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Dazu kommt, das fällt auf, Andreas Barner, Sprecher der Unternehmensleitung Boehringer Ingelheim. Der Chemiekonzern hatte schon früher Kontakte zum Kirchentag, und zwar durch den späteren Bundespräsidenten Richard Freiherr von Weizsäcker, der von 1962 bis 1966 bei Boehringer Mitglied der Geschäftsführung und in den Jahren 1964 bis 1970 und 1979 bis 1981 amtierender Präsident des Kirchentages war, länger als jeder andere. Boehringer Ingelheim, auch daran sei erinnert, steht im Zusammenhang mit einem der größten Giftskandale der Bundesrepublik: Auf einer undichten Müllhalde wurde 1984 ein Boehringer-Gift entdeckt, von dem eine beträchtliche Menge an die Firma Dow Chemical geliefert worden war, die es zur Herstellung des Entlaubungsgiftes Agent Orange im Vietnamkrieg verwandte. Jene Müllhalde lag in Hamburg-Billbrook. In Hamburg findet nun, Anfang Mai, der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Neben den schon Genannten drängeln sich, es ist Wahljahr, aus der Politprominenz an die Mikrofone: Norbert Lammert, Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück, Wolfgang Thierse, Wolfgang Schäuble, Peter Altmaier, Andrea Nahles, Claudia Roth, Franz Müntefering, die Bundeskanzlerin, die zugleich ihre Geburtsstadt besucht, und selbstverständlich der Bundespräsident, der das Protestantentreffen eröffnet. Beliebt ist bei der Prominenz, für eine Bibelarbeit eingesetzt zu werden oder einen der »Hauptvorträge« zu halten. So spricht Minister Schäuble als Bibelarbeiter über jene bittende Witwe, die von ihrem ungerechten Richter Gerechtigkeit fordert (Lukas 18. 1-8), Frank-Walter Steinmeier über die Einführung eines »Erlaßjahres« nach 5. Mose 15.1-11. Darin heißt es: »Wenn einer seinem Nächsten etwas geborgt hat, der soll’s ihm erlassen ... Von einem Ausländer aber darfst du es eintreiben ...« Schließlich predigt Minister Thomas de Maizière über eine Wundergeschichte Jesu, in der er fünftausend Männer mit fünf Broten und zwei Fischen sättigt unter dem Motto: »Es reicht für alle« (Johannes 6. 1-15). Darüber hinaus ist de Maizière, der so gern als Herr der Drohnen, nicht der Brote, in die deutsche Geschichte eingehen möchte, mit insgesamt fünf Auftritten während des Kirchentages voll im Einsatz, mehr als jeder andere. Neben seiner Bibelarbeit wirkt er mit an einem »Internationalen Gottesdienst der Militärseelsorge«, spricht über sein Lieblingsthema, die Auslandseinsätze der Bundeswehr, läßt sich von »jungen Leuten« des Arbeitskreises Jugendpolitik, CVJM-Gesamtverband Berlin, befragen und stellt auf einem »Hauptpodium« mit dem Thema »Demokratie heißt, einander vertrauen« sozusagen selbst die Vertrauensfrage. Das haben Spitzenpolitiker in der Geschichte der Kirchentage immer wieder getan – mit unterschiedlichem Erfolg und im voraus nicht kalkulierbar. Erfolg hatte einer seiner Amtsvorgänger, der SPD-Mann Rudolf Scharping, auf dem Kirchentag in Stuttgart 1999 kurz nach Beendigung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen Jugoslawien. Scharping hatte ihn, wie zuvor schon in der Öffentlichkeit, mit »bewußten Fälschungen« (zum Beispiel mit seiner Erfindung eines KZ im Fußballstadion von Pristina) begründet und erhielt nun, nach anfänglichem Protest, von 7000 Kirchentagsteilnehmern verständnisvollen Beifall und die gewünschte Absolution. »Das war einer der Höhepunkte des Evangelischen Kirchentages«, schrieb damals die Berliner Zeitung. Dazu hatte auch sein Freund aus der Großen Kriegskoalition, der CDU-Mann Friedbert Pflüger, wesentlich beigetragen. Der hatte verkündet: »Ich möchte Herrn Scharping für das, was er geleistet hat, ganz herzlich danken. Das hat er für uns alle getan.« Zwei Jahre später erfuhr dann die Öffentlichkeit durch den Fernsehfilm »Es begann mit einer Lüge«, daß die Fälschungen und Lügen des Herrn Scharping noch viel umfangreicher waren, als manche schon 1999 vermutet hatten. Anders lief es 1981 bei einem Podiumsgespräch zum Thema »Frieden schaffen« auf dem Kirchentag in Hamburg. Einer der Teilnehmer: der aus Hamburg stammende damalige Verteidigungsminister Hans Apel (SPD). Er war der gläubigste Anhänger des vom Kanzler Helmut Schmidt vertretenden »NATO-Doppelbeschlusses«, der schließlich zur Stationierung von nuklearen Mittelstreckenraketen in Deutschland führte. Damals hieß das in der regierungsamtlichen Sprache »Nachrüstung«. Als Apel in Halle 13 des Messegeländes seinen Vortrag begonnen hatte, entwickelte sich schon nach einer Minute »starke Unruhe«, wie das Protokoll vermerkt. Der Leiter der Veranstaltung unterbrach den Vortrag und ließ dann, weil die »Unruhe anhielt«, das Abendlied »Hinunter ist der Sonnen Schein, die finstre Nacht bricht stark herein ...« singen. Danach, so steht es im Protokoll: »Weiter anhaltende Unruhe und Tumulte. Transparente werden entfaltet. Einige Teilnehmer übergießen sich mit Blut. Eine mit Totengewändern bekleidete Gruppe demonstriert stumm. Eine andere Gruppe drängt zum Podium. Es fliegen einige Eier in Richtung auf das Podium. Einige Polizeibeamte in Zivil und mit Schutzschilden betreten das Podium.« Ihnen rief der Versammlungsleiter couragiert zu: »Räumen sie sofort das Podium. Ich allein habe hier das Hausrecht.« Protokoll: »Die Polizeibeamten verlassen das Podium.« Der Minister konnte dann kurz seine Kernthesen vortragen. Erstens: »Atomwaffen sind ihrer Natur nach politische Waffen« – als ob die USA nicht schon 1945 Atombomben abgeworfen und ihre Präsidenten Truman (November 1950) und Eisenhower (1959) nicht ernsthaft erwogen hätten, weitere über Korea beziehungsweise in Europa im Zusammenhang mit der Berlin-Krise zu zünden. Zweitens: »Die Politik der Abschreckung hat bewirkt, daß wir 36 Jahre lang Frieden gehabt haben.« Das überzeugte nicht. Am nächsten Tag zogen 120.000 Teilnehmer des Kirchentages gegen die geplante Stationierung der Raketen durch die Straßen Hamburgs und gaben ein Startzeichen für eine damals anwachsende Friedensbewegung. Mit Sicherheit wäre es 1987 nicht zu einem Abrüstungsvertrag (mit der Verschrottung aller atomaren Mittelstreckenraketen) gekommen, wenn nicht die »Logik der Abschreckung«, das heilige Credo des Ministers Apel, mit Hilfe der Friedensbewegung durchbrochen worden wäre.
Erschienen in Ossietzky 9/2013 |
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