehreinheiten stehen, inzwischen bald 14 Jahre lang. Ich werde die Lügen nicht vergessen, deren dreisteste uns der damalige, eben erst ins Amt gekommene Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) an dem Tage zumutete, an dem die NATO anfing, Jugoslawien zu bombardieren: »Wir führen keinen Krieg.« Die Regierenden stritten alle Kriegsverbrechen ab, die ihr Militär in Jugoslawien beging, oder sie taten sie als militärische Selbstverständlichkeiten ab. Den beim Bombenangriff auf das friedliche Städtchen Varvarin am Pfingstsonntag 1999 verletzten oder getöteten Kindern und den beiden Ortspfarrern oder ihren Hinterbliebenen zum Beispiel verweigert die Bundesregierung jegliche Entschädigung und erklärt zynisch, die Opfer hätten sich »zur falschen Zeit am falschen Ort« befunden – nämlich mitten in ihrem Heimatort, wo an diesem Tag ein kirchliches Fest gefeiert wurde. Die widerlichsten Sprüche kamen vom damaligen Kriegsminister Rudolf Scharping. Seine Behauptungen, die Serben planten einen »Völkermord«, sie hätten begonnen, aus der serbischen Provinz Kosovo alle Angehörigen der albanischen Volksgruppe gewaltsam zu vertreiben, sie würden Föten grillen und mit abgehackten Köpfen Fußball spielen, sind bis heute ungestraft geblieben. Für Propagandazwecke konnten die Details nicht scheußlich genug erfunden sein. Nach den Genfer Konventionen sind Angriffe auf Chemiefabriken verboten. Prompt bombardierte die NATO Chemiefabriken – mit der Folge schwerster Umweltschäden. Völkerrechtlich verboten sind auch Angriffe auf Fernsehsender. Die NATO störte sich nicht daran. Die Jugoslawen sollten sich nicht aus eigenen Quellen über den Krieg informieren können; stattdessen wurden sie von hunderten Sendern aus dem Ausland bestrahlt. Auf deutsches Betreiben verwehrte das europäische Satellitenfernsehen die Übertragung serbischer Bildberichte – ein schwerer Verstoß gegen das Grundrecht auf Information. Politisch verantwortlich war der damalige Außenminister Josef Fischer (Bündnis 90/Die Grünen). Bald nach dem 78tägigen Krieg der NATO gegen Jugoslawien wurde der Intendant des serbischen Fernsehens, Dragoljub Milanovic, auf Drängen der Sieger mit einer aberwitzigen Begründung vor Gericht gestellt: Er sei schuld daran, daß bei einem Angriff auf die Sendezentrale viele Beschäftigte getötet wurden, denn er hätte die Beschäftigten nach Hause schicken sollen, dann hätten sie nicht durch NATO-Bomben ums Leben kommen können. Eine gewendete serbische Justiz verurteilte ihn dann tatsächlich zu zehn Jahren Haft. So ließen sich die Aggressoren von den Besiegten reinwaschen. Dank gebührt der deutschen Publizistin Daniela Dahn und dem österreichischen Dramatiker Peter Handke, die versucht haben, den Fall publik zu machen – leider mit geringem Erfolg. Hat irgendeine Journalistenorganisation Dragoljub Milanovic Solidarität erzeigt? All das wurde einem Land angetan, das im Zweiten Weltkrieg neben Weißrußland am meisten unter dem faschistischen Terror zu leiden gehabt hatte. Zu den Deutschen, die sich darüber empörten, gehörte Rule von Bismarck, Enkel des deutschen Generals, der 1941 die deutschen Truppen bei der Eroberung Jugoslawiens befehligt hatte. Er gehörte auch zu einer Gruppe von Gewerkschaftern, mit der ich während des Krieges 1999 auf Einladung des Jugoslawischen Gewerkschaftsbundes das Land bereiste. Ihm lag daran, unseren Gastgebern zu sagen, wie sehr gerade er mit diesem familiären Hintergrund an der neuen deutschen Kriegsschuld litt. Inzwischen lebt er in Serbien. Wie ich will er nicht Ruhe geben. Deshalb bat ich ihn (es war bei der Begräbnisfeier für Käthe Reichel, der Hauptstifterin des Heinrich-Heine-Preises für Peter Handke), sich nach Neuigkeiten von Dragoljub Milanovic zu erkundigen. Milanovic ist kein seltener Name in Serbien. Mit dem einstigen Fernseh-Intendanten nicht verwandt ist Miroljub Milanovic, damals jugoslawischer Generalkonsul in Hamburg, der uns bei der Vorbereitung unserer Reise ins Kriegsgebiet unterstützte. Ich habe ihn als einen klugen Kopf in Erinnerung, der als Diplomat seine Worte sorgsam setzt. An ihn wandte sich Rule von Bismarck und über ihn an Dragoljub Milanovic. Inzwischen kam Antwort von beiden. Generalkonsul a.D. Miroljub M. schreibt: Bevor er sich über den Fernseh-Intendanten a.D. Dragoljub M. sowie auch über die jüngsten Freisprüche kroatischer und albanischer Generäle äußere, die in Den Haag wegen schwerer Verbrechen an serbischen Zivilisten angeklagt waren, müsse er klarstellen, was allgemein verschwiegen werde, nämlich daß der NATO-Krieg gegen sein Land insgesamt ein Verbrechen gewesen sei, verbrämt mit humanitären Gründen. Zynisch habe die NATO damals ihre Militäraktion »Barmherziger Engel« genannt. Die Serben seien als Volk von Völkermördern dargestellt worden, als große Gefahr für ganz Europa, sogar für die ganze Welt. US-Präsident Clinton, so fährt Miroljub M. in seinem Brief fort, »zählte uns zu den größten Gefahren für die Sicherheit der USA. Mit derart absurden Argumenten wurde die freie Jagd gegen uns Serben und gegen unser Land Serbien begründet. Wir sollten als Alleinschuldige am Bürgerkrieg in Jugoslawien gelten. Einige westliche Politiker, vor allem deutsche, gingen so weit, angebliche serbische Gewalttaten mit Praktiken der Hitler-Truppen zu vergleichen und uns Serben sogar als die noch schlimmeren Faschisten zu verleumden – schlimmer als die deutschen, die einst unser Land verwüsteten. Daß die NATO-Luftwaffe Schulen, Wohnviertel, Krankenhäuser bombardierte, taten sie als ›Kollateralschäden‹ ab. Das einzige Medium, das unter schwersten Bedingungen als Fenster zur Welt diente und das tatsächliche Kriegsgeschehen dokumentierte, war das serbische Fernsehen (RTS). Es wurde brutal zerstört. 16 Mitarbeiter wurden getötet, viele verletzt. Um das serbische Volk zu erniedrigen und zu unterwerfen«, so schreibt Miroljub M. weiter, »kamen mit Hilfe der Aggressoren Kollaborateure an die Macht, die bereit waren, jeden Wunsch und Befehl ihrer westlichen Mentoren auszuführen. Ihre Hauptbotschaft lautete, für Serbien gebe es keine Alternative zu EU und NATO. Ohne Zustimmung der USA durften die untertänigen Kollaborateure nichts tun, nichts entscheiden. Um dem erzwungenen Wechsel des politischen Systems den Anschein von Rechtmäßigkeit zu geben, sorgten die Sieger für die Gründung eines speziellen internationalen Tribunals in Den Haag (nicht zu verwechseln mit dem ebendort ansässigen Internationalen Strafgerichtshof), das die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien ahnden sollte. Angeklagt wurden nicht etwa die wahren Verbrecher, die den Bürgerkrieg in Jugoslawien angestachelt, mit Embargos das Volk in Not gestürzt, alle einschlägigen internationalen Konventionen verletzt, die ganze serbische Industrie und viele öffentliche Einrichtungen zerstört, das Erdreich mit abgereichertem Uran verseucht und viele Tausende Menschen umgebracht hatten. Angeklagt wurden vielmehr diejenigen, die sie von vornherein zu Schuldigen erklärt hatten: Serben, die Widerstand gegen die Aggression geleistet hatten. Die Kollaborateure waren bereit, sie an das Tribunal auszuliefern: die ganze weggeputschte Regierung mit Präsident Slobodan Milosevic an der Spitze und den ganzen Generalstab wie auch die führenden serbischen Politiker in dem Gebiet jenseits der Drina (Martic, Adzic, Plavsic, Karadzic, Mladic und andere).« Dragoljub M., auf den Miroljub M. in seinem Brief nun zu sprechen kommt, wurde nicht nach Den Haag geschickt, ihn sollten die serbischen Quislinge selber anklagen und verurteilen. »Und das taten sie: Sie bestraften ihn mit zehn Jahren Haft, weil er angeblich über den bevorstehenden Bombenangriff auf die RTS-Zentrale informiert gewesen sei, aber nichts unternommen habe, um seine Mitarbeiter zu schützen – als hätten ihn US-Präsident Clinton oder der NATO-Oberkommandierende Wesley Clark angerufen, um ihn über das geplante Verbrechen zu benachrichtigen. Tatsächlich hat dieser unschuldige Mensch inzwischen volle zehn Jahre im Gefängnis gesessen – was aber den westlichen Mentoren immer noch nicht reicht. Ihnen mißfällt, daß er nicht mehr weggesperrt ist. Sie verlangen, daß er nochmals vor Gericht gestellt und verurteilt wird, egal aus welchem Grund. Seine Schuld besteht darin, daß der von ihm geleitete Sender die Wahrheit über die Aggression der NATO und der von ihr angeleiteten und ausgerüsteten UCK (albanische Sezessionstruppen in der serbischen Provinz Kosovo; E.S.) berichtet hat. Deswegen wird er zum Verbrecher gestempelt, während sich die wahren Verbrecher als Friedensstifter aufspielen. Von den Angeklagten vor dem hauptsächlich von NATO-Staaten finanzierten Pseudo-Gericht in Den Haag sind nach Slobodan Milosevic schon 15 weitere an verschiedenen Ursachen gestorben. Ich glaube in keinem Fall an eine natürliche Todesursache. Dagegen hat dieses Tribunal in den vergangenen Monaten mehrere Verantwortliche für Kriegsverbrechen an Serben in Kroatien und im Kosovo freigesprochen. Solche Richtersprüche töten Recht und Gerechtigkeit.« Miroljub M. meint vor allem die Freisprüche für den kroatischen General Ante Gotovina, der 1995 die Operation »Sturm« gegen die serbische Bevölkerungsmehrheit der kroatischen Provinz Krajina befehligte (Hunderte Serben wurden getötet, mehr als 200.000 vertrieben, – eine ethnische Säuberung im Zuge der von westlichen, namentlich von deutschen Politikern angestrebten Zerschlagung Jugoslawiens) sowie für den früheren UCK-Kommandanten Ramush Haradinaj, einen der brutalsten Vollstrecker der Vertreibung von Serben aus der Provinz Kosovo 1998/99. Der Aufklärung der Öffentlichkeit über die Zerschlagung Jugoslawiens und deren blutige Methoden dient das Tribunal jedenfalls nicht. Die Konzernmedien haben sich zwar stets für die Ergreifung der Beschuldigten, zum Beispiel des früheren Präsidenten der serbischen Teilrepublik in Bosnien/Herzegowina, Radovan Karadzic, interessiert, sie zeigen sich aber regelmäßig desinteressiert an der Beweisaufnahme; der Name Karadzic ist seit dem Prozeßbeginn vor dreieinhalb Jahren aus der Öffentlichkeit verschwunden. Was sollen wir daraus schließen? Verteidigt sich Karadzic etwa ebenso glänzend wie Milosevic, wovon die Öffentlichkeit der NATO-Staaten gleichfalls nichts erfuhr? Miroljub M. übermittelte mir Antworten von Dragoljub M. auf Fragen, die ich gestellt hatte. Der ehemalige Fernseh-Intendant schreibt: »Seitdem ich die zehnjährige Haftstrafe bis zum letzten Tag verbüßt habe, bin ich jetzt arbeitslos. Niemand bietet mir eine Stelle, und für die Rente erfülle ich noch nicht die Voraussetzungen. Meine Frau ist Rentnerin. Wegen Anerkennung ihrer Versicherungszeiten und wegen Entschädigung für die gesetzwidrige Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis prozessiert sie gegen RTS. Gegen mich läuft eine neue Anklage aus dem Jahre 2007 wegen angeblichen Mißbrauchs meiner Dienststellung. Angeblich habe ich als RTS-Generaldirektor Dienstwohnungen willkürlich zugeteilt. In Wahrheit habe ich entsprechend dem Gesetz und der Dienstvorschrift gehandelt. Mir droht eine Strafe von zwei bis zwölf Jahren Gefängnis.« Dragoljub Milanovics Ehefrau Ljiljana kannte ich seit zwei Reisen durch Serbien. RTS hatte sie, nachdem die NATO die Macht in Serbien übernommen hatte, ebenso wie ihren Mann entlassen. Auch sie hatte dort als Journalistin gearbeitet. Von ihr wußte ich, daß es ihr im gewendeten Serbien unmöglich war, publik zu machen, was ihrem Mann und der Familie angetan wurde. Den kurzen Antworten ihres Mannes legte sie einen längeren Brief bei, in dem sie sich an die Wendezeit erinnert: zum Beispiel wie damals die Medien (große Zeitungen in mehreren Balkan-Ländern waren schnell von deutschen Konzernen übernommen worden; E.S.) die Lüge verbreiteten, ihr Mann habe genau gewußt, wann NATO-Flugzeuge das Gebäude des staatlichen Fernsehens bombardieren würden, wie er ständig verdächtigt und vorverurteilt worden sei, wie sogar versucht worden sei, die Angehörigen der getöteten RTS-Beschäftigten gegen ihn aufzustacheln. Es war eine tagtägliche Hetzjagd gegen ihn und die Familie. Ljiljana M. zitiert aus den Verteidigungsreden ihres Mannes im Gerichtsverfahren. Das Gericht, schreibt sie, »erklärte diese Reden zum Staatsgeheimnis. Man denke: Die Anklage war öffentlich, die Verteidigung geheim. Als ich wagte, Dragoljubs Verteidigungsschrift zu vervielfältigen, um sie Presse-Kollegen zu geben, ging die Justiz auch gegen mich vor. Ich wurde verurteilt, und das Oberste Gericht bestätigte das Urteil des Kreisgerichts.« Ljiljana Milanovics Fazit: »Für Dragoljub Milanovic gelten offenbar keine Gesetze, kein Recht, keine Gerechtigkeit.« Dragoljub Milanovic – mundtot gemacht wie seit Jahrzehnten schon Mordechai Vanunu, der die Weltöffentlichkeit über Israels verleugnete Atombomben informierte, oder wie der Soldat Bradley Manning, der sich in Datennetzen zurechtfand und die offiziellen Lügen über US-amerikanische Kriegsverbrechen im Irak widerlegte. Solche Fälle zeigen, wie es die Kriegführenden mit dem Grundrecht der Informationsfreiheit halten. Sie zeigen die Macht der Kriegführenden. Aber wird nicht auch sichtbar, was sie fürchten?
Erschienen in Ossietzky 9/2013 |
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